Diskontieren, Kosten-Nutzen-Analyse und Nachhaltigkeit

Wir Umweltökonomen sind schon eine seltsame Spezies. Wir bepreisen die Natur. Wir betrachten sie als ein Bündel von Gütern und Quelle von Dienstleistungen bzw. als Naturkapital. Wir wägen materiellen Nutzen gegen die so vulgarisierten „Naturwerte“ im Sinne aggregierter Zahlungsbereitschaften ab, um den gesellschaftlichen Nettonutzen verschiedener Projekte „objektiv“ zu erfassen. Wir definieren Nachhaltigkeit auf eine seltsame Art und Weise als einen über die Zeit nicht-abnehmenden Konsumfluss. Und wir diskontieren bzw. zinsen auch noch ab, wodurch wir die Interessen künftiger Generationen „verschwinden lassen“. Haben wir sie denn noch alle?

Die obige Auflistung ist selbstverständlich ironisch gemeint. Sie gibt die übliche Wahrnehmung der Umweltökonomik in der Öko-Szene wider. Manchmal treffen die beispielhaft aufgelisteten Kritikpunkte zu – aber eigentlich ist mein Forschungsfeld viel differenzierter als das. Ich habe bereits versucht, dies bezüglich ökonomischer Naturbewertung und Anthropozentrismus‘ klarzumachen. Ein anderes Beispiel wäre Nachhaltigkeit – es gibt unter Ökonomen eine lange Debatte darüber, wie Nachhaltigkeit, ein an sich sehr vager Begriff, operationalisiert werden kann. Das tun übrigens nicht nur Ökonomen – es gibt immer noch keine klare Definition von Nachhaltigkeit, mithilfe welcher man konkrete gesellschaftliche Projekte beurteilen könnte. Niemand konnte sie bisher liefern. Da sollte es eigentlich verständlich sein, dass auch Ökonomen ihr Glück versuchen, mittels des ihnen zur Verfügung stehenden Instrumentariums. Einig auf einen konkreten Ansatz ist man sich jedenfalls bisher nicht.

Ein anderes Beispiel ist das Diskontieren bzw. Abzinsen, eine Methode, die das Vergleichen von (ökonomischen) Werten ermöglichen soll, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten anfallen. Sie kommt ursprünglich aus dem Bereich der Finanzwissenschaft und Investitionsanalyse, taucht aber in der Umweltökonomik in zwei Kontexten auf – umweltökonomische Kosten-Nutzen-Analyse und manche Nachhaltigkeitsmodelle (wobei sie bei Letzteren eher ein (Teil-)Resultat dieser Modelle ist als eine Annahme).

Der Effekt von verschiedenen Diskontraten auf den Barwert eines in der Zukunft anfallenden Betrags.

Dabei ist eine Unterscheidung wichtig, die oft ignoriert wird, wenn Diskontieren kritisiert wird – während bei Investitionen mittels des Marktzinses diskontiert wird (daher der dort übliche Begriff Abzinsen), befasst sich die Umwelt- und Ressourcenökonomik mit gesamtgesellschaftlicher (wohlfahrtsökonomischer) Betrachtung, die einer sozialen Diskontrate bedarf. Nun gibt es tatsächlich Ökonomen, die da keinen Unterschied machen – z. B. die sehr prominenten Klimaökonomen William Nordhaus und Richard Tol, deren z. T. fragwürdige Ideen von dem selbsternannten skeptical environmentalist Bjørn Lomborg populär gemacht wurden. Doch wie z. B. in diesem aktuellen Übersichtsartikel ersichtlich, spiegelt dieser Ansatz eine Minderheitsmeinung wider.

Wie ist das also mit der sozialen Diskontrate? Zunächst die Grundidee: wir Ökonomen finden, dass man Beträge (Kosten und Nutzen), die zu unterschiedlichen Zeitpunkten anfallen, nicht einfach so vergleichen kann. In der BWL ist das recht simpel – wenn ich 100 € heute investiere, möchte ich in der Zukunft mehr als 100 € durch diese Investition einnehmen. Ich könnte die 100 € nämlich auch auf ein Sparkonto tun, das verzinst ist. Damit sich eine Investition lohnt, muss sie also mindestens so viel einbringen, wie die Verzinsung von Spareinlagen. Diese Überlegung kann man zusätzlich in zwei Teilargumente aufspalten, mit denen der Zins üblicherweise erklärt wird – zum einen sind wir Menschen generell recht ungeduldig und bevorzugen es, etwas gleich zu haben, als darauf zu warten. Das allein führt bereits zu einem kleinen „Zins“, der die Rate der reinen Zeitpräferenz genannt wird. Hinzu kommt, dass Investitionen meist getätigt werden, um die Produktivität von Produktionsprozessen zu steigern oder bessere Produkte herzustellen – daraus resultiert dann der zweite Teil des Zinses, er spiegelt sozusagen den zu erwartenden Mehrwert einer Investition wider.

