Wie ist es nun mit Bio-Lebensmitteln und Klimaschutz?

Kürzlich sorgte eine britische Studie zu den Treibhausgasemissionen von Bio-Landwirtschaft für einigen Wirbel. Obwohl ich die Ergebnisse der Studie für sehr interessant und relevant halte, gilt es bei ihrer Interpretation einiges zu beachten. Daher hiermit: der Versuch einer Einordnung.

Erst einmal zu der Studie selbst: sie untersuchte die Klimawirkungen (=Änderungen in Treibhausgasemissionen) eines Übergangs zu 100% Bio-Landwirtschaft in England und Wales. Da es sich um ein counterfactual scenario handelt, nutzten die Autoren der Studie Modelle, um die besagten Klimawirkungen abzuschätzen. Dabei kommt heraus, dass die mit landwirtschaftlicher Produktion einhergehenden Treibhausgasemissionen um bis zu 50% steigen würden. Interessanterweise ist die Inlandwirkung insgesamt positiv (Emissionsreduktion) – bei einigen Agrarprodukten ist Bio-Landwirtschaft weniger treibhausgasintensiv, auch wenn es Ausnahmen gibt, bspw. Rindfleisch (wegen der deutlichen höheren Lebensdauer der Tiere bis zum Schlachten sowie des relativ ineffizienten Futters). Hinzu kommt die Kohlenstoffspeicherung in Böden, die in der Bio-Landwirtschaft deutlich höher ausfällt. Dennoch ist der Vorteil bei der Bio-Landwirtschaft insgesamt relativ gering und wird (mehr als) ausgeglichen durch die deutlich gestiegenen Lebensmittel-Importe. Da Bio-Landwirtschaft signifikant weniger produktiv ist, d. h. pro ha deutlich weniger produziert werden kann, muss – unter der Annahme einer unveränderten Nachfrage – die „Lücke“ durch Importe gestopft werden. Dabei liegt die relativ geringe Produktivität an zweierlei: zum einen geht es schlicht um oft weniger ertragsreiche Sorten sowie den Verzicht auf ertragssteigernde Inputs; zum anderen bedarf Ökolandbau des Anbaus von Leguminosen zur Steigerung der Stickstoffversorgung im Boden und damit längerer Fruchtfolgen (laut einem Lehrbuch der Ökologischen Landwirtschaft, das ich gerade lese, sollten Leguminosen ca. ein Drittel [!] der Fruchtfolge ausmachen). Für Marktfrüchte und Futterpflanzen gleichermaßen bleibt damit deutlich weniger Fläche übrig als in der konventionellen Landwirtschaft. Insgesamt führt dies je nach Annahmen bezüglich dessen, woher das zusätzliche Land im Ausland kommt (Grünlandumbruch?), zu einem Anstieg der Treibhausgasemissionen von ca. 0% bis mehr als 50% („mittleres Szenario“ 21%).

Vergleich der Treibhausgasemissionen und Flächenbedarfe zwischen Bio- und konventioneller Landwirtschaft bei Ackerpflanzen (Smith et al. 2019)
Vergleich der Treibhausgasemissionen und Flächenbedarfe zwischen Bio- und konventioneller Landwirtschaft bei tierischen Produkten (Smith et al. 2019)

Obwohl die Studie durchaus sehr interessant und erkenntnisbringend ist, gibt es mindestens zwei wichtige Einschränkungen zu beachten: Erstens, sie befasste sich mit der englisch–walisischen Landwirtschaft. Zweitens ging sie von einer unveränderten Nachfrage aus. Beides würde ich nicht als Versäumnisse bezeichnen – es sind völlig legitime Entscheidungen beim Design der Studie und sie machen diese weder uninteressant noch irrelevant. Nichtsdestotrotz sollte man sie bei der Interpretation der Ergebnisse und vor allem bei ihrer Generalisierung unbedingt beachten.

Die erste Einschränkung ist relativ banal und betrifft die Tatsache, dass die Studie von Smith und Kollegen die englische und walisische Landwirtschaft modellierte. Wie überall, weist dieses System historisch, klimatisch und politisch bedingte Besonderheiten auf. So sind die englischen und walisischen Agrarlandschaften beispielsweise sehr Grünland-dominiert (über 50% der Flächen in England, fast 100% in Wales – in Deutschland beträgt der Grünlandanteil an landwirtschaftlicher Fläche ca. ein Drittel). In Wales sind 80% der Flächen als „benachteiligte Gebiete“ (less favoured areas) ausgewiesen, die sich durch vergleichsweise niedrige Produktivität auszeichnen (daher auch die hohen Grünlandanteile). Auch was angebaut wird, unterscheidet sich zwischen England/Wales und Deutschland – während Weizen in beiden Regionen an erster Stelle steht, wird hierzulande deutlich mehr Mais angebaut, während in England Gerste an zweiter Stelle der häufigsten Anbaupflanzen steht. Was diese Beispiele verdeutlichen sollen: so wie man die englisch–walisische Landwirtschaftsstruktur nicht 1:1 anderswo hin übertragen könnte, so kann man auch die Ergebnisse der Smith-et-al-Studie nicht ohne Weiteres übertragen. Das ist in einigen Medienberichten leider etwas untergegangen.

