Eine der häufigsten Kritiken an der Ökonomik ist, dass sie das Kriterium der Effizienz überbetone und Fragen der Gerechtigkeit ignoriere. Tatsächlich trennen Ökonom*innen diese beiden Aspekte oft voneinander und meinen mitunter, Gerechtigkeit sei kein genuin ökonomisches Problem. Doch selbst wenn man Gerechtigkeit als Teil der ökonomischen Perspektive betrachtet, denkt man als Ökonom*in doch oft zuerst an Fragen der Effizienz – und damit an Knappheit und Zielkonflikte. Ein schönes Beispiel für die Spannung zwischen den beiden Kriterien durfte ich schon mehrmals mit Nichtökonom*innen im Kontext ergebnisorientierter Agrarumweltzahlungen diskutieren. Nun möchte ich diese Spannung heute etwas systematischer angehen.
Agrarumweltzahlungen (*am Ende des Artikels gibt es ein kurzes Glossar, denn es kommen hier mehrere ähnliche Begriffe vor, was verwirrend sein kann) gibt es grundsätzlich in zwei Varianten: handlungsorientiert und ergebnisorientiert. Die deutlich häufigeren handlungsorientierten Agrarumweltzahlungen funktionieren so, dass teilnehmende Landwirt*innen für die Umsetzung einer bestimmten Maßnahme/Praktik auf ihren Feldern entlohnt werden – beispielsweise fürs Anlegen von Blüh- oder Pufferstreifen, für den Verzicht aufs Pflügen, für die Pflege von Hecken etc. Der Hauptvorteil dieser Variante liegt in ihrer Einfachheit – die Grundlage für die Zahlungen ist eindeutig und leicht zu kontrollieren. Die Nachteile sind zahlreich: viele Maßnahmen wirken unterschiedlich je nachdem, wo sie umgesetzt werden (im Extremfall wirken sie an bestimmten Standorten gar nicht); Landwirt*innen haben starke Anreize, die Maßnahmen vor allem auf marginalen Flächen umzusetzen, aus denen sowieso „nicht viel herauszuholen“ ist; diese Variante entfaltet außerdem keinerlei Innovationsanreize, weil sie den Landwirt*innen klar vorschreibt, was zu tun ist. Aus diesen Gründen sind ergebnisorientierte Agrarumweltzahlungen in vielerlei Hinsicht das Maß der Dinge – und in Politikkreisen immer populärer (man braucht sich nur die aktuell diskutierten GAP-Reformvorschläge anzusehen). In ihrem Fall werden Landwirt*innen für ein messbares Ergebnis ihrer Bemühungen entlohnt – unabhängig davon, wie sie dieses Ergebnis erreichen. Auch diese Variante ist in der Praxis nicht perfekt – vor allem ist es alles andere als einfach, Ergebnisse zu messen; außerdem bedeutet eine ergebnisorientierte Entlohnung Unsicherheit für die teilnehmenden Landwirt*innen, denn außerhalb ihres Einflusses stehende Faktoren (bspw. das Wetter) können ihre Bemühungen zunichte machen. Gleichwohl gibt es zahlreiche Hinweise, dass Landwirt*innen die mit dieser Variante verbundene Autonomie zu schätzen wissen und daher bereit sind, die Unsicherheit in Kauf zu nehmen.
Eine häufige Kritik an ergebnisorientierten Agrarumweltzahlungen ist jedoch eine andere: wenn Landwirt*innen für Veränderungen in der Zielgröße entlohnt werden (z. B. einen Anstieg in der Zahl von Grashüpferarten, die auf einer Weide beobachtet werden können), seien diejenigen benachteiligt, die bereits umweltfreundlich wirtschaften. Dies sei unfair den umweltfreundlich wirtschaftenden Landwirt*innen gegenüber. Dieses Argument habe ich bereits mehrfach von (meistens) naturwissenschaftlichen Kolleg*innen gehört und kürzlich auch in einem Fachartikel gelesen. Das Argument stößt bei mir erstmal auf Unverständnis – denn die Idee, dass man die bereits umweltfreundlich wirtschaftenden Landwirt*innen ebenfalls entlohnen sollte, verstößt ganz offensichtlich gegen das Prinzip der Additionalität (Zusätzlichkeit), eines der ökonomischen Hauptkriterien zur Bewertung von Instrumenten der Umweltpolitik. Additionalität ist gewährleistet, wenn eine positive Veränderung in einer Zielgröße (bspw. ein Biodiversitäts-Indikator) ohne das Instrument nicht eingetreten wäre. Wichtig ist das, wie so häufig, wegen relativer Knappheit und Zielkonflikten – denn das Budget für Agrarumweltzahlungen ist begrenzt, und wenn man auch nicht-zusätzliche Maßnahmen entlohnt, fehlt das damit verbrauchte Geld anderswo.
