Nachhaltige Landwirtschaft – Summe UND Einzelteile

Zu oft werden in der Debatte um die Nachhaltigkeit der Landwirtschaft einzelne Ansätze als DIE Lösung dargestellt: Bio-Landwirtschaft, Agroforst, regenerative Landwirtschaft, Precision Farming, Community-Supported Agriculture, you name it. Eine solche one-size-fits-all-Perspektive verkennt zweierlei. Erstens, dass Landwirtschaft inhärent, von ihrem Wesen her heterogen ist – je nach Region, Betrieb, ja sogar Feld sind die natürlichen, ökonomischen, sozialen Bedingungen unterschiedlich. Zweitens, dass kein einzelner Ansatz frei von Zielkonflikten ist. Ein Denken in mehr oder weniger klar umrissenen „Modellen“ ist hier nicht zielführend. Doch es wäre genauso irreführend, nachhaltige Bewirtschaftungspraktiken atomistisch, losgelöst voneinander zu betrachten, denn zum einen bedingen sich viele Praktiken gegenseitig, zum anderen gibt es kaum welche, die nach allen Kriterien durch die Bank als nachhaltig gelten können.

Unser Wissen über nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken und Ansätze ist paradox – einerseits wissen wir dank Jahrzehnten der Forschung und praktischer Experimente durch die Landwirt*innen selbst sehr viel; andererseits wissen wir wegen der Heterogenität der Landwirtschaft und der sehr synamischen Umgebung, in der sie betrieben wird, dann doch relativ wenig. Außerdem wird Landwirtschaft in „Systemen“ betrieben; die einzelnen Bewirtschaftungspraktiken und -ansätze in einem Betrieb und sogar in einer Region bedingen einander. Wie ein Betrieb beispielsweise den Boden bearbeitet, beeinflusst die Wahl der Unkrautbekämpfungsmaßnahmen; die genutzten Vertriebswege (z. B. Großmarkt vs. Direktvermarktung) beeinflusst mitunter die Möglichkeiten zur Diversifizierung der Fruchtfolge; Investitionen in Maschinen und Gebäude bedingen die in Frage kommenden Anbau- und Zuchtstrategien (wer einen Kartoffelroder gekauft hat, bei dem wird die Kartoffel auf absehbare Zeit eine prominente Stellung in der Fruchtfolge haben); wo Schweinemast in der Region eine große Rolle spielt, dort wird viel organisch gedüngt. Dieses Systemische verleitet vielleicht einige, bestimmte noch stärker definierte Systeme als die „richtigen“, d. h. einzig sinnvollen/nachhaltigen darzustellen. Die Bio-Landwirtschaft ist das wohl prominenteste Beispiel, aber es gibt auch andere; in letzter Zeit scheinen regenerative Landwirtschaft, Precision Farming und Agroforst an Momentum zu gewinnen (so unterschiedlich umfassend sie sein mögen). Gleichwohl wissen wir eigentlich, dass der Erfolg (auch im Sinne der Nachhaltigkeit) eines jeden dieser Systeme in der Praxis von sehr vielen Faktoren abhängt und keines von ihnen als eine Blaupause für jeden Betrieb gelten kann.