Die vermutlich wichtigere und für mich als Ökonom auch deutlich spannendere Einschränkung der Studie betrifft die Tatsache, dass die Autoren von einer unveränderten Nachfrage nach Lebensmitteln (und anderen landwirtschaftlichen Produkten) ausgegangen sind. Auch dies ist eine völlig legitime Entscheidung – aber für die Interpretation der Ergebnisse entscheidend. Denn die Vernachlässigung von Nachfrage-Effekten bedeutet, dass die Studienergebnisse keine direkte politische Relevanz haben. Ein Wandel zu 100% Bio-Landwirschaft (ich sehe an dieser Stelle von der Frage ab, wie der Wandel herbeigeführt werden soll) würde ganz grundsätzlich zu einem deutlichen Anstieg von Preisen für Agrarprodukte führen – was grundsätzlich erst mal zu einem Rückgang der Nachfrage führen würde. Bereits das wäre ein Effekt, der die Aussagekraft der Ergebnisse von Smith und Kollegen deutlich beeinflusst. Doch noch spannender wären erwartbare Veränderungen in relativen Preisen – manche Bio-Produkte sind nicht wesentlich teurer als ihre „konventionellen“ Pendants, bei anderen hingegen ist der Preisunterschied relativ hoch. Das liegt u. a. daran, dass sich unterschiedliche Agrarprodukte unterschiedlich gut mit der ökologischen Anbauweise vertragen. So wird in der Bio-Landwirtschaft beispielsweise relativ wenig Raps angebaut, weil das Ertragsrisiko (die Wahrscheinlichkeit von Ernteausfällen durch Schädlingsbefall, Unterversorgung mit Stickstoff etc.) relativ hoch ist. Dies bedeutet aber, dass es innerhalb der Nachfrage zu Verschiebungen kommen würde – manche (relativ teure) Produkte würden zumindest teilweise durch andere (relativ günstige) „substituiert“ werden. Da zwischen den einzelnen Produkten nicht nur Substituierbarkeit, sondern auch Komplementaritäten bestehen (bspw. zwischen Brotgetreide und Käse), dürften die Nachfrage-Effekte insgesamt recht komplex sein.

Sehr interessant in diesem Kontext ist die Studie [hier ohne Paywall] von Hanna Treu (damals HU Berlin, inzwischen Thünen-Institut) und anderen, in der die Klima- und Landnutzungswirkungen von Diäten untersucht wurden – einer „konventionellen“ (keine Bio-Lebensmittel) und einer „ökologischen“ (großer Anteil an Bio-Lebensmitteln). Dabei wurden tatsächliche Diäten zugrunde gelegt, die in der zweiten Nationalen Verzehrsstudie (NVSII) erhoben worden waren. Die Zusammensetzung der Diäten aus der NVSII wurde dabei mit Informationen aus der Life-Cycle-Assessment (LCA)-Literatur verknüpft, um die relativen Klima- und Landnutzungswirkungen der beiden „Extremdiäten“ (in der NVSII wurden noch weitere „grauschattierte“ Diäten ermittelt) abzuschätzen und miteinander zu vergleichen. Das Ergebnis: da es bei der Landnutzung zwar große Unterschiede gibt, Bio-Konsument*innen sich aber anders ernähren (u. a. 45% weniger Fleisch, mehr Gemüse), sind die Kohlenstoff-Fußabdrücke der beiden Diäten vergleichbar. Eine „ökologische“ Diät bedarf schon allein wegen der geringeren Energiedichte der weniger fleischlastigen Ernährung sowie wegen des deutlich höheren Flächenbedarfs gerade der Fleischproduktion viel mehr Land (ca. 40% mehr). Insgesamt zeigt die Studie also, dass viele Faktoren die relativen Klima- und Landnutzungswirkungen von Diäten beeinflussen.