Die Entlohnung nicht-zusätzlicher Maßnahmen ist also ineffizient. Ist sie aber auch wirklich fair? Das kommt auf das zugrundeliegende Fairness-Kriterium an sowie auf den Grund, warum manche Landwirt*innen die gewünschten Maßnahmen auch ohne staatliche Zahlungen umsetzen. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel, dass es nur Landwirt*innen sind, die einen größeren Handlungsspielraum haben – wegen eines besseren Zugangs zu Arbeitskräften und/oder Kapital, der Bewirtschaftung günstigerer Flächen (bspw. höhere Bodenqualität, grünstigeres Klima) oder gerade umgekehrt, weil sie die Maßnahmen auf Flächen umsetzen, aus denen sowieso nicht viel herauszuholen ist. In einer solchen Situation ist es fraglich, nach welchem Kriterium die Nichtentlohnung dieser Landwirt*innen unfair wäre. Ganz im Gegenteil, man könnte die Agrarumweltzahlungen an die Anderen als eine Art ausgleichende Gerechtigkeit für unverschuldte (bspw. natürliche) Benachteiligung betrachten. Komplizierter wird es, wenn der entscheidende Grund für die nicht-entlohnte Umsetzung von Agrarumweltmaßnahmen die intrinsische Motivation ist – manchen Landwirt*innen ist die Umwelt wichtiger, manchen weniger wichtig. Erstere sind daher mitunter zur Ergreifung von Maßnahmen bereit, die die Anderen nur gegen Entlohnung umsetzen würden, auch wenn sie den gleichen Handlungsspielraum haben. Ob es dann unfair ist, nur die nicht intrinsisch Motivierten zu entlohnen…? Auf diese Frage fällt mir keine offensichtliche Antwort ein. Außerdem kommt hinzu, dass man im Falle einer Entlohnung beider Gruppen ein sog. motivational crowding out riskiert, d. h. die Verdrängung der intrinsischen durch die extrinsische (finanzielle) Motivation, und damit möglicherweise einen negativen Netto-Effekt, falls das Agrarumweltprogramm wieder zurückgefahren werden sollte. Andererseits gibt es in diesem Kontext auch empirische Hinweise auf ein mögliches motivational crowding in – nämlich wenn Landwirt*innen durch die Teilnahme an einem Agrarumweltprogramm über die Laufzeit seine Ziele internalisieren. Es ist eben kompliziert…
Letztlich ist es eine Frage des offenen und transparenten Umgangs mit der Spannung zwischen Fairness und Effizienz; da Agrarumweltprogramme in aller Regel freiwilliger Natur sind, kommt man sowieso nicht umhin, die Zielgruppe (Landwirt*innen und ggf. andere Landnutzer*innen) in ihre Gestaltung einzubeziehen, wenn man sie anschließend zur Teilnahme bewegen will. Und da ist es wichtig, die Wahrnehmungen hinsichtlich der Fairness und Legitimität des Programms „abzuklopfen“. Denn es gibt viele verschiedene Verständnisse von Fairness, nach denen sich verschiedene gesellschaftliche Institutionen implizit oder explizit richten, und die mitunter sehr kontextspezifisch sind. Gegebenenfalls muss man dann tatsächlich zwischen Fairness und Effizienz abwägen – was letztlich sogar im Sinne der Effizienz sein kann. Denn wenn ein perfekt effizientes Agrarumweltprogramm gestaltet wird, das die Zielgruppe aber als unfair empfindet, dann wird kaum jemand teilnehmen. Und die Effizienz darf nie losgelöst von Wirksamkeit hinsichtlich eines Ziels (hier: Umweltschutz) betrachtet werden. So wichtig sie aus ökonomischer Sicht sein mag, sie ist kein Selbstzweck.
Kurzglossar:
- Agrarumweltprogramm: ein in der Regel staatlich finanziertes Förderprogramm, in dessen Rahmen Landnutzer*innen für bestimmte Umweltleistungen entlohnt werden. In der aktuellen Nomenklatur der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU Agrarumwelt- und Klimamaßnahme (AUKM). In Deutschland gibt es historisch noch den sog. Vertragsnaturschutz, der als eine Form von Agrarumweltprogrammen betrachtet werden kann. Ein Agrarumweltprogramm umfasst außer den Zahlungen mitunter flankierende Maßnahmen (bspw. Beratung).
- Agrarumweltzahlungen: die im Rahmen von Agrarumweltprogrammen konkret angebotenen Zahlungen; sie können ergebnis- oder handlungsorientiert sein (s. Text); auch Hybride aus beiden kommen vor.
- Agrarumweltmaßnahme bzw. -Praktik: eine konkrete Maßnahme (bspw. Verzicht aufs Pflügen oder Anlegen von Blühstreifen), die Landwirt*innen auf ihren Flächen umsetzen; bei handlungsorientierten Agrarumweltzahlungen vorab festgelegt, bei ergebnisorientierten den Landwirt*innen überlassen.