Bio ist nicht die Lösung – aber kurzfristig die richtige Wahl

Die Bio-Landwirtschaft pflegt das Image der Weltretterin. Wer tut das nicht? Und es ist auch tatsächlich viel dran – lange Fruchtfolgen, halbwegs geschlossenen Kreisläufe, Strukturelemente und viele andere Komponenten der Bio-Landwirtschaft sind wichtige Ingredienzien einer nachhaltigen Landwirtschaft der Zukunft. Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. Bio-Landwirtschaft ist wertvoll als Nische – aber nicht flächendeckend und langfristig. Und trotzdem: kurzfristig ist sie tendenziell die richtige Wahl, wenn man an nachhaltig produzierten Lebensmitteln interessiert ist.

Da ich bereits anderswo darüber geschrieben habe, warum ich die Bio-Landwirtschaft nicht für die Lösung halte, hier nur ein paar zentrale Kritikpunkte aus meiner subjektiven Sicht:

  1. Bio-Landwirtschaft ist pro Hektar weniger produktiv als konventionelle Landwirtschaft, was bedeutet, dass sie mehr Fläche braucht. Gerade angesichts steigender Nachfrage nach Agrarprodukten (nicht nur wegen steigender Weltbevölkerung, sondern auch wegen der vielen Versuche, erdölbasierte durch biobasierte Produkte zu ersetzen – Stichwort Bioökonomie) ist dies ein schwer von der Hand zu weisendes Problem der Bio-Landwirtschaft.
  2. Wenn wir wenig(er) Fleisch essen wollen (dass dies eine wichtige Strategie für eine nachhaltige Landwirtschaft ist, ist sogar jenseits der Bio-Blase weitgehend Konsens), aber auf synthetischen Dünger verzichten wollen – wo soll der Dünger herkommen?
  3. Geht man davon aus, dass schonende Bodenbearbeitung (no-till oder low-till) ein wichtiger Bestandteil nachhaltiger Landwirtschaft ist, wird es ohne Pestizide schwierig.
  4. Viele Probleme, vor denen die Landwirtschaft heute steht bzw. die sich abzeichnen – gerade der Klimawandel, der mit häufigeren Extremwettern wie die Dürre der letzten beiden Jahre einhergehen dürfte –, ließen sich vermutlich leichter lösen, wenn man sich nicht unnötigerweise modernen Züchtungsmethoden verschließen würde.

Um eine langfristige Lösung für nachhaltige Nahrungsmittelproduktion zu sein, ist die Bio-Landwirtschaft zu eng und stellenweise schlicht zu dogmatisch. Vielmehr wäre es wünschenswert, die vielen guten Ideen der Bio-Landwirtschaft mit den gar nicht so wenigen guten Ideen zu kombinieren, zu denen die Bio-Landwirtschaft bisher Abstand wahrt. Und sei es Precision Farming und, damit einhergehend, synthetische Inputs in Maßen (statt in Massen, wie es die „konventionelle“ Landwirtschaft zuweilen treibt), seien es genomeditierte Varietäten. Wie das gehen kann, beschreibt Robert Hoffie eindrücklich auf dem Blog Progressive Agrarwende am Beispiel des F.R.A.N.Z.-Projekts.

Denn so wie nicht alles glänzt, was Bio ist, ist nicht alles, was als „konventionelle“ Landwirtschaft bezeichnet wird, schlecht. Tatsächlich umfasst dieser Begriff eine enorme Diversität an Herangehensweisen an die Landwirtschaft – von eindeutig umweltschädlichen über ressourceneffiziente (wie bspw. manche Varianten der regenerativen Landwirtschaft oder eben Betriebe, die auf Precision Farming setzen) bis hin zu „de-facto-Bio-Landwirtschaft“ ohne Siegel. Wer die „konventionelle“ Landwirtschaft grundsätzlich verdammt, macht es sich zu einfach.

Gleichwohl ist es so, dass diese Diversität ein wesentliches Problem für diejenigen Konsument*innen bedeutet, die sich umweltfreundlich ernähren möchten – kauft man „konventionell“ hergestellte Lebensmittel, weiß man in aller Regel nicht, auf welche Art und Weise sie hergestellt wurden. Denn zwischen den gesetzlich vorgeschriebenen Standards und tatsächlich nachhaltiger landwirtschaftlicher Produktion existiert ein sehr breites Spektrum an mehr oder weniger nachhaltigen Produktionsweisen. Wenn man den Betrieb nicht kennt, aus dem ein Sack Kartoffeln oder das Getreide im Müsli kommen, weiß man nicht, mit welcher Nitratbelastung ihre Produktion einherging, ob Pestizide in Maßen oder doch in Massen eingesetzt wurden, wie lang die Fruchtfolge ist, ob es auf dem Betrieb Strukturelemente (Bäume, Hecken, Blühstreifen etc.) gibt… Es besteht akute Informationsasymmetrie zwischen Betrieben und Konsument*innen. Und hier hat die Bio-Landwirtschaft einen deutlichen Vorteil: auch wenn in ihrem Fall ebenfalls Diversität herrscht, sowohl innerhalb als auch zwischen den verschiedenen Siegeln (EG-Bio, Bioland, Naturland, Demeter…), ist sie doch deutlich geringer als bei der „konventionellen“ Landwirtschaft. Man weiß in etwa, was man bekommt, wenn man Bio-Kartoffeln oder Bio-Müsli kauft (obwohl es natürlich umso unklarer wird, je prozessierter das Produkt). Und auch wenn man bestimmte Elemente der Bio-Landwirtschaft kritisch sehen mag – derzeit ist sie „im Schnitt“ wohl nachhaltiger als ihre „konventionelle“ Schwester (oder eigentlich: ihre „konventionellen“ Schwestern). Bio-Siegel haben damit eine wichtige Signalwirkung und helfen bei der Auflösung der Informationsasymmetrie, und die Bio-Landwirtschaft damit zur Zeit ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal. Daher ist sie kurzfristig wohl die „richtige“ Wahl, wenn man an nachhaltig produzierten Lebensmitteln interessiert ist.

Was nicht bedeutet, dass man sich mit den Unzulänglichkeiten der Bio-Landwirtschaft zufrieden geben muss. Der Ökonom Albert Hirschman hat einst zwei mögliche Strategien beschrieben, die einer Konsumentin im Falle der Unzufriedenheit mit einem Produkt zur Verfügung stehen – exit und voice (für eine Anwendung im Kontext von genomeditierten Lebensmitteln, siehe hier). Exit würde hier bedeuten, kein Bio zu kaufen, weil es imperfekt ist. Doch was soll man stattdessen kaufen? Und woher soll der Produzent wissen, dass man sich durchaus viele Elemente von Bio wünscht – aber eben auch einiges mehr? Voice hingegen bedeutet, dass man auf die Unzulänglichkeiten der Bio-Landwirtschaft hinweist und sich an einer öffentlichen Debatte beteiligt (oder sie gar anstößt). Denn nur so kann ein Zustand erreicht werden, in dem verschiedene Lösungsansätze für eine nachhaltige Landwirtschaft kombiniert werden – und man als Konsumentin auch ohne Schwierigkeiten herausfinden kann, für welche Produkte das zutrifft.

Bio oder „konventionell“?

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