Natürlich kann man auch die Studie von Treu und anderen nicht ohne Weiteres generalisieren – sie geht vom Status Quo aus, dabei ist anzunehmen, dass die Zusammensetzung der beobachteten „ökologischen“ Diät im Vergleich mit der „konventionellen“ nicht nur (wahrscheinlich nicht einmal vorrangig) relativen Preisen geschuldet ist, sondern eher dem Lebensstil der aktuellen Bio-Konsument*innen, die zu großen Teilen ein spezifisches Milieu repräsentieren. Würden weitere Teile der Bevölkerung auf Bio-Lebensmittel umschwenken, würde die Durschnitts-Diät wieder anders aussehen. Was die Treu-et-al-Studie jedoch verdeutlicht, dass Nachfrage enorm wichtig ist. Es wäre naiv, anzunehmen, dass Menschen in einer 100%-Bio-Landwirtschaft-Welt genau die gleichen Lebensmittel nachfragen würden wie heutzutage. Somit ist der eigentlich entscheidende Faktor, der die Klima- und Landnutzungswirkungen der landwirtschaftlichen Produktion beeinflusst, der Konsum. Gerade hier, womöglich noch mehr als bei anderen Umwelteffekten der Landwirtschaft, ist es entscheidend, welche Produkte Konsument*innen nachfragen – insbesondere, wie viel Fleisch und andere tierische Produkte sie essen wollen (bei Treu et al. sind tierische Produkte für mehr als 70% der Umweltwirkungen verantwortlich). Dies wiederum zeigt, dass eine „Ökologisierung“ der Landwirtschaft nicht allein über die Angebotsseite funktionieren kann – eine erfolgreiche Agrarumweltpolitik muss von einer komplementären Ernährungspolitik flankiert werden. Das würde u. a. Anreize für weniger Fleischkonsum und gegen Verschwendung von Lebensmitteln implizieren – zwei Ansätze, die oft „für die Bio-Landwirtschaft“ ins Feld geführt werden, wenn auf ihre problematischen Seiten hingewiesen wird. Sie könne ihre Nachteile gegenüber der „konventionellen“ Landwirtschaft (im Hinblick auf die Produktivität) wieder „wettmachen“, wenn weniger Fleisch konsumiert und weniger Lebensmittel verschwendet würden. Was kein valides Argument ist, denn es gibt keinen Grund, warum diese Ansätze nur mit der Bio-Landwirtschaft kompatibel sein sollten – auch Konsument*innen „konventionell“ hergestellter Lebensmitteln könnten zu weniger Fleisch animiert werden, und die „konventionelle“ Landwirtschaft ist nicht per se „verschwendungsaffin“.

Wie ist es nun also mit der Bio-Landwirtschaft und Klimaschutz? Langer Rede kurzer Sinn: es kommt sehr darauf an. Eigentlich ist das Framing der Frage bereits ein Problem: es geht nicht darum, ob die Bio-Landwirtschaft klimaschonender ist als die „konventionelle“ Landwirtschaft – denn das hängt von vielen Faktoren ab –, sondern eher darum, wie Landwirtschaft aussehen sollte, damit sie klima- und generell umweltschonend ist. Und auf dieser Basis kann man dann überlegen, wie man am effektivsten und am effizientesten dahin kommt.

[UPDATE 6.11.2019] Fairerweise sollte ich erwähnen, dass meine oben aufgeschriebenen Gedanken wie üblich nicht das Ergebnis eines in stiller Isolation brütenden Genies sind, sondern maßgeblich von Diskussionen mit Anderen beeinflusst – in diesem konkreten Fall gebührt mein Dank für Inspirationen vor allem Chad Baum und Johannes Kopton.

2 Gedanken zu “Wie ist es nun mit Bio-Lebensmitteln und Klimaschutz?

  1. Bartosz,
    Dein Kommentar zu der Studie ist sehr freundlich. Die Annahme der konstanten Nachfrage erinnert mich an den Lapsus der konstanten Rohstoffpreise bei „Limit to Growth“ der den Autoren m.E. zurecht bis heute unter die Nase gerieben wird.
    Die Annahme, daß es Importe aus „overseas“ gibt (weil man ja sonst die Nachfrage senken müsste) wirft noch weitere Probleme auf.
    1. Die Importe fallen in der Studie einfach vom Himmel, aber im Ursprungsland müßte dann doch entweder die Nachfrage sinken, die Produktivität steigen oder die Anbauflläche.
    2. Wenn es Importe aus konventionellem Anbau gibt, die mit den inländischen Produkten aus ökologischem Anbau konkurrieren und die inländische Landwirtschaft nicht konventionell herstellen darf oder will, dann müsste es doch zu einer Verdrängung inländischer Produkte durch die Importe kommen, weil die billiger sind. Dann (das wäre die Logik der Studie) schrumpft die inländische Landwirtschaft und wird noch klimaneutraler, weil sie kaum noch etwas produziert.

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    • Ad 1: Die Autoren scheinen von einem Anstieg der Anbaufläche im Ausland auszugehen.
      Ad 2: Die angenommenen Importe sind ebenfalls bio, wenn ich es richtig verstanden habe. D. h. es gibt keine Verdrängungseffekte. Natürlich hast du Recht, dass dies die Aussagekraft deutlich einschränkt (darum geht es mir oben ja auch); nichtsdestotrotz halte ich die Studie für interessant und relevant – und im Großen und Ganzen gut gemacht. Es ist primär eine Frage der Interpretation der Ergebnisse, die problematisch ist. In den Medien, teils aber auch im Paper selbst (ob das an den Autoren oder an Nature liegt – die pfuschen einem wohl schon mal ordentlich rein -, weiß ich nicht) wurden die Ergebnisse eben überinterpretiert.

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