Wissenschaft, gerade Nachhaltigkeitswissenschaft, ist ein kollaboratives Unterfangen. Das trifft insbesondere auch auf das Schreiben von Publikationen zu. Daher ist es von erheblicher Bedeutung, dass man sich passende Kooperationspartner*innen und letztlich Ko-Autor*innen sucht, die nicht nur die notwendige Expertise mitbringen, sondern mit denen man auch gut klar kommt. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie man an die Ko-Autor*innen-Suche herangehen kann.
Im Februar 2019 war ich auf dem Weg zu einer kleinen Konferenz der Europäischen Gesellschaft für Agrarökonomik (EAAE) nach Uppsala. Da ich nicht fliegen wollte, die Strecke aber zu lang für „einen Sprung“ per Zug war, beschloss ich, in Lund einen Zwischenstopp einzulegen und einen Freund zu besuchen. Und da ich schon dort war, verabredete ich mich mit seinem damaligen Chef, von dem ich wusste, dass er seinerzeit ähnliche Methoden und Forschungsfragen verfolgt hatte wie ich. Während des recht ungezwungenen und offenen Austausches zu dritt entwickelten wir dann zu unserer eigenen Überraschung eine Idee, die uns nicht nur interessant, sondern gar publikationswürdig erschien. Also beschlossen wir, gemeinsam ein Paper über die Verwendung von biophysikalischen Modellen in der Gestaltung von Agrarumweltprogrammen zu schreiben. Da uns vier (ein Doktorand aus Lund kam noch hinzu, weil er bereits vorher Ähnliches gemacht hatte) später auffiel, dass unserem konzeptionellen Paper ein Beispiel gut tun würde, fragte ich bei Leuten an, die in meinem aktuellen Projekt für die Modellierung von Bodenfunktionen zuständig sind. Ein halbes Jahr später erschien eine Arbeitsversion des Papers auf dem Preprint-Server ArXiv.
Warum diese Anekdote? Weil in ihr die drei Optionen zusammenlaufen, wie man nach meiner Erfahrung an wissenschaftliche Kooperationspartner*innen herankommt: (i) aufgrund persönlicher Sympathien; (ii) indem man eine Idee gemeinsam mit Anderen entwickelt; (iii) indem man gezielt nach Leuten mit einer bestimmten Expertise sucht. Welche der drei Strategien man wie stark verfolgt, ist mindestens genauso sehr eine Frage des individuellen Stils wie der eigenen Hierarchie-Position sowie des Forschungsfeldes, in dem man sich befindet.
Gerade Nachwuchswissenschaftler*innen wird oft empfohlen, sich gezielt und strategisch Kooperationspartner*innen zu suchen, die nicht nur über die nötige Expertise verfügen, sondern bestenfalls noch etablierte Wissenschaftler*innen in dem Feld sind, in dem man sich selbst bewegt bzw. bewegen möchte. Damit gewinnt man im besten Falle zweierlei – wertvollen wissenschaftlichen Input sowie Netzwerke, auf die man später zurückgreifen kann: beim Einfädeln von weiteren Kooperationen, wenn man ein Empfehlungsschreiben braucht (z. B. für eine Bewerbung)… Je etablierter man selbst ist, desto größere Rolle spielt dann die Expertise der potentiellen Partner*innen. In meiner Anekdote findet man beides, obgleich der etablierte Wissenschaftler eher zufällig mein Ko-Autor wurde – als ich nach Lund fuhr, hatte ich kein konkretes „Produkt“ im Sinne, sondern hoffte lediglich auf einen inspirierenden Austausch und ein paar Ideen für meine eigene Forschung. Rein objektiv betrachtet sollte die Expertise wohl auch die größte Rolle bei der Wahl von Kooperationspartner*innen spielen. Hier ist die Forschungsidee bereits da – sie könnte zwar im Austausch mit den identifizierten Träger*innen der gewünschten Expertise modifiziert werden. Die Reihenfolge ist aber grundsätzlich Idee → Kooperationspartner*innen.
