Was an den Leopoldina-Stellungnahmen problematisch ist

Angesichts der aktuellen COVID19-Krise haben Regierungspolitiker*innen auf allen Ebenen des deutschen föderalen Staates schwere Entscheidungen unter hoher Unsicherheit zu treffen. Kein Wunder, dass nicht alle Entscheidungen und Entscheidungsprozesse breite Zustimmung finden. Ebenso verständlich ist auch der hohe Bedarf nach Politikberatung und vielfältiger Expertise. Eine wichtige Quelle autoritätsbehafteter Politikberatung ist derzeit die Nationale Akademie der Wissenschaften, Leopoldina, die gestern ihre bereits dritte sog. Ad-hoc-Stellungnahme zur COVID19-Krise veröffentlicht hat. Ich möchte nicht den Inhalt der Stellungnahme kommentieren; doch finde ich den dazugehörigen Prozess recht problematisch.

Im Prinzip spielt die Leopoldina eine wichtige Rolle im Prozess evidenzbasierter Politikgestaltung. Ihrem eigenen Selbstverständnis zufolge war die

Idee bei der Gründung einer Nationalakademie […] die Schaffung einer legitimierten Institution, die unabhängig von wirtschaftlichen oder politischen Interessen wichtige gesellschaftliche Zukunftsthemen wissenschaftlich bearbeitet, die Ergebnisse der Politik und der Öffentlichkeit vermittelt und diese Themen national wie international vertritt.

Die Arbeitsweise der Leopoldina folgt im Großen und Ganzen der anderer etablierter Institutionen der Wissenschaftssynthese und wissenschaftsbasierten Politikberatung – zu verschiedenen gesellschaftlich relevanten Themen werden in einem transparenten Prozess Arbeitsgruppen von Expert*innen gebildet, die dann Stellungnahmen erarbeiten, die breit diskutiert und extern begutachtet (peer-reviewed) werden. Der Arbeitsprozess dauert üblicherweise 1-2 Jahre. Eine solche Stellungnahme hat dann den Anspruch, den Stand der Wissenschaft repräsentativ wiederzugeben und aus ihm konkrete Politikempfehlungen abzuleiten. Nichtsdestotrotz können diese Empfehlungen eine öffentliche Debatte und einen demokratisch legitimierten Entscheidungsprozess nicht ersetzen, sondern lediglich unterstützen.

Leider zwingt die aktuelle Krise die Leopoldina dazu, ihren langwierigen Prozess zu vereinfachen – die COVID19-Stellungnahmen sind allesamt sog. „Ad-hoc-Stellungnahmen“, über die im Leitfaden Von der Idee zur Stellungnahme lediglich lapidar festgestellt wird:

Bei dringlichem Handlungsbedarf ist die Erarbeitung von Ad-hoc-Stel-lungnahmen möglich, für die jeweils ein beschleunigtes Verfahren gilt.

Wie genau ein solches „beschleunigtes Verfahren“ aussieht, welche Elemente wie „beschleunigt“ und vereinfacht werden, kann man dem Leitfaden nicht entnehmen. Auch anderswo konnte ich keine konkreten Informationen zum Prozess finden. Und so stellt sich hinsichtlich der aktuellen, viel diskutierten und einflussreichen Stellungnahmen eine Reihe von Fragen:

  1. Wie genau erfolgt die Auswahl der (recht kleinen) Gruppen von Autor*innen, die im Namen der Leopoldina und damit der „Wissenschaft“ sprechen? An der dritten Ad-hoc-Stellungnahme arbeiteten beispielsweise lediglich zwei Ökonomen (Clemens Fuest und Lars Feld). Beide sind anerkannte und „führende“ Forscher, Feld ist Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Nichtsdestotrotz ist die Frage legitim: Warum ausgerechnet diese beiden? Waren damit alle relevanten Bereiche der Volkswirtschaftslehre ausreichend repräsentiert? (einige finden: nicht wirklich)
  2. Gibt es im beschleunigten Verfahren irgendeine Form des Peer Review? Da dies einer der langwierigsten Teilprozesse im gewöhnlichen Modus sein dürfte, ist zu erwarten, dass hier „beschleunigt“ und vereinfacht wurde. Gerade da die Stellungnahmen keine Debattenbeiträge sind und nicht lediglich den Stand der Wissenschaft zusammenfassen, sondern Empfehlungen sind, ist dies entscheidend. Verstärkt wird dieser Punkt noch durch den ersten, nämlich den relativ engen, scheinbar arbiträr zusammengesetzten Autor*innen-Kreis.
  3. Wie wählen die Autor*innen die zu diskutierenden Maßnahmen aus? Warum werden alternative Vorschläge und Maßnahmen nicht zumindest erwähnt? Schaut man sich beispielsweise den Abschnitt „Wirtschafts- und Finanzpolitik zur Stabilisierung nutzen“ der dritten Ad-hoc-Stellungnahme an, bekommt man den Eindruck vermittelt, die Ökonomik würde hier als Monolith ein betimmtes Bündel von Maßnahmen als die „richtigen“ empfehlen – ein kurzer Blick auf die Twitter-Profile deutschsprachiger Ökonom*innen und deren Kommentare zur Stellungnahme relativiert diesen Eindruck sofort (s. eingebetteter Tweet unten als Beispiel). Man erkennt in der Sprache der Stellungnahmen auch wenig von den Unsicherheiten, mit denen die Empfehlungen und die dahinterliegende wissenschaftliche Evidenz behaftet sind.
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Wie eingangs erwähnt, möchte ich an dieser Stelle nicht den Inhalt der Ad-hoc-Stellungnahmen infrage stellen (das tun Andere, bspw. hier). Was ich problematisch finde, ist vielmehr der intransparente, arbiträr wirkende Prozess ihrer Formulierung – gerade angesichts des Gewichts der politischen Entscheidungen, die sie unterstützen sollen. Die mangelnde Transparenz entbehrt übrigens insofern nicht einer gewissen Ironie, als eine der Empfehlungen der dritten Ad-hoc-Stellungnahme die „transparente Gestaltung von Entscheidungs- und Abwägungsprozessen“ ist.

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