Nein, dies ist kein Beitrag speziell über Greenpeace. Die Organisation ist ein besonders prominentes Beispiel für das Phänomen, dem ich mich widmen möchte, und wir haben eine Geschichte miteinander – doch ist Greenpeace mitnichten das einzige Beispiel für das besagte Phänomen. Ganz im Gegenteil, das Phänomen ist in der Umweltbewegung recht verbreitet. Es ist die Tendenz, Umweltprobleme unzulässig zu vereinfachen, damit die eigene Botschaft eine Chance hat, in der breiten Öffentlichkeit anzukommen.
Ich war einst aktiver Greenpeacer. Um 2009 herum, während des Studiums, gründete ich die hallesche Ortsgruppe mit (es hatte vorher schon eine gegeben, sie war in der Zwischenzeit aber wieder des natürlichen Todes „gestorben“). Obwohl ich kein geborener Aktivist bin – oder vielleicht gerade deswegen – war ich eine Zeit lang gar der „GruKo“, der Gruppenkoordinator, also das Bindeglied zwischen der „Zentrale“ in Hamburg und der Ortsgruppe. Aktivist oder nicht, bin ich mit „Maisfratzen“ über den halleschen Markt gelaufen und organisierte Anti-Atom-Demos mit. Mit der Zeit habe ich mich jedoch zunehmend von Greenpeace entfremdet – ein Zeugnis dieses Prozesses ist der Beitrag Warum ich Greenpeace trotz allem gut finde von 2015. Inzwischen ist der Prozess weiter vorangeschritten und ich würde diese Aussage so eher nicht mehr machen.
Doch wie eingangs gesagt: dieser Beitrag soll sich nicht mit Greenpeace im Speziellen befassen. Aber der Grund für meine Entfremdung ist genau das Phänomen, das ich im Titel möchtegern-catchy als das „Greenpeace-Dilemma“ bezeichnet habe. Greenpeace vereinfacht; das ist an sich unumgänglich, wenn man ein breiteres Publikum erreichen wird. Doch mit der Zeit kam ich zunehmend zu dem Schluss, dass Greenpeace zu sehr vereinfacht; die Vereinfachung wird zu einer Verzerrung.
Doch genau das ist das Dilemma. Die Umweltprobleme, mit denen unsere Gesellschaft, global wie in unserer unmittelbaren Umgebung, heutzutage konfrontiert ist – allen voran Klimawandel und Biodiversitätsverlust – sind wahnsinnig komplex. Es spielen zahlreiche Faktoren eine Rolle, es gibt Zielkonflikte, potenzielle Lösungen verlangen ein ungeheures Maß an Koordination zwischen Individuen und Gruppen (bspw. Staaten), viele Details, aber auch zentrale Zusammenhänge sind mit Unsicherheiten behaftet, die Zuweisung von Verantwortung ist alles andere als klar… Wir haben es mit komplexen, dynamischen sozial–ökologischen Systemen zu tun.
Die Kommunikation dieser Komplexität in ihrer Gesamtheit ist zum Scheitern verurteilt. Sie wäre viel zu langwierig, würde bei den Adressat:innen kognitive Leistungsfähigkeit erfordern, die nicht jede:r aufbringen kann, müsste und muss ständig gegen Brandolinis Gesetz* (a.k.a. bullshit asymmetry principle) ankämpfen… Ganz zu schweigen davon, dass diese Komplexität eher abschreckend wirkt, ein Gefühl der Hilflosigkeit verursachen kann – und im Extremfall zu Fatalismus verleiten kann.
Vor diesem Problem stehen Greenpeace, Fridays for Future, Extinction Rebellion, WWF, aber auch jede „umweltbewegte“ Person, die rein individuellen Umweltschutz für unzureichend hält: damit die Botschaft eine Chance hat, erhört zu werden, muss sie vereinfacht werden. Komplexitätsreduktion ist unvermeidlich (wenn man zu ihr nicht bereit ist, kann man Wissenschaftler:in werden, was einem zwar erlaubt, sich der Komplexität zu stellen, aber gleichzeitig die Frustration mit sich bringt, ständig ignoriert zu werden; oder man zieht sich ins Private zurück). Einfache Botschaften sind attraktiv, ja (sie erscheinen) notwendig oder gar unvermeidlich. Sie sind einfacher zu verstehen, suggerieren Klarheit und Eindeutigkeit sowohl bei der Diagnose als auch bei der Therapie… Aber sie können sich auch verselbstständigen. Diese Gefahr droht insbesondere im (leider sehr realistischen) Fall, wenn man merkt, dass man immer noch nicht erhört wird. Oder dass es zwar durchaus Veränderungen in der Rhetorik der öffentlichen Debatte gibt, der Rhetorik aber kaum Taten folgen. Dann macht man die Botschaft eben noch einfacher, oft noch konfrontativer (nichts ist einfacher und „menschlicher“ als klare, eindeutige Schuldzuweisungen). Es ist ein Prozess – kein binärer Sprung von „akzeptabel einfach“ zu „unzulässig verzerrend“, sondern eine iteratives Hin-und-her. Und kurzfristig erscheint die zusätzliche Vereinfachung opportun, befeuert von der Hoffnung, vielleicht doch mehr Menschen zu erreichen, diesmal wirklich. Letztlich untergräbt man aber seine eigene Glaubwürdigkeit. Die Vereinfachungen verfestigen sich zu Dogmen, die die Komplexität der Probleme und letztlich auch wirksame Lösungswege verdecken.
Was folgt aus alledem? Das Minimalziel dieses Beitrags war es, bei den Kritiker:innen von Greenpeace & Co. ein bisschen mehr Verständnis für das Verhalten der „anderen Seite“ zu generieren. Doch die deutlich wichtigere Frage ist natürlich, ob es eine Alternative gibt zur „komplexitätstreuen“ Frustration, das man nur die eigene Echokammer erreicht, einerseits, und der unzulässig weit getriebenen Komplexitätsreduktion andererseits. Wobei Letztere offensichtlich nicht einmal für sich beanspruchen kann, zumindest eine, instrumentell betrachtet, erfolgreiche Strategie zu sein… Gibt es also einen dritten Weg, der nicht Fatalismus oder Leugnung ist? Das weiß ich nicht. Wenn ich einen wüsste, würde ich nicht einen armseligen Blog für die eigene Echokammer (s. oben) schreiben, sondern mir den Weg in Talkshows und Zeitungsspalten prügeln.
Was bleibt, ist ein krampfhaftes, recht hoffnungsloses Festhalten an der Komplexität. Es ist (noch?) kein Fatalismus, denn Fatalismus negiert die Möglichkeit der Problemlösung; ich halte sie „lediglich“ für extrem unwahrscheinlich angesichts dessen, wie Menschen (insbesondere im Plural, als Kollektiv) ticken. Solange mir keine:r das Gegenteil beweisen kann, habe ich vor, mit meiner Forschung dazu beizutragen, dass potenzielle Lösungen zumindest da sind, sollten wir uns als Gesellschaft(en) jemals dazu durchringen, die Probleme tatsächlich anzugehen. Das ist meine „Lösung“ des Greenpeace-Dilemmas. Ich halte sie aber (leider) nicht direkt für erfolgsversprechender als die Alternative.
* “The amount of energy needed to refute bullshit is an order of magnitude bigger than to produce it.” (Alfredo Brandolini, 2013)