Der Klimawandel ist zweifellos eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen heute. Nichtsdestotrotz ist er mitnichten die einzige, nicht unbedingt sogar die größte, selbst wenn man sich auf Umweltherausforderungen beschränkt. Daher mag verwundern, warum die Umweltökonomik gerade dieser speziellen Herausforderung so viel Aufmerksamkeit schenkt, verglichen beispielsweise mit dem Biodiversitätsschutz (so jedenfalls meine Wahrnehmung). Der Grund, so scheint es mir, liegt darin, dass der Klimawandel ein Problem ist, das sich extrem gut in mainstream-ökonomischen Kategorien ausdrücken lässt – während das auf Biodiversität kaum zutrifft.
Es gibt einen Grund, warum umweltökonomische Einführungsvorlesungen viele Themen anhand des Klimawandels durchspielen. Treibhausgase sind nämlich ein Traumschadstoff der Umweltökonomik, zeitlich und räumlich nahezu perfekt homogen. Es ist völlig egal, wo, und auch recht egal, wann eine CO2-Emission stattfindet – die Klimawirkung einer Tonne CO2 wird dieselbe sein, ob sie heute an einem Braunkohlekraftwerk in der sächsischen Lausitz oder in einem Jahr infolge der Rodung eines Teils des Amazonas-Regenwaldes in Yasuní (Ecuador) ausgestoßen wird. Mehr noch, Treibhausgasemissionen sind sogar weitgehend symmetrisch – negative Emissionen sind grundsätzlich möglich und können Emissionen ausgleichen (auch wenn eine wieder aufgenommene Tonne CO2 hinsichtlich ihrer Klimawirkung mit einer vermiedenen Tonne nicht perfekt identisch ist). Diese zeitliche und räumliche Homogenität der Schadstoffwirkung erlauben sehr klare, lehrbuchmäßige Aussagen über die Wirkung von Politikinstrumenten, insbesondere die Effizienz von anreizbasierten Instrumenten (CO2-Steuern, Zertifikatshandel) gegenüber starrem Ordnungsrecht.
Darüber hinaus ist Klimaschutz ein globales, nahezu reines öffentliches Gut – auch das eine Seltenheit in der realen Welt, die in Umweltökonomik-Lehrbüchern sehr willkommen ist. Niemand kann vom Genuss der Vorteile des Klimaschutzes ausgeschlossen werden, und die Tatsache, dass ich heute in Deutschland von Klimaschutzanstrengungen profitiere, schmälert keineswegs die Vorteile derselben Anstrengungen für eine noch nicht geborene Person in Indien. Dies macht die reale, politische Lösung des Problems zwar nicht einfacher – ganz im Gegenteil, reine öffentliche Güter sind hier besonders schwierig, weil ihre Bereitstellung mit sozialen Dilemmata einhergeht, gerade wenn sie globale öffentliche Güter sind. Denn die übliche Lösung von sog. Problemen öffentlicher Güter sind staatliche Eingriffe, wir verfügen aber über keine globale Regierung. Aber immerhin lassen sich die analytischen Werkzeuge der Ökonomik, einschließlich der Verhandlungs- und Spieltheorie zur Analyse globaler Klimapolitik, bestens anwenden, um zu zeigen, warum Klimapolitik so schwierig ist.
Natürlich gibt es auch Aspekte der Schadstoffgruppe der Treibhausgase (und damit des Klimaproblems insgesamt), die der Lehrbuchumweltökonomik nicht so „in den Kram passen“. Das betrifft insbesondere die hoch unsicheren und nichtlinearen Zusammenhänge zwischen Treibhausgasemissionen, Temperaturanstiegen (global und insbesondere lokal), den mit diesen einhergehenden sonstigen Klimawirkungen (Wetterextreme, Reaktionen von Ökosystemen), und damit letztlich Klimaschäden bzw. den Auswirkungen aufs menschliche Wohlergehen. Dies ist auch der Bereich der größten Kontroversen in der Klimaökonomik (neben ethischen Fragen insb. im Kontext der Diskontierung), die u. a. die Sinnhaftigkeit des Integrated Assessment Modelling, d. h. der großangelegten Kosten-Nutzen-Analysen auf der Suche nach „optimalem“ Klimaschutz, betrifft. Aber derartige Probleme gibt es auch in anderen Bereichen; die Homogenität des Schadstoffs und der nahezu reine öffentliche Gutscharakter sind hingegen einmalig.
Wie schwer Umweltökonom:innen, vor allem solche mit Hintergrund in der Klimaökonomik, sich mit weniger lehrbuchmäßigen Umweltproblemen tun, demonstriert diese kleine Anekdote: vor einigen Jahren war ich im Rahmen eines Workshops zum Thema Biodiversitätsökonomik Zeuge eines Vortrags, dessen Autor in einem globalen Modell mit einer „Biodiversitäts-Steuer“, ähnlich der CO2-Steuer, gearbeitet hat. Was er damit meinte (außer einem Modellparameter), blieb unklar. Denn Biodiversität ist nicht Klima – im Vergleich mit Letzterem ist die Biodiversität ein enorm undankbares Umweltgut. Es ist alles andere als homogen – Biodiversität an Ort A und zum Zeitpunkt X ist etwas völlig anderes als Biodiversität an Ort B und zum Zeitpunkt Y. Wesentliche Vorteile der Biodiversität fürs menschliche Wohlergehen sind lokaler Natur. Außerdem ist Biodiversität multidimensional, sie hat zahlreiche, teils widersprüchliche Wirkungen – sie ist eigentlich eher ein Bündel an Umweltgütern als ein einzelnes gut, und diese einzelnen Umweltgüter (man kann sie als Ökosystemleistungen bezeichnen, auch wenn der Zusammenhang zwischen ihnen und Biodiversität ebenfalls alles andere als einfach zu fassen ist) befinden sich in allen möglichen Bereichen des Spektrums zwischen privaten und öffentlichen Gütern. Auch kann man Biodiversität oder auch die einzelnen Ökosystemleistungen nicht so leicht messen wie bspw. CO2. All das lässt die Idee einer globalen Biodiversitäts-Steuer recht absurd anmuten – sie ist nichts anderes als ein krampfhafter Versuch, einem widerspenstigen Umweltgut umweltökonomische Lehrbuchkonzepte aufzuzwingen.
Daraus folgt selbstredend nicht, dass Klimaökonomik „einfach“ oder trivial wäre. Wie bereits angemerkt, gibt es auch da Aspekte, die sich der einfachen Welt der umweltökonomischen Lehrbücher entziehen. Und darüber hinaus ist das Klimaproblem zwar vergleichsweise einfach mithilfe der analytischen Standardwerkzeuge der Umweltökonomik zu fassen – eine Lösung globaler Probleme öffentlicher Güter haben wir aber trotzdem immer noch nicht gefunden. Auf dieser praktischen Lösungsebene kann Biodiversitätsschutz unter Umständen sogar einfacher sein – er ist aber deutlich schwerer analytisch zu erfassen, was auch dazu führt, dass wir zwar vermuten können, dass das Problem lösbar ist, aber trotzdem nicht so recht wissen, wie.