Für die zweite Option – gemeinsame Ideenentwicklung – bedarf es üblicherweise eines entsprechenden Kontexts. Workshops aller Art, entweder als stand-alone oder im Rahmen von Konferenzen, sind ein typisches Format, im Rahmen dessen man gemeinsam offen zu einem Thema brainstormt. Falls daraus etwas Greifbares entsteht, hat man seine Ko-Autor*innen schon – es sind diejenigen, mit denen zusammen man die Idee für ein neues Projekt oder ein gemeinsames Paper entwickelt hat. In meiner Anekdote hatte auch dieser Aspekt einen recht zufälligen Charakter; meist ist es so, dass Workshops mit dem Hintergedanken organisiert werden, dass da irgendein greifbares „Produkt“ entstehen könnte. Manchmal ist der Wunsch nach einer gemeinsamen Publikation mit einer a priori nicht spezifizierten Gruppe von Menschen (aber mit einem spezifizierten Themenfeld) der Hauptgrund für einen Workshop. In jedem Fall entsteht eine Kooperation hier recht „organisch“, die Menschen kommen zusammen während der Entwicklung der Forschungsidee. Es gibt eine Wechselwirkung Idee ↔ Kooperationspartner*innen.
Die ersten beiden Varianten sind nach meiner Beobachtung die häufigsten. Die dritte hingegen ist sehr individuell – ich kenne Wissenschaftler*innen, für die sie gar nicht in Frage kommt. Ich hingegen habe einige Publikationen auf meinem „Konto“, die primär durch persönliche Sympathien entstanden sind, also nach dem Prinzip Kooperationspartner*innen → Idee. Einige meiner Ko-Autor*innen sind schlicht Freunde, mit denen ich mich sehr gut verstehe und gut zusammenarbeiten kann, und die gleichzeitig zu Themen forschen, die auch für mich relevant sind. Und so entstanden mehrere gemeinsame „nebenbei-Publikationen“, weil ich mir mit jemandem einig war, dass wir gemeinsam etwas machen wollen – die Suche nach einem möglichen Thema war sozusagen sekundär. Man könnte einwerfen, dass dies schlecht für die Qualität der daraus resultierenden Forschung sein muss. Nach meiner Erfahrung ist dies nicht der Fall. Einige meiner besten Publikationen sind so entstanden. Denn neben der offensichtlichen Bedeutung von komplementärer Expertise ist nach meiner Erfahrung das „Zwischenmenschliche“ gerade bei kleineren (Publikations-)Projekten enorm wichtig. Denn wenn man Lust hat, zusammen zu arbeiten, ist man mitunter auch kreativer. Außerdem kommt man deutlich schneller und effizienter voran – um ein extremes Beispiel zu nennen, habe ich kürzlich mit einer befreundeten Ko-Autorin ein Buchkapitel innerhalb von einem knappen Monat geschrieben. Wir wollten mal wieder gemeinsam etwas machen, die Buchkapitel-Anfrage kam zu einem passenden Zeitpunkt „um die Ecke“… Der epistemische Wert des Ergebnisses dieser speziellen Kooperation ist vielleicht nicht riesig, aber definitiv signifikant >0; der „Spaßfaktor“ nicht zu unterschätzen.
Wie man sich Kooperationspartner*innen für gemeinsame Projekte, Projektanträge, Publikationen sucht, hängt stark vom Kontext ab, teilweise auch von den Persönlichkeiten der Beteiligten. In vielen Fällen überlappen sich die oben idealtypisch beschriebenen Strategien – auch wenn man nach passender Expertise sucht, denkt man zunächst an Leute, die man kennt und mit denen man bereits gute Erfahrung der Zusammenarbeit hat. Ideal ist natürlich eine Kombination aller drei Elemente – gemeinsame Ideenentwicklung mit Menschen, die über komplementäre Expertisen verfügen und sich gut verstehen. Doch erscheint es mir, dass das Zwischenmenschliche entscheidend ist – wenn diese „notwendige“ Bedingung gegeben ist, folgen die anderen nahezu „von allein“.
P.S. Ich widme diesen Beitrag Nele, Nils, Marije, Chad, Sebastian und Harry (sowie Julian und Jess, die gemeinsamen Publikationen mit denen noch geschrieben werden müssen).