Es ist keine neue Erkenntnis, dass Nachhaltigkeit umfassender Änderungen in Konsummustern bedarf. Eine entscheidende Frage dabei: wie sollte man diese Änderungen herbeiführen? Zwei Optionen stehen grundsätzlich zur Debatte, die oft in scharfen entweder–oder-Kategorien diskutiert werden – individuelle Konsumentscheidungen sowie Veränderungen in den Rahmenbedingungen (Verbote, Anreize etc.). Viele Konsument:innen gehen bereits den Weg der individuellen Konsumentscheidungen und versuchen, auf problematische Produkte zu verzichten oder sie durch nachhaltigere Alternativen zu ersetzen. Damit geht oft die Aufforderung an die Umgebung einher, es ihnen gleichzutun. Doch ist das eine zielführende Strategie?
Mit Albert Hirschman kann man die beiden Alternativen grob als Exit und Voice interpretieren. Individuelle Konsumentscheidungen, d. h. der Verzicht auf bestimmte Produkte, ist in diesem Sinne eine Exit-Strategie. Die Voice-Strategie würde darin bestehen, in politischen Prozessen – durch Wahlen, Petitionen, Debatten etc. – darauf hinzuarbeiten, kollektive Lösungen bzw. Institutionen (formale Regeln, wie insb. Gesetze) zu suchen und durchzusetzen. Auch wenn die beiden Strategien einander grundsätzlich nicht ausschließen, möchte ich hier zeigen, warum Exit im Nachhaltigkeitskontext nicht hinreichend (und nicht einmal zwangsläufig notwendig) ist.
Das Schwierige an der Nachhaltigkeit ist, dass es sich hier vor allem um öffentliche Güter handelt – eine „gesunde“ Umwelt, ein stabiles Klima, dies sind Güter, von deren Nutznießung man niemanden ausschließen kann, wenn sie einmal bereitgestellt sind. Die Entscheidungen eines Individuums haben einen vernachlässigbaren Einfluss auf die Bereitstellung dieser öffentlichen Güter – streng genommen ist es bspw. aus Sicht des Klimaschutzes nahezu völlig irrelevant, ob ich alle paar Tage um die Welt fliege. Die meisten negativen Umweltwirkungen unseres Konsums entstehen erst im Aggregat, d. h. durch eine große Vielzahl individueller Konsumentscheidungen. Unabhängig von der gewählten Strategie – Exit oder Voice – sind beobachtbare positive Wirkungen davon abhängig, ob es gelingt, eine ausreichend große Menschengruppe, eine kritische Masse, zu entsprechenden Konsumentscheidungen zu bewegen.
Dies wird auf Basis freiwilliger individueller Entscheidungen kaum funktionieren. Der Hauptgrund dafür ist relativ trivial – die meisten von uns sind recht willensschwach. Allerdings wird die Willensschwäche von anderen Faktoren verstärkt. Zum einen wissen viele von uns gar nicht genau, welche Konsumentscheidungen wirklich nachhaltig sind (und selbst diejenigen, die es zu wissen glauben, liegen nicht immer richtig). Zum anderen beeinflussen viele verschiedene Aspekte unsere Konsumentscheidungen – nur bei wenigen ist Umweltschutz dabei ein zentrales Kriterium, sodass er bei Anderen in vielen Fällen schlicht „den Kürzeren zieht“. Zumal der Umweltschutz ein recht komplexes Kriterium ist. Seine ständige Beachtung inmitten der Informationsflut, die uns während des Konsums umgibt, ist eine veritable kognitive Herausforderung. Das mag man blöd finden, den Menschen Heuchelei vorwerfen – aber so ist nun mal der Stand der Dinge. Und wir haben bei einigen Umweltproblemen (Klimawandel!) schlicht nicht die Zeit, darauf zu warten, bis die nachkommenden Generationen entsprechend aktualisierte und auf die heutigen Herausforderungen angepasste Bildungsinhalte genossen haben.
Doch auch wenn wir willensschwach sind, ist in der Breite der Bevölkerung der Wille zum Umweltschutz recht klar zu beobachten (oder er wird zumindest deklariert). Und hier liegt die Attraktivität der Voice-Strategie, die zwar diesen Willen genauso wie die Exit-Strategie voraussetzt – aber gleichzeitig nicht sehr auf Willensstärke angewiesen ist. Gleichzeitig bietet sie die Möglichkeit, die sozialen Dilemmata zu überwinden, die die Exit-Strategie so ineffektiv machen – denn kollektive Lösungen zur Erreichung einer kritischen Masse sind in Voice fest eingebaut, während Exit auf sie lediglich insgeheim hoffen und ggf. appellieren (sozusagen als „schwaches Voice“) kann. Wenn es im Rahmen politischer Prozesse gelingt, neue verbindliche Regeln einzuführen – seien es (im Extremfall) Verbote, seien es Kennzeichnungspflichten, Lenkungsabgaben, Subventionen oder Nudges –, dann gelten sie für alle und beeinflussen alle relevanten Konsumentscheidungen. Nur so kommt man aus dem sozialen Dilemma heraus, dass meine individuelle Konsumentscheidung für nachhaltig hergestellte Produkte und Dienstleistungen, so löblich sie sein mag, auf das eigentliche Umweltproblem kaum nennenswerten Einfluss hat. Man könnte fast so weit gehen, zu sagen, dass individuelle nachhaltige Konsumentscheidungen vor allem der Beruhigung des eigenen Gewissens dienen. Zwar gibt es Erkenntnisse aus der Forschung zu sozialen Netzwerken, die zeigen, dass sich Verhaltensänderungen unterbewusst unter Freunden, Bekannten sowie deren Freunden und Bekannten ausbreiten. Doch erstens sind diese Effekte nicht allzu stark. Zweitens setzt ihre Effektivität voraus, dass es keine Ausbreitungsbarrieren gibt. Doch die „Informationsdurchlässigkeit“ zwischen „Filterblasen“ und sozialen Milieus ist beschränkt. Damit ist auch diese „erweiterte“ Exit-Strategie nur ein Tropfen auf den (zunehmend) heißen Stein.
Die Exit-Strategie hat nichtsdestotrotz eine wichtige Rolle – man kann sie als eine Suche nach Alternativen (nachhaltigeren Produkten, Praktiken, Verhaltensweisen) interpretieren, auf die man dann zurückgreifen könnte, wenn kollektive Lösungen gefunden und umgesetzt werden. Aber ohne eine umfassende Voice-Strategie, ohne kollektive Lösungen wird es schwierig, einen erfolgreichen Weg zur Nachhaltigkeit zu finden.
„Die meisten negativen Umweltwirkungen unseres Konsums entstehen erst im Aggregat, d. h. durch eine große Vielzahl individueller Konsumentscheidungen.“
Da hätte ich Zweifel anzumelden: Wenn die letzten Blauflossenthunfische für siebenstellige Eurobeträge versteigert werden, ist es schon eine finanziell äußerst potente Minderheit, die irreparable Schäden verursacht. Bliebe noch zu klären, was mit „unser Konsum“ gemeint ist? Selbstverständlich sind meine individuellen Kaufentscheidungen völlig bedeutungslos, der Markt regelt ja auch nichts.
Versuche ich wirklich alles ökonomisch zu begründen, renne ich von einer Sackgasse in die andere. Fleischverzicht oder -reduktion? Dann werden freiwerdende Kapazitäten im Inland halt noch gewinnbringender ins Ausland verhökert. Mein Verzicht bedeutet u. U. also höhere Renditen, somit höhere Investitionen, noch größere Ställe? Muss ich, ökonomisch betrachtet, mehr Steaks grillen, um mehr Tierwohl zu erzeugen? Was ich sagen will: Rein ökonomische Betrachtungsweisen sind immer nur ein Teil des Problems, in den seltensten Fällen die Lösung.
„Wenn es im Rahmen politischer Prozesse gelingt, neue verbindliche Regeln einzuführen – seien es (im Extremfall) Verbote, seien es Kennzeichnungspflichten, Lenkungsabgaben, Subventionen oder Nudges –, dann gelten sie für alle und beeinflussen alle relevanten Konsumentscheidungen.“
Wenn ich da an die damalige Diskussion um den „Veggie-Day“ denke, der bei einem Großteil der lieben Mitbürger für Schnappatmung gesorgt hat, wird mir aber angst und bange…
“ Man könnte fast so weit gehen, zu sagen, dass individuelle nachhaltige Konsumentscheidungen vor allem der Beruhigung des eigenen Gewissens dienen“
Ja, ist doch eigentlich auch nichts Schlimmes, oder? Selbst wenn wir eine Entscheidung treffen, die auf Grund unseres eingeschränkten Horizontes, der Komplexität der Vorgänge, der auf uns einstürmenden Informationsflut, faktisch nicht letztbegründbar ist, uns aber ein „gutes Gefühl“ vermittelt, so ist dies in einer Zeit, in der vieles den Bach runtergeht, wohl doch begrüßenswert, wenn es auch vielleicht nur ein Placebo ist…
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Danke für den Kommentar!
Das Thunfisch-Beispiel ist natürlich richtig, aber auf die meisten Umweltprobleme trifft es so eben nicht zu (und selbst beim Thunfisch könnte man (fast) sagen, „so what?“, wenn es ein isoliertes Aussterbeereignis wäre).
Was die Einschätzung ökonomischer Argumentationen anbetrifft, kann ich nicht zustimmen. Sackgassen ergeben sich, wenn man verkürzt ökonomisch argumentiert – aber das trifft auf andere Arten von Argumentation ebenfalls zu. Verschiebungs- und Rebound-Effekte gilt es eben mitzubeachten.
Jegliche „rein X“ Betrachtungsweise ist problematisch, weil blind für andere relevante Faktoren.
Schlimm definitiv nicht. Nur halt auch nicht effektiv, abgesehen vom Effekt auf die individuelle Psyche (nicht zu vernachlässigen, aber eben nicht der Kern des Problems).
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