Das Verursacherprinzip gilt gemeinhin als eines der wichtigsten Prinzipien der Umweltpolitik. Leider ist es wegen der komplexen Natur der meisten Umweltprobleme nur selten (wenn überhaupt) wirklich anwendbar. Die Landwirtschaft ist dabei ein hervorragendes Anschauungsobjekt.
Ein Blick auf die Debatten um die Umweltwirkungen der Landwirtschaft zeigt sehr schnell, dass die Identifikation der Verursacher*innen alles andere als leicht ist: sind es die Landwirt*innen? Die Konsument*innen? Ist gar die Politik schuld an der Misere? Oder die Lebensmittel- oder Biotechkonzerne? Diese Schwierigkeit, die Verantwortung für Umweltprobleme einer bestimmten Gruppe zuzuordnen, ist eigentlich nichts Überraschendes – bereits Ronald Coase wies darauf hin, dass sich Umweltprobleme als Nutzungskonflikte auffassen lassen, in denen es keine klare „Verursacherseite“ gibt. Diese Nutzungskonflikte sind zwar mitnichten so symmetrisch, wie gängige Interpretationen von Coase suggerieren, doch ist seine Erkenntnis insofern richtig, als wir es bei den meisten Umweltproblemen im Grunde mit einem Scheitern kollektiven Handelns zu tun haben – an dem verschiedene gesellschaftliche Gruppen und Entitäten (z. B. Unternehmen) beteiligt sind. Im Folgenden schaue ich mir das am Beispiel der Landwirtschaft etwas näher an.
Die drei Hauptkandidat*innen für den Titel des „Verursachers“ von Umweltproblemen in der Landwirtschaft scheinen Landwirt*innen, Konsument*innen und die Politik zu sein. Konzerne werden zwar bei bestimmten Problemen kritisiert, stehen aber im Großen und Ganzen eher im Hintergrund der Aufmerksamkeit.
Landwirt*innen sind die „offensichtlichsten“ Bösewichte – letztendlich sind sie (bzw. eigentlich: manche von ihnen, denn es ist eine heterogene Gruppe) es, die Monokulturen anbauen, überdüngen, Pestizide spritzen… Sie sind an den Umweltproblemen, die von der Landwirtschaft ausgehen, direkt dran. Gleichwohl sind landwirtschaftliche Betriebe Unternehmen – keine gewöhnlichen, aber doch Unternehmen. Sie sind demzufolge starken Marktzwängen ausgesetzt, gerade was Abnahmepreise anbetrifft – die zum einen für viele Produkte letztlich die Lage auf den Weltmärkten widerspiegeln, zum anderen einiges mit asymmetrischer Marktmacht zu tun haben. Denn Agrarmärkte weisen Monopson-Eigenschaften auf – sehr vielen Anbietern stehen weniger Abnehmer (Verarbeiter, Schlachthöfe, Einzelhandelsketten…) gegenüber. Da umweltfreundliche Anbaumethoden mit Zusatzkosten einhergehen, ist der Spielraum der meisten Betriebe relativ gering. Es ließe sich also argumentieren (und wird seitens der Landwirt*innen, ihrer Verbände und ihnen nahestehenden Politiker*innen oft argumentiert), dass man landwirtschaftlichen Betrieben hier nichts vorwerfen könne, solange sie (a) sich an gesetzliche Vorgaben halten und (b) die Konsument*innen nicht bereit seien, für Lebensmittel mehr zu zahlen. Was die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben anbetrifft, gibt es durchaus Hinweise, dass zumindest kleinere Verstöße aufgrund der Monitoring-Schwierigkeiten nicht unüblich sind. Doch es ist korrekt, dass sogar eine durchgehende Einhaltung die Umweltprobleme der Landwirtschaft nicht nennenswert lösen würde. Auf der anderen Seite – es sind auch Landwirt*innen, die lautstark gegen Anhebungen der gesetzlichen Vorgaben protestieren. Eindeutig ist die Verantwortungslage hier dennoch nicht.
Wie ist es dann mit Konsument*innen? Wenn wir alle eine umweltfreundliche Landwirtschaft wollen – und das deklarieren wir zumindest in großer Mehrheit –, was hindert uns daran, entsprechend anders zu konsumieren und die Mehrkosten umweltfreundlicher Produktion (wörtlich) in Kauf zu nehmen? Da ich mich diesem Problem an anderer Stelle (hier und hier) bereits ausführlicher gewidmet habe, sei nur gesagt: auch wenn ich die Kritik an Konsument*innen zum Teil für berechtigt halte, ist die Problematik hier doch wesentlich komplizierter als „Alles Heuchler, die bessere Umwelt umsonst haben wollen!“ Diese Komplexität verbietet es, Konsument*innen zu alleinigen Verantwortlichen zu machen. Nichtsdestotrotz dürfte es schwierig (wenn nicht gar unmöglich) sein, die von der Landwirtschaft ausgehenden Umweltprobleme zu lösen, wenn wir alle unsere Konsummuster nicht verändern. Abgesehen von der starken Preisorientierung sind unsere Konsumgewohnheiten zum Beispiel deswegen mit einer umweltfreundlichen Produktion nicht vereinbar, als sie (insbesondere die Menge der konsumierten tierischen Produkte) zu große Flächenbedarfe aufweisen. Und auch Verschwendung geht zum großen Teil auf die Kappe der Konsument*innen (s. Abbildung).