Wäre es also vielleicht besser, sich von der systemorientierten Betrachtungsweise zu lösen? Sollten wir doch einzelne Praktiken betrachten und überprüfen, welche von ihnen nachhaltig sind bzw. zur Nachhaltigkeit beitragen, und welche nicht? Dies dürfte in der Tat die notwendige (obgleich nicht die hinreichende) Bedingung sein, um Landwirtschaft nachhaltiger zu machen. Doch es ist leichter gesagt als getan. Die Arbeit einer von mir mitbetreuten Doktorandin demonstriert die damit einhergehenden Probleme sehr gut. Sie stellt gerade wissenschaftliche Literatur zu „nachhaltigen“ landwirtschaftlichen Praktiken im Rahmen eines Review of reviews zusammen. Dabei werden mindestens zwei Probleme augenfällig – wie ich bereits oben schrieb, kann man Praktiken eigentlich nicht einzeln betrachten. In der Praxis gibt es „Pakete“ bzw. Bündel von Praktiken, die zwar einiges an Flexibilität bieten, aber eben nicht beliebig kombinierbar sind. Schon allein deswegen sind die Ergebnisse hinsichtlich der Nachhaltigkeit bestimmter Praktiken (wie bspw. Pflugverzicht oder Blühstreifen) nicht beliebig generalisierbar. Und auch eine isoliert betrachtete Praktik kann unterschiedlich umgesetzt werden, mit unterschiedlichem Erfolg – Blühstreifen ist nicht gleich Blühstreifen, Pufferstreifen ist nicht gleich Pufferstreifen. Das zweite Problem, das bei der Literaturanalyse offensichtlich wurde, besteht darin, dass es „nachhaltig“ so nicht gibt. Es gibt verschiedene Umweltziele, die in der Landwirtschaft relevant sind (Biodiversitäts-, Gewässer-, Klima-, Bodenschutz), und jedes dieser Ziele kann mit verschiedenen Indikatoren gemessen werden. Für manche Praktiken zeigt zumindest der Großteil der Indikatoren in eine ähnliche Richtung, bei anderen ist es nicht der Fall, und eine Praktik, die hinsichtlich aller Ziele gut abschneidet, gibt es wohl nicht. So wichtig also eine Synthese der wissenschaftlichen Erkenntnisse wie in der genannten Studie oder (im Biodiversitätskontext) bei Conservation Evidence ist, und so wichtig die Erprobung einzelner Praktiken und Maßnahmen, wie beispielsweise im Rahmen von F.R.A.N.Z. – es wäre naiv, anzunehmen, dass man allein auf dieser Grundlage für einen beliebigen Betrieb ein „Maßnahmenpaket“ zusammenstellen könnte, das „funktionieren“ wird. Und dabei gibt es noch weitere Herausforderungen außer den bereits genannten, insbesondere die Rolle des Klimawandels sowie des Wandels in der globalen wie regionalen Nachfrage nach landwirschaftlichen Produkten (bspw. durch Veränderungen in Ernährungsgewohnheiten oder durch das Erstarken der Bioökonomie). Beides kann dazu führen, dass heute nachhaltige Praktiken es morgen nicht mehr sein werden (oder sie bleiben nachhaltig, verlieren aber ihre praktische Umsetzbarkeit). Und letztlich darf man nicht vergessen, dass Veränderungen in der landwirtschaftlichen Praxis an einem Ort Konsequenzen anderswo haben (können), sei es schlicht durch Verschiebungen in relativen Preisen, sei es durch indirekte Landnutzungsänderungen.

Was lernen wir aus alledem? Das landwirtschaftliche Bewirtschaftungssystem eines jeden Betriebs ist ein in Maßen flexibles Bündel von Praktiken, die unterschiedlich nachhaltig sein können. Dabei kann es sowohl Zielkonflikte innerhalb einer Praktik, aber zwischen verschiedenen Nachhaltigkeitszielen geben, als auch Zielkonflikte zwischen verschiedenen Praktiken geben. Gleichzeitig können gut gewählte Bündel aus Praktiken zu Synergien führen, sodass die Schwäche einer Praktik durch die komplementäre Stärke einer anderen behoben werden kann. Das Ganze ist in diesem Sinne „mehr als die Summe der Einzelteile“ (noch stärker wird diese sog. Emergenz, wenn wir unseren Blick von der Betriebs- auf die Landschaftsebene heben). Nichtsdestotrotz kann das Denken in unnötig starren „Modellen“ problematisch werden, beispielsweise wenn bestimmte Praktiken kategorisch ausgeschlossen werden, weil sie mit dem abgelehnten Gegenmodell assoziiert werden, aber an sich das Potenzial hätten, im Rahmen eines Alternativmodells Positives zu bewirken (das gilt beispielsweise für Genome Editing oder Pestizide als ein Mittel „of last resort“ im Kontext der Bio-Landwirtschaft). Am Ende braucht man also beides – sowohl einen Blick für die einzelnen Praktiken als auch für „das große Ganze“, denn letztlich bedingen die Ersteren die tatsächlichen Umweltwirkungen, sie wechselwirken aber gleichzeitig im Rahmen des „großen Ganzen“, sodass dessen spezifische Zusammensetzung für die Gesamtwirkung entscheidend ist.

