Es ist manchmal erstaunlich, was man als gestandene Wissenschaftlerin alles publiziert bekommt, und dazu noch in renommierten Zeitschriften. Ein Beispiel: ich bin mir sicher, wenn ich und ein paar meiner No-Name-Kolleg*innen Policy design for the Anthropocene geschrieben und bei Nature Sustainability eingereicht hätten, wäre das Manuskript nach kurzem Prozess abgelehnt worden.1 Vor allem zeigt dieses Paper aber sehr eindrucksvoll, warum Politikanalysen auf globaler Ebene (meist) keinen großen Sinn machen.
Worum geht es in Policy design for the Anthropocene (von Sterner et al.)? Den Ausgangspunkt bildet das von einigen der beteiligten Autor*innen (mit-)entwickelte Konzept der planetaren Grenzen (planetary boundaries) – ein ebenso viel zitiertes wie wegen seiner „unterkomplexen“ Natur kritisiertes Bild der globalen Auswirkungen menschlicher Aktivitäten. Mit anderen Worten: planetare Grenzen sind genau der Stoff, aus dem Nature- und Science-Artikel bevorzugt gemacht sind. Global, medial attraktiv, starke Botschaften vermittelnd – und ganz nebenbei wissenschaftlich fragwürdig.2 Doch nicht um die planetaren Grenzen soll es hier gehen, sondern darum, was Sterner et al. aus diesem Konzept gemacht haben. Hier würde ich nicht von wissenschaftlicher Fragwürdigkeit sprechen – sondern eher von wissenschaftlicher Banalität. Sterner et al. gehen nämlich von dem genannten Konzept aus, und zwar insofern sie die Nichtüberschreitung der neun planetaren Grenzen (Klimawandel, Versauerung der Ozeane, stratosphärischer Ozonabbau, atmosphärische Aerosolbelastung, Biogeochemische (P,K-)Kreisläufe, Süßwasserverbrauch, Landnutzungswandel, Biodiversitätsverlust, Einbringung neuartiger Substanzen) als normatives gesellschaftliches Ziel postulieren – so weit, so gut – und analysieren, welche Politikinstrumente und Governance-Regime notwendig wären, um dieses Ziel zu erreichen. Die angenommene Perspektive ist dabei, wie schon bei den planetaren Grenzen der Fall, global.
Was bei der Übung herauskommt, ist, nun ja, größtenteils trivial. An kaum einer Stelle geht der Artikel über Lehrbuchwissen hinaus. Es werden verschiedene Politikinstrumente vorgestellt (z. B. Steuern, Subventionen, handelbare Zertifikate, Verbote etc. – auf einem Level, das kaum über dem liegt, auf dem ich diese Instrumente kürzlich in einer Naturschutzökonomik-Vorlesung für Bachelor-Studierende eines naturwissenschaftlich orientierten Fachs an einer Fachhochschule vorgestellt habe), mitsamt ihrer jeweiligen Stärken und Schwächen. Außerdem wird ein bisschen über Verteilungswirkungen, die Herausforderungen globaler Regelwerke3 und politische Ökonomie (Analyse von Interessen beteiligter Akteure, z. B. Lobby-Gruppen) gesprochen – in allen Fällen ebenfalls auf einem recht allgemeinen, vagen Niveau. In einer Tabelle werden die Interaktionen zwischen Politikinstrumenten bzw. Politikmixen, die die einzelnen planetaren Grenzen anvisieren, skizziert (mit Betonung auf skizziert). Das Paper ist also nicht wertlos, bis auf die unten in Fußnote 3 erwähnte Behauptung sind mir auch keine fragwürdigen Aspekte aufgefallen. Aber am Ende bleibt die „Analyse“ doch auf einem sehr trivialen, unkonkreten und für das Politikdesign nicht sehr hilfreichen Abstraktionsniveau.
