Modelle für die Agrarumweltpolitik

Eine der großen Herausforderungen der Agrarumweltpolitik ist (regelmäßige Leser*innen dieses Blogs werden meine „alte Laier“ wiedererkennen) die Heterogenität der Landwirtschaft, d. h. die räumlich stark variierenden biophysikalischen, wirtschaftlichen, sozialen Bedingungen der einzelnen Regionen, Betriebe und Felder. Wissenschaftliche Erkenntnisse, die an einem Standort generiert wurden (bspw. hinsichtlich des Einflusses einer Maßnahme wie Blüstreifen auf ein bestimmtes Umweltziel wie Biodiversität), können nicht 1:1 auf andere Standorte übertragen werden. Gleichzeitig ist der Aufwand, alle Umwelteffekte einer jeden Maßnahme und Praktik an jedem Standort zu messen, zu groß. Genau deswegen gibt es Modelle. Und diese können für die Agrarumweltpolitik sehr nützlich sein.

Die Art von (ökologischen bzw. biophysikalischen) Modellen, die ich meine, dient im weitesten Sinne der Verallgemeinerung von Zusammenhängen, die an einer Auswahl von Standorten festgestellt wurden, auf weitere Standorte. Dafür kommen sowohl sog. prozessbasierte bzw. mechanistische als auch sog. statistische Modelle in Frage (sowie Mischungen aus beiden). Prozessbasierte/mechanistische Modelle beschreiben in vereinfachter Form und theoriebasiert tatsächliche Zusammenhänge (Prozesse, Mechanismen) zwischen verschiedenen Variablen, die bspw. den Effekt des Pflügens auf Wasserspeicherung im Boden, und zwar anhand zahlreicher Zwischenschritte beschreiben. Dafür ist ein sehr genaues theoretisches und empirisches Verständnis der Zusammenhänge in dem beschriebenen System notwendig. Statistische Modelle hingegen stellen deutlich geringere Ansprüche an unser Verständnis – sie bedürfen dafür eine hohen Menge an Daten über „gemeinsames Auftreten“ verschiedener Maßnahmen und dazugehöriger Umwelteffekte. Das System (z. B. der Boden) wird dabei als eine Black box betrachtet, und es werden lediglich statistische Zusammenhänge zwischen einer ausgewählten Teilmenge der relevanten Parameter ermittelt (etwa „wenn A, dann B“, aber ohne das „warum?“, das prozessbasierte Modelle mitliefern). Derartige Modelle unterliegen den immer mehr aus dem Boden sprießenden „Entscheidungsunterstützungssystemen“ (decision-support systems, DSS), die den Landwirt*innen als digitale Helferleins zur Seite stehen sollen.

Wie kann dann die Verwendung solcher Modelle in der Agrarumweltpolitik praktisch aussehen? Das haben ein paar Kolleg*innen vom UFZ in Halle sowie von der Universität Lund in Schweden und ich kürzlich in dem Artikel Payments by modelled results: A novel design for agri-environmental schemes beschrieben (Artikel; kostenloser Preprint). Darin wollten wir zeigen, wie Modelle genutzt werden können, um Agrarumweltprogramme flexibler und effektiver zu gestalten (s. Abbildung unten), und haben dies beispielhaft anhand von Bodium, dem im Rahmen von BonaRes entwickelten systemischen Bodenmodell illustriert.

Schematische Darstellung der Zahlungen für modellierte Ergebnisse (payments by modelled results, PAMR) (Bartkowski et al., 2021) [Abbildung erstellt von William Sidemo-Holm; Lizenz: CC BY 4.0].

Die Idee ist etwa folgende: mithilfe einer von dem Modell unterstützten und mit bereits verfügbaren räumlich expliziten Daten gespeisten Applikation könnten Landwirt*innen für ihre Flächen sehen, welche Änderungen (Verbesserungen oder Verschlechterungen) in Bodenfunktionen sich durch die Umsetzung bestimmter Bewirtschaftungsmaßnahmen ergeben würden. Für jede Bodenfunktion würde die zuständige Behörde Zahlungen definieren, sodass flächen- und bewirtschaftungsspezifisch „Paketzahlungen“ angeboten werden könnten. Da Bodium auch Biomasse-Erträge mitmodelliert, erhielten teilnehmende Landwirt*innen vorab eine Abschätzung der Ertragsveränderungen, die von den Bewirtschaftungsänderungen ausgehen würden (wie manche DSS es tun).