Ist es also vielleicht doch die Politik, die nicht genug tut, obwohl Konsument*innen es doch wollen und Landwirt*innen „auf eigene Faust“ nur beschränkte Möglichkeiten haben? Letztlich ist es die Politik, die den Rahmen für unser individuelles Handeln (sowohl auf Konsum- als auch auf Produktionsseite) setzt und für die Sicherung der Bereitstellung öffentlicher Güter zuständig ist (wie auch in der aktuellen Leopoldina-Stellungnahme gefordert). Es ist eine gängige Strategie beider Seiten des Konflikts, der Politik Versagen vorzuwerfen. Bloß adressiert man in der Regel verschiedene Ministerien – während die „Öko-Seite“ (vertreten bspw. durch Wir haben es satt!) vor allem das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zur Zielscheibe wählt, richten sich die Klagen der Landwirt*innen vor allem gegen das Bundesumweltministerium (BMU) sowie das Umweltbundesamt (UBA), bis hin zu Gerichtsklagen gegen Umweltministerin Svenja Schulze. Gegen die Interpretation, die Politik sei schuld, wird andererseits oft eingewandt, dass die aktuelle Agrarpolitik das Ergebnis von Jahrzehnten des Lobbyismus insbesondere seitens des Deutschen Bauernverbands sei. Also seien doch die Landwirt*innen schuld und sollten sich nicht beschweren, dass ihnen Umweltzerstörung vorgeworfen wird. Andererseits wird gelegentlich bezweifelt, dass der DBV wirklich die Interessen der deutschen Landwirt*innen vertritt, und auch die anekdotische Evidenz aus dem Twitter-Thread unten legt nahe, dass man zwischen der Lobby durch den DBV und den Wünschen und Interessen der Landwirt*innen trennen sollte. [UPDATE 18.6.: laut einer Forsa-Umfrage von 301 Landwirt*innen, letztes Jahr vom NABU in Auftrag gegeben, fühlt sich die Mehrheit der Befragten eher oder sehr schlecht von DBV gegenüber der Politik vertreten. Danke an Magdalene Trapp für den Hinweis!]
Letztlich reagiert die Politik im Großen und Ganzen darauf, was sie an Signalen von der Wählerschaft (und von Lobbyverbänden) erhält. Und diese sind, was die Ausrichtung der Agrarumweltpolitik anbetrifft, eher widersprüchlich und geprägt von Schuldzuweisungen.
Diese Widersprüche und Schuldzuweisungen haben ihre Ursache letztlich darin, dass Umweltschutz in der Landwirtschaft ein facettenreiches Problem ist, das sich eindeutigen Verantwortungszuweisungen entzieht. Doch genau wegen der „fragmentierten“ Verantwortung sind Umweltprobleme so schwer zu lösen. Auf der einen Seite hat dies eine psychologische Komponente – warum sollte ich mein individuelles Handeln umstellen, wenn doch Andere mindestens genauso viel, wenn nicht gar mehr, zu Umweltproblemen beitragen? Auf der anderen Seite gibt es zu der psychologischen Komponente noch ein politisches Pendant – da es keine klar identifizierbaren Verursacher*innen gibt, dürften sich die besonders Betroffenen eines jeden politischen Lösungsversuchs unfair behandelt und gegenüber Anderen übermäßig belastet sehen. Zweierlei ist daher notwendig (ob es hinreichend ist, weiß ich nicht): zum einen ein Dialog zwischen den Beteiligten, der die konstruktive Suche nach Lösungen zum Ziel hat, anstatt von Schwarz-Weiß-Malerei und Schuldzuweisungen bestimmt zu sein. Dies beinhaltet auch eine Verabschiedung von einfachen Lösungen und eine Einsicht, dass jede Lösung mit Zielkonflikten einhergeht.
Zum anderen sind umfassende, aufeinander abgestimmte Politikansätze notwendig. Zu lange wurde die Agrarumweltpolitik rein angebotsseitig gedacht, trotz der regelmäßigen Rufe z. B. nach einer Common Food Policy. Die Farm-to-Fork-Strategie (F2F) der Europäischen Kommission, eine Teilstrategie des European Green Deal, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings ist das Verhältnis der Strategie sowie des Green Deal insgesamt zur aktuell geplanten Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU weiterhin unklar – damit angebots- und nachfrageseitige Politiken sowie Ansätze entlang der gesamten Wertschöpfungskette aufeinander abgestimmt werden und auf dasselbe Ziel hinarbeiten können, bedarf es einer wesentlich grundlegenderen Reform der GAP, als bisher geplant (einige konkrete Vorschläge findet man in einem aktuellen Artikel, dessen zentrale Botschaften in Form eines offenen Briefs von 3600 Wissenschaftler*innen unterzeichnet wurden, darunter meine Wenigkeit: Action needed for the EU Common Agricultural Policy to address sustainability challenges, sowie in der bereits erwähnten Leopoldina-Stellungnahme).