Hätte man es besser machen können? Wohl kaum. Das Problem war bereits die Fragestellung bzw. der Grundansatz, nämlich eine Politikanalyse auf globaler Ebene. Natürlich gibt es sinnvolle und wissenschaftliche anspruchsvolle Analysen von globalen Regelwerken – z. B. mithilfe der Spieltheorie oder politikwissenschaftlicher Theorien. Diese funktionieren aber, weil sie sich auf konkrete Politikfelder beziehen (z. B. Klimapolitik), die eine globale Dimension haben oder sinnvollerweise haben könnten, und sich auf Teilaspekte (bspw. Interaktionen von Akteuren oder Narrative) fokussieren. In manchen Fällen mag es möglich sein, die Interaktionen solcher globalen Governance-Regimes in 2+ Politikfeldern (z. B. Klima- und Handelspolitik) sinnvoll zu analysieren. All das tun Sterner et al. aber nicht. Nein, sie sprechen primär über Politikinstrumente, die man nutzen könnte, um die Einhaltung von planetaren Grenzen zu gewährleisten. Da aber die planetaren Grenzen „Aggregate“ verschiedener konkreter Umweltprobleme sind, die jeweils viele verschiedene Treiber haben, die man jeweils in kontextspezifischen, in den meisten Fällen nationalen oder gar lokalen Politiken berücksichtigen und angehen muss, muss eine derartige Analyse zwangsläufig sehr allgemein und letztlich trivial sein. Denn tatsächliche Erkenntnisse über konkrete Politikinstrumente, die konkrete Umweltprobleme lösen sollen, lassen sich nur auf einer viel niedrigeren räumlichen/administrativen Ebene generieren. Es ist zwar theoretisch denkbar, eine Vielzahl solcher Teilanalysen zusammenzufassen, auf Wechselwirkungen abzuklopfen etc. – doch dafür müsste man ein (dickes) Buch schreiben, nicht ein 8-seitiges Perspective-Paper. Ganz zu schweigen davon, dass man bei dem Versuch, alles auf die globale Ebene hochzuskalieren, konkrete Szenarien wählen müsste – welches konkrete Politikinstrument in der Region X gegen Umweltproblem Y verwendet werden soll, und wie sich das zu einem konkreten Politikinstrument in der Region Z verhält, das sich gegen das Umweltproblem F richtet. Dabei würde man sich sehr schnell dem Einwand aussetzen, willkürliche (Kombinationen von) Politikinstrumenten für die Analyse auszuwählen, die vermutlich als Gesamtbild nicht realistisch und definitiv bar jeglicher demokratischer Legitimation wären. Doch die einzige Alternative, will man eine solche Politikanalyse auf globaler Ebene durchführen, ist eben der Weg, den Sterner et al. gewählt haben – nämlich dass man den Bereich trivialer Lehrbucherkenntnisse nicht wirklich verlässt und an keiner Stelle wirklich konkret wird.
Eine der Sachen, die ich am UFZ sehr schätze (und die ich zzt. aufgrund bestimmter interner Prozesse in Gefahr sehe), ist, dass hier der Fokus auf konkrete, gesellschaftlich relevante Fragestellungen liegt. Wir bewegen uns üblicherweise nicht auf globaler Ebene, sondern auf derjenigen, die für die konkrete Fragestellung relevant ist, und entwickeln wissenschaftliche Erkenntnisse, die kontextspezifisch und daher für das Politikdesign vor Ort von Nutzen und von Bedeutung sind. Natürlich ist die Koordination der vielen kontextspezifischen, nationalen und lokalen Lösungsansätze sehr wichtig, auch auf globaler Ebene. Und auch die Analyse dieser Koordinationsleistung ist ein essentielles sozialwissenschaftliches Unterfangen. Doch auch dabei muss man bodenständig, d. h. konkret bleiben. Und wenn der Preis für eine high-profile-Publikation bei Nature oder Science wirklich ist, dass man diese Bodenständigkeit aufgibt und sich auf die globale Ebene des Abstrakten und Vagen begeben muss – dann frage ich mich, warum das eigentlich so high profile ist.
P.S. Ich schätze einige der Autor*innen des Sterner-et-al-Papers sehr (manche von ihnen kenne ich nicht); meine Kritik betrifft dieses konkrete Paper. Des Weiteren sollte ich hinzufügen, dass auch ich nicht frei davon bin, Publikationen auf Basis von Lehrbuchwissen zu schreiben (case in point). Guilty as charged.

Fußnoten
1 Ein ähnliches Beispiel ist das 2017er A roadmap for rapid decarbonization, veröffentlicht bei Science.
2 Ein hervorragendes Beispiel aus „meinem“ Forschungsbereich ist Costanza et al.’s Schätzung des ökonomischen Wertes der Biosphäre – aus Sicht der ökonomischen Theorie völliger Unsinn, aber gleichzeitig die mit großem Abstand meistzitierte ökonomische Bewertungsstudie.
3 Hier machen die Autor*innen eine schlicht unsinnige Aussage, wenn sie die Abschaffung von Agrarsubventionen als eine Maßnahme bezeichnen, die sich auch unilateral, ohne Koordination mit anderen Ländern umsetzen ließe – das Gegenteil ist der Fall.