Welche Vorteile hätte ein solches modellbasiertes Agrarumweltprogramm? Erstens, es wäre flächenspezifischer und flexibler als die üblichen, recht starren Agrarumweltprogramme, in denen die Zahlungen von der Umsetzung ganz klar umrissener, für alle Betriebe und Flächen gleich oder ähnlich geltender Maßnahmen abhängen. Zwar müssten die Landwirt*innen sich weiterhin an vorab festgelegte Bewirtschaftungspläne halten, diese würden aber flächenspezifisch und mit vielen individuellen Gestaltungsoptionen zusammen mit den Landwirt*innen (unterstützt durch die modellbasierte Applikation) festgelegt. Zweitens, es wären trotzdem keine aufwendigen Messungen der Umwelteffekte notwendig – die Entlohnung wäre auf den Vorhersagen des Modells basiert. Drittens, und damit einhergehend, es bestünde keine Gefahr für die teilnehmenden Landwirt*innen, dass ihre Anstrengungen durch Wetter, Krankheiten oder sonstige schwer kontrollierbare Schocks konterkariert und sie dadurch um die Zahlungen gebracht werden (was bei ergebnisorientierten Agrarumweltprogrammen, bei denen auf Grundlage von gemessenen Indikatoren entlohnt wird, passieren kann).

Natürlich ist ein solches modellbasiertes Programm nicht in jedem Fall sinnvoll. Wo bspw. die Messung der erwünschten Umwelteffekte relativ einfach und die Unsicherheiten gering sind, wären indikatorenbasierte ergebnisorientierte Zahlungen sinnvoller. Auch in Fällen, wo die Maßnahmenwirkung wenig variiert, könnte man auf die aufwendige Modellierung verzichten. Außerdem – und das ist wohl die größte Herausforderung – bedarf es für modellbasierte Zahlungen eines sehr leistungsfähigen, umfassend validierten und von Stakeholdern (insb. Landwirt*innen) akzepzierten Modells. In BonaRes hoffen wir, dass Bodium in ein paar Jahren diese Bedingungen erfüllen kann. Aber man sollte nicht vergessen, dass ein Modell ein Modell bleibt, d. h. eine vereinfachte und imperfekte Abbildung der Realität.

Nichtsdestotrotz können Modelle in bestimmten Kontexten zu einer Verbesserung der Wirksamkeit der Agrarumweltpolitik führen. Da ist unser PAMR-Ansatz natürlich nicht der einzig mögliche Weg. Ein anderes, etwas anders gelagertes Beispiel ist der von Kolleg*innen vom UFZ und der BTU Cottbus entwickelte EcoPay-Ansatz, dessen Grundidee PAMR ähnelt, der aber eine andere Zielgruppe adressiert (Behörden) und in einem anderen Umweltkontext (Biodiversität von Grünlandflächen) entwickelt wurde. Und noch viel mehr Beispiele finden sich bspw. in dem OECD-Bericht Digital Opportunities for Better Agricultural Policies.

Was in jedem Fall unumgänglich ist (und eine große Herausforderung), wenn Modelle tatsächlich die Agrarumweltpolitik besser machen sollen: Stakeholder, sowohl Landwirt*innen als auch Vertreter*innen der zuständigen Behörden, müssen so früh wie möglich einbezogen werden. Nur dann können die Modelle so entwickelt bzw. angepasst werden, dass sie dem speziellen Kontext, für den sie angedacht sind, gerecht werden. Sonst läuft man schnell Gefahr, vielleicht hoch leistungsfähige und wissenschaftlich einwandfreie Modelle zu nutzen, die jedoch von den Betroffenen nicht akzeptiert werden und daher letztlich in einer technokratischen Agrarumweltpolitk münden, die auf lange Sicht nicht funktionieren kann.

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