Nun geht es aber in der Umweltökonomik – bei umweltökonomischer Kosten-Nutzen-Analyse und bei Nachhaltigkeitsmodellen, die auf dem Konzept einer sozialen Nutzenfunktion und eines wohlwollenden Diktators basieren – um die Abwägung gesamtgesellschaftlicher und eben nicht nur privater Kosten und Nutzen, die zu unterschiedlichen Zeiten anfallen. Es bedarf also einer Anpassung des üblichen Ansatzes, und zwar in Form einer sozialen Diskontrate. Diese basiert meistens auf der sogenannten Ramsey-Gleichung (benannt nach dem genialen Mathematiker Frank Ramsey, der trotz sehr kurzer Lebensdauer von lediglich 27 Jahren es geschafft hat, einige sehr wichtige und bis heute anerkannte Beiträge zur ökonomischen Theorie zu leisten – die eigentlich gar nicht sein Hauptgebiet war):

ρ = δ + ηg,

wo ρ die Diskontrate ist. In der BWL-Variante entspricht δ der Rate der reinen Zeitpräferenz, g der erwarteten Produktivität (im Sinne eines Einkommenszuwachses) eines durchschnittlichen Investitionsprojekts, während η ein Gewichtungsfaktor ist. Bei sozialer Kosten-Nutzen-Analyse ist die Sache mit der Interpretation wesentlich komplizierter. g ist dabei noch vergleichsweise einfach – es ist die erwartete Wachstumsrate des materiellen Wohlstands der betreffenden Gesellschaft. η ist die sog. Einkommens-Elastizität des Nutzens, die der Annahme des abnehmenden Grenznutzens des Einkommens Rechnung tragen soll. Soll heißen – wenn g positiv ist, d. h. angenommen wird, dass die Gesellschaft in Zukunft wohlhabender wird, verstärkt η die Abdiskontierung, weil für eine reichere Gesellschaft ein gegebener Geldbetrag (sei es positiv – Nutzen – oder negativ – Kosten) weniger „ins Gewicht fällt“.

Ein großes Problem stellt das δ dar. Ramsey und viele Ökonomen nach ihm argumentierten, es sei moralisch nicht vertretbar, diese Größe positiv festzusetzen, weil dies bedeuten würde, dass man künftige Generationen als „weniger wichtig“ bewerten würde. Nicholas Stern in seinem berühmten Klima-Report argumentierte für ein sehr kleines, positives δ, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass wir nicht wissen, ob die künftigen Generationen überhaupt da sein werden – es könnte ja sein, dass ein unerwarteter Kataklismus (z. B. ein Meteoreneinschlag) die Menschheit auslöscht. δ würde dann der Wahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses entsprechen. Diese an sich ansprechende Idee hat aber ein Manko – da wir nichts von einem solchen Ereignis wissen, ist jeder mögliche Wert für δ zwangsläufig arbiträr.

Neben dem δ-Term ist die Annahme über das g, die erwartete Rate des Wachstums materiellen Wohlstands, entscheidend. Allzu oft wird einfach eine konstante Rate angenommen, meistens im Bereich von 2-3% für globale Betrachtungen. Woher will man das aber wissen? Was veranlasst einen Ökonomen denn, zu glauben, der materielle Wohlstand würde kontinuierlich wachsen, auch noch in 50 oder 100 Jahren? Die Tatsache, dass es in den letzten 50 bis 100 Jahren der Fall war, dürfte eigentlich nicht ausreichen. Zumal die Probleme, die da betrachtet werden – allen voran der Klimawandel -, die Möglichkeiten materiellen Wohlstands stark beeinträchtigen dürften. Was auch heißt, dass die Diskontrate eigentlich nicht unabhängig sein kann vom Ergebnis der Kosten-Nutzen-Analyse, weil dieses Ergebnis unser Handeln beeinflusst und damit die künftige Entwicklung des materiellen Wohlstands.

Um der Unsicherheit über den künftigen Wohlstand Rechnung zu tragen, wird die einfache Ramsey-Gleichung erweitert (wen die technische Seite interessiert, dem sei der oben verlinkte Übersichtsartikel von Arrow und Kollegen empfohlen). Je nachdem, wie dies genau gemacht wird, sind die Ergebnisse etwas unterschiedlich. Eine häufig diskutierte Möglichkeit ist das sog. hyperbolische Diskontieren, bei dem die Diskontrate über die Zeit kleiner wird. Damit wird zwei verschiedenen Effekten Rechnung getragen – zum einen der oben erwähnten Unsicherheit, ob denn ein konstantes positives g tatsächlich gerechtfertigt ist, zum anderen der empirisch-psychologischen Feststellung, dass Menschen Ereignisse in der weit entfernten Zukunft (v. a. jenseits ihrer eigenen Zeitspanne) implizit wesentlich geringer abdiskontieren als solche, die in näherer Zukunft liegen.

Was lernen wir daraus? Meine Kernbotschaft für heute hat zwei Teile. Erstens, Diskontieren im Sinne der Verwendung sozialer Diskontraten hat durchaus seine Berechtigung und seine Logik, die nicht per se ethisch verwerflich sind. Zweitens, das Diskontieren á la William Nordhaus (s. o.), das so häufig als ethisch verwerflich kritisiert wird, ist das Ergebnis bestimmter Annahmen über die Parameter der Ramsey-Gleichung, die weder theoretisch zwingend sind noch von einer Mehrheit der Umweltökonomen gutgeheißen werden. Die Art von Diskontieren, die ich als sinnvoll bezeichnen würde, kann durchaus zu Politikempfehlungen im Sinne der Nachhaltigkeit führen.

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