Seit 2–3 Jahren schreibe ich hier vermehrt über Landwirtschaft. Das spiegelt meine Forschung wieder, die sich seit Anfang 2017 um Landwirtschaft und ihre Umweltwirkungen dreht. Da stellt sich mir selbst (und meinen Leser*innen, Twitter-Follower*innen etc. vermutlich auch) öfters die Frage: darf ich überhaupt aus einer vermeintlichen Autoritätsposition (da „Wissenschaftler“) über Landwirtschaft reden?
Ich bin Städter. In einer polnischen Großstadt geboren und aufgewachsen, in einer mittelgroßen deutschen Stadt erwachsen geworden, nun in einer deutschen Großstadt sesshaft. Daran ändert auch nichts, dass ich kürzlich an den Rand der Stadt in ein de-facto-Dorf (formal immer noch Teil der Stadt) umzog. Um ehrlich zu sein, hat mich Landwirtschaft bis ca. Anfang 2017 kaum interessiert (mit Ausnahme grüner Gentechnik, mit der ich schon vorher in „Berührung“ kam). Mein Opa hatte zwar vor meiner Geburt jahrelang ein PGR (Państwowe gospodarstwo rolne; Staatlicher landwirtschaftlicher Betrieb, polnisches Pendant zur LPG/VEG) geleitet, aber das interessierte mich früher nicht – und als ich mich letztens endlich mit ihm darüber unterhalten habe, stellte er selbst fest, dass die Ostblock-Landwirtschaft von damals mit der modernen Landwirtschaft kaum etwas gemein hatte und er die heutigen Praktiken gar nicht versteht. Symbolcharakter hat für mich in diesem Kontext meine eigene Verwirrung, als ein Projekt-Kollege mit ausgiebiger landwirtschaftlicher Erfahrung vom „Grubber“ sprach – und ich das Wort vorher nie gehört hatte. Das war ca. 2017.
Denn 2017 stieg ich, unmittelbar nach dem Abschluss meiner Promotion (die sich noch mit anderen Themen befasste), mehr oder minder zufällig bei BonaRes ein, einem BMBF-finanzierten Großprojekt, das sich mit der nachhaltigen Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Böden befasst. Ich sollte die Arbeit zu ökonomischer Bewertung (mein Promotionsthema) und Governance-Analysen übernehmen, wo ich durchaus über Expertise verfügte – allerdings in anderen Kontexten. Relativ schnell stellte ich fest, dass Landwirtschaft und Agrarumweltpolitik ein enorm spannendes Feld sind, mit zahlreichen Zielkonflikten, Spannungsfeldern und lauter gesellschaftlich relevanten, offenen Fragen.
Seitdem lerne ich also. Durch Twitter, von Kolleg*innen, die sich schon länger mit Landwirtschaft befassen, aus Büchern, durch Kooperationen mit Kolleg*innen, die – anders als ich – im Rahmen ihrer empirischen Sozialforschung direkt mit Landwirt*innen interagieren…

Es ist mühsam. Ich würde zwar behaupten, dass mein Verständnis der Landwirtschaft und der Agrar(umwelt)politik in den letzten vier Jahren einen riesigen Sprung gemacht hat – aber ich stelle trotzdem immer wieder fest, dass ich noch zahlreiche Wissenslücken habe. Daher stellt sich weiterhin die Frage: Was weiß ich schon über Landwirtschaft, der ich noch nie auf einem Bauernhof gearbeitet oder zumindest auf dem Land gelebt habe? Und darf ich mir trotzdem Aussagen über die Ausgestaltung der Agrarumweltpolitik erlauben? Zumal ich zumindest hier oft weit über die Ergebnisse meiner eigenen Forschung hinausgehe.
Dass ich hier und auf Twitter meine Meinung zu landwirtschaftlichen Themen kundtue, zeigt offensichtlich, ich die zweite Frage für mich nicht mit „Nein“ beantwortet habe. Es ist eher ein (vorsichtiges) „Ja“. Warum? Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens, man muss ein Thema nicht perfekt und in allen Details verstehen, um darüber Aussagen machen zu können – sonst wäre jeglicher Diskurs nahezu unmöglich. Wichtig ist, dass man sich der Grenzen des eigenen Wissens und Verständnisses bewusst ist. Zweitens, daraus direkt folgend und wie oben bereis angeführt, versuche ich mich abzusichern – durch wissenschaftliche Literatur, durch Abstimmung mit Anderen, die mehr Kompetenzen haben, durch Einbeziehung der Betroffenen (also insbesondere Landwirt*innen) in meine Forschung, sowie durch ständiges Lernen und die Bereitschaft, eigene Irrtümer einzugestehen. Ich sah meine eigene Kompetenz (auch als Forscher) schon immer vor allem im Zusammenführen, in der Synthese verschiedener Erkenntnisse und Perspektiven, von denen ich zwangsläufig nur in den seltensten Fällen ein wirklich tiefes Verständnis habe. Drittens, vielleicht ist die Tatsache, dass ich sozusagen „Außenstehender“ bin und keine direkten „Stakes“ habe, ein (wie Ökonom*innen gern sagen) Asset – es ist für mich dadurch leichter, sachlich und gewissermaßen neutral auf mein Forschungsobjekt zu schauen. Viertens versuche ich, meine Aussagen umso vorsichtier zu formulieren, je weiter ich mich von meinem eigenen, umweltökonomischen Expertisebereich entferne. Wenn es beispielsweise darum geht, ob Pflugverzicht zu Kohlenstoffspeicherung im Boden führt, kann ich mich nur auf mir bekannte wissenschaftliche Literatur berufen oder Expert*innen fragen; wenn es um den Handlungsspielraum von Landwirt*innen, umweltfreundliche Praktiken umzusetzen, geht, lasse ich eine Master-Studentin mit Landwirt*innen und anderen Akteuren der Landwirtschaft sprechen (da mein eigener methodischer Fokus anderswo liegt, solche Erkenntnisse für meine Arbeit aber relevant sind); anderswo kooperiere ich mit Kolleg*innen, die meine Lücken mit ihrer jeweiligen Expertise ausfüllen; und zur Ausgestaltung von Politikinstrumenten verfüge ich selbst über genug Expertise, um mir mithilfe der anderen Bausteine ein Bild zu basteln.
Was weiß ich schon über Landwirtschaft? Schwer zu sagen. Genug, um halbwegs qualifizierte Aussagen über Teilthemen zu machen. Und letztlich ist Wissenschaft sowie Wissenschaftskommunikation vor allem – Lernen. Auch wenn es manchmal schmerzhaft sein kann, wenn man ein Irrtum im eigenen Expertise-Bereich eingestehen muss, auch das ist Teil von Wissenschaft. Der Weg zur Erkenntnis ist steinig.
No, ciekawe, ciekawe myśli ma ten człowiek 🙂
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Nie ten język;-)
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Ein höflich zurückhaltender freundlicher Kommentar,überhaupt nicht vergleichbar mit aggressiven besserwissenden Schnellschüssen einheimischer Kommentatoren,die nur über Google-Wissen verfügen.
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