Was ökonomisch ist, muss mit Märkten zu tun haben. Von Märkten ist es nicht mehr weit zum Kapitalismus, und dieser ist bekanntlich die Wurzel alles Bösen. So einfach kann man sich die Welt erklären – Vertreter der Heinrich-Böll-Stiftung tun dies regelmäßig. Ein aktuelles Beispiel ist das Discussion Paper Economic Valuation and Payment for Environmental Services: Recognizing Nature’s Value or Pricing Nature’s Destruction?, von einer gewissen Jutta Kill verfasst. Ich wurde dazu auserkoren, einen Kommentar dazu zu schreiben, was ich auch tat (eine Antwort der Autorin wurde angekündigt). Ich werde hier nicht den Kommentar zusammenfassen, würde aber gern auf die dem Kill-Text und vielen ähnlichen Publikationen zugrunde liegende „Logik“ eingehen, mit der ich nicht im geringsten einverstanden bin.
Eigentlich wurde die Falschheit dieser Logik schon so oft aufgezeigt, dass man denken könnte, dass dies endlich mal angekommen sein müsste. Leider ist dies nicht der Fall. Menschen, die die ökonomische Bewertung bzw. alles „Ökonomische“ im Umweltschutzkontext kritisieren – sei es Jutta Kill, Heinrich-Böll-Stiftung-Vorstandsmitglied Barbara Unmüßig, Guardian-Journalist George Monbiot oder ökologischer Ökonom Clive Spash – haben durchaus gute Argumente, hier und da. Aber sie bestehen darauf, sie immer wieder in der gleichen Flut verzerrender, simplistischer und ideologisch begründeter Behauptungen zu ertränken.
Die zugrunde liegende Überzeugung ist die folgende: Kapitalismus ist böse. Was Kapitalismus genau ist, ist nicht nur in den Veröffentlichungen dieser Autoren oft unklar. Manchmal kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass alles, was als negativ wahrgenommen wird, dem Kapitalismus zugeschrieben wird – was den Begriff natürlich sehr dehnbar macht. Wie dem auch sei, Kapitalismus ist aus Sicht der betreffenden Menschen böse. Das finde ich, abgesehen von der Unschärfe, die diesen Begriff umwebt, an sich nicht so problematisch – dass unser derzeitiges wirtschaftliches und gesellschaftliches System sehr reformbedürftig ist, finde ich ebenfalls (ob dieses System „Kapitalismus“ ist bzw. ob die Lösung darin besteht, den „Kapitalismus“ zu überwinden, weiß ich allerdings nicht). Problematisch wird es im weiteren Verlauf der Logik „ökonomisch = Märkte = Kapitalismus = Böse“. Doch um das zu verstehen, muss man sich sie von vorne, nicht von hinten ansehen. Fangen wir also mit „ökonomisch = Märkte“ an.
Was ist die Ökonomik? Diese Frage ist mitnichten einfach zu beantworten und Debatten über den Forschungsgegenstand der Wirtschaftswissenschaft wird es wahrscheinlich immer geben. Üblicherweise wird die Ökonomik entsprechend dem Vorschlag Lionel Robbins’ definiert: sie ist die Wissenschaft vom menschlichen Umgang mit knappen Mitteln angesichts konkurrierender Ziele. Man kann diese Definition normativ verstehen – dies ist, womit sich Ökonomik befassen sollte – oder aber positiv – dies ist, womit sich Ökonomen in Wirklichkeit beschