In den politischen Debatten um Nachhaltigkeit (Klimaschutz, Artenschutz…) in Deutschland wird der Partei, die seit ihrer Gründung mit diesem Themenkomplex assoziiert wird, den Grünen, öfters vorgeworfen, sie seien eine „Verbotspartei“. Auch wenn dies in Einzelfällen überzogene Rhetorik sein mag, ist es doch augenscheinlich, dass in den besagten Debatten häufig argumentiert wird, als wären Verbote bzw. das Ordnungsrecht das einzige probate Mittel der Umweltpolitik. Dabei gibt es zahlreiche Gründe, Anreize dem Ordnungsrecht vorzuziehen oder zumindest ergänzend zu nutzen.
Bevor ich mich den umweltökonomischen Lehrbuchargumenten für anreizbasierte Politikinstrumente widme und sie später etwas relativiere, möchte ich ein in meiner Wahrnehmung nicht ausreichend beachtetes Argument gegen Ordnungsrecht und für Anreize ins Feld führen. Es ist eigentlich relativ einfach: das Ordnungsrecht bedarf vieler Einzelregelungen, wo ein Anreizinstrument ausreichen würde. Dies ist wohl auch ein Grund, warum die „Verbotsdebatte“ regelmäßig hochkocht – Forderungen nach Verboten (von SUVs, „Billigfleisch“, Inlandsflügen, Glühlampen, Strohhalmen, Plastiktüten…) sind sehr häufig aktionistisch und richten sich stärker an der Präsenz eines Themas in der öffentlichen Wahrnehmung als an einer umfassenderen, systematischen Strategie zum Umgang mit Umweltproblemen aus. Denn es ist eine riesige Vielzahl von Produkten, Dienstleistungen, Verhaltensweisen, die im Aggregat zu Umweltproblemen führen. Um ein besonders prominentes Beispiel zu nutzen: Auch wenn sie besonders ins Auge stechen, sind SUVs nur ein (eher kleiner) Faktor im Problemkomplex „Klimawandel“. Um diesen Problemkomplex mithilfe des Ordnungsrechts effektiv anzugehen, müssten wir Unmengen an Einzelregelungen (Verboten, Standards) festlegen, mit enormen Transaktionskosten bei der Informationsbeschaffung, Administration und Durchsetzung. Doch eigentlich geht es nicht um SUVs, Inlandsflüge oder Glühlampen als solche, sondern um die mit ihrer Herstellung und/oder Nutzung einhergehenden Treibhausgasemissionen, die das Klimasystem in eine zunehmend gefährliche Richtung treiben. Gerade in diesem Fall, in dem all die Lehrbuchargumente greifen, schreit es geradezu nach Anreizen statt kleinteiliger Regulierung. Ob die Anreize über eine CO2-Steuer oder ein Emissionshandelssystem gesetzt werden, ist dabei nachrangig.
Dieses Argument gilt übrigens auch innerhalb der Kategorie der anreizbasierten Instrumente. Ein gutes Beispiel sind Agrarumweltzahlungen, die in zwei verschiedenen Grundvarianten vorkommen – ergebnisbasiert (result-based) und handlungsbasiert (action-based). Bei Ersteren wird die Erreichung eines gemessenen Ziels honoriert, bspw. eine Steigerung der Zahl von vorab festgelegten Kennarten (z. B. von Schmetterlingen, Vögeln oder Grashüpfern). Bei Letzteren ist die Umsetzung bestimmter Praktiken die Grundlage für Zahlungen, bspw. die Pflanzung von Blühstreifen oder der Verzicht auf den Pflug. Da auch die hier relevanten Probleme bzw. Ziele (z. B. Artenschutz) von zahlreichen Praktiken und anderen Faktoren beeinflusst sind, müsste man zu ihrer Erreichung eigentlich ebenso zahlreiche Einzelzahlungen anbieten, was wiederum mit sehr hohen Transaktionskosten einhergehen würde. Arbeitet man stattdessen mit ergebnisbasierten Ansätzen, überlässt man den Landwirt:innen, wie sie das Ziel erreichen und welche Praktiken sie wie anpassen müssen. (Natürlich gibt es andere Gründe, die gegen ergebnisbasierte Zahlungen sprechen bzw. ihre Umsetzung erschweren.)
Grundsätzlich gilt es: je mehr (wechselwirkende) Ursachen ein Umweltproblem hat bzw. je mehr verschiedene Umweltprobleme interagieren/einander beeinflussen, desto ineffektiver, aufwendiger und unflexibler dürften jegliche Versuche sein, diese Probleme primär mithilfe des Ordnungsrechts in den Griff zu bekommen. Verbote sind darüber hinaus vor allem dann angebracht, wenn (i) es klar erkennbare Alternativen/Substitute zur zu verbietenden Aktivität gibt und (ii) der Fortbestand der betreffenden Aktivität inakzeptabel wäre, z. B. wegen enorm hoher akuter Umweltkosten.
Nun aber ganz kurz zu den bereits angekündigten Lehrbuchargumenten (die durchaus ihre Richtigkeit und Daseinsbereichtigung haben), bevor ich versuche, zu skizzieren, wann Ordnungsrecht doch sinnvoll sein kann. Üblicherweise werden vor allem die folgenden zwei Argumente für Anreize im Vergleich mit ordnungsrechtlichen Eingriffen genannt:
- heterogene Vermeidungskosten: wenn es für betroffene Akteure (z. B. Emittenten von Treibhausgasen) unterschiedlich aufwendig/kostspielig ist, Emissionen (oder sonstige negative Umweltwirkungen) zu vermeiden, geben Anreize ihnen eine höhere Anpassungsflexibilität und -zeit als bspw. ein einheitlicher Emissionsstandard; die Erreichung eines gegebenen Vermeidungsziels wird daher effizienter (weniger kostspielig/aufwendig), wenn mit Anreizen gearbeitet wird;
- dynamische Anreizwirkungen: da Anreize üblicherweise dauerhaft bestehen und unter Umständen über die Zeit gar verschärft werden (bspw. durch zeitlich steigende Abgabesätze), bieten sie einen dauerhaften Anreiz, nach umweltfreundlichen Alternativen zu suchen, um der Abgabe auszuweichen/keine Zertifikate kaufen zu müssen/mehr Subventionen einzustreichen; beim Ordnungsrecht hingegen ist ein Anreiz zur Innovation entweder nicht vorhanden (bei laxen Emissionsstandards, die zumindest manche Emittenten schon erreicht haben) oder nur einmalig (bis man den Emissionsstandard erreicht hat, dann nicht mehr).
Bei Wirksamkeit ist die Sache dann doch etwas komplizierter; so ist ein Zertifikatehandel bei homogenen Schadstoffen wie Treibhausgase perfekt wirksam (von Verschiebungseffekten mal abgesehen), während es bei Abgaben ex ante (also: vorab) weniger klar ist, wie stark ihre Wirkung eigentlich sein wird. Beim Ordnungsrecht, sofern es sich nicht um ein striktes Verbot handelt, kommt es u. a. darauf an, wie sich die Anzahl der Emissionsquellen verändert, sowie ob es einen Bestandsschutz gibt (was oft der Fall ist). Hinzu kommen weitere Kriterien, wie politische Durchsetzbarkeit, die recht fall- und kontextspezifisch ist, Legitimität, Verteilungswirkungen (die es im Zweifel über Sozialpolitik abzufedern gilt).
Wie ich letztens diskutiert habe, werden die Vorteile von anreizbasierten Instrumenten in umweltökonomischen Einführungsveranstaltungen gern am Beispiel des Klimaschutzes bzw. der CO2-Emissionen besprochen, die ein besonders „dankbarer“ Schadstoff sind. Sobald man andere Bereiche betrachtet, wie bspw. Biodiversitätsschutz, wird die Sache deutlich komplizierter. Nichtsdestotrotz gelten die oben angeführten drei Argumente pro Anreize (Einfachheit/Reichweite, Effizienz, Innovationswirkungen) in den meisten Kontexten, wenn auch mit Abstrichen. Es stellt sich die Frage: gibt es denn überhaupt Gründe für Ordnungsrecht? Die Antwort ist: ja. Zum einen gibt es schlicht besonders problematische Aktivitäten, deren Wirkung klar ist und die maßgeblich zu einem Umweltproblem beitragen (z. B. FCKW im Kontext des Ozonlochs). Insbesondere wenn das Umweltproblem sehr dringend ist, kann Ordnungsrecht unter Umständen das Mittel der Wahl sein, da es seine Wirkung sofort und bei Bedarf drastisch entfaltet. Des Weiteren gibt es Fälle, in denen Anreize zwar sinnvoll wären, es aber keine gute Bemessungsgrundlage für Abgaben/Subventionen gibt, z. B. weil die relevanten Umwelteffekte schwierig zu messen sind. In solchen Fällen können Ordnungsrecht oder zumindest indirekte bzw. handlungsorientierte Anreize sinnvoll sein. Zuletzt eignet sich das Ordnungsrecht zur Schaffung eines fairen Wettbewerbs durch Festlegung von Mindeststandards (level playing field), weil es vermeidet, dass einzelne Akteure sich einen Wettbewerbsvorteil durch die Unterlassung jeglicher Umweltschutzmaßnahmen verschaffen (dies gilt insbesondere bei positiven Anreizen, d. h. Zahlungen, die in manchen Bereichen praktikabler und politisch durchsetzbarer sind als negative Anreize wie Abgaben).
Um zum Ausgangspunkt zurückzukommen: es wäre wünschenswert, wenn in der deutschen Nachhaltigkeits-Debatte Anreize eine größere Würdigung finden würden – sowohl aufgrund ihrer oben diskutierten umweltpolitischen Vorteile als auch wegen ihrer geringeren Anfälligkeit gegen „Verbotspartei“-ähnliche Argumentationslinien.