Zum Schluss bleibt kurz die Frage: was bedeutet dies für die Agrarumweltpolitik? Zweierlei Schlussfolgerungen liegen auf der Hand: Erstens, mit grundsätzlichen Verboten einzelner Praktiken sollte sehr vorsichtig umgegangen werden, denn es kann sein, dass man durch ein scheinbar „unschuldiges“ Verbot eine Kette von nichtintendierten Folgen auslöst, deren Gesamteffekt mitunter schlimmer sein kann, als das ursprünglich Verbotene (wenn bspw. ein verbreitetes Totalherbizid durch einen Mix aus toxischeren Spezialmitteln und intensiverer Bodenbearbeitung ersetzt wird). Zweitens, wo immer nur möglich, sollten Anreize für die gemessene Erreichung konkreter Umweltziele gesetzt werden, nicht lediglich für das Umsetzen von vermeintlich deren Erreichung zuträglichen Praktiken. Statt also Agrarumweltzahlungen für Blühstreifen anzubieten, sollte man eher gemessene Biodiversitätssteigerungen honorieren, wie auch immer sie erreicht wurden. Bei allen Herausforderungen, die mit ergebnisorientierten Politikinstrumenten einhergehen, nur sie werden der Vielfalt der Landwirtschaft und ihrer lokalen Bedingungen gerecht.

Die Lunzberge bei Halle, eine Porphyrkuppenlandschaft mit Landwirtschaft und Naturschutz.

2 Gedanken zu “Nachhaltige Landwirtschaft – Summe UND Einzelteile

  1. Hallo Herr Bartkowski,
    ich verfolge Ihren Blog schon eine ganze Weile und bin positiv überrascht über Ihre sehr differenzierte Herangehensweise an manche Probeme. Da habe ich schon ganz andere Erfahrungen gemacht…
    Ich lehre an der Hochschule Anhalt „Technologie und Ökonomie der Pflanzenproduktion“ (im weitesten Sinne) vor allem bei den Landwirten und habe bei einem Blog von Ihnen gelesen, dass Sie hier auch Gastvorträge halten. Habe ich nicht gewußt, bestimmt bei den Naurschützern. Hier liegt auch ein Grundproblem, auch in der Ausbildung: Es gibt kaum Verknüpfungen zwischen den verschiedenen grünen Studiengängen. Ausser ein paar Grundlagenfächer wie Bodenkunde, was die zusammen machen (teilweise), findet kaum was statt. Es gab mal eine studentische Initiative „Landwirtschaft trifft Naturschutz“, die aber wie so oft an Personen hing und weitestgehend eingeschlafen ist..
    Unter anderem lehre ich im Modul „Agrarpolitik und Agrarmarktlehre“ den Teil „Grundlagen der Agrarpolitik“ (1/3 des Moduls), und hier mache ich eine Vorlesung zum Agrarumweltpolitik, immer im Wintersemester. Vielleicht ließe sich das ja mit Ihren anderen Verpflichtungen kombinieren..
    Ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns in Strenzfeld mal über den Weg laufen würden

    Viele Grüße
    Michael Schenk

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    • Danke! Und ja, diese Trennung ist Teil des Problems (auf beiden Seiten). Obwohl es nach meiner Wahrnehmung immer mehr Bemühungen gibt, in der Lehre, durch Veranstaltungen etc. Brücken zu schlagen. Zu den konkreten Konsequenzen für unser beider Aktivitäten an der HS Anhalt schreibe ich Ihnen gleich eine E-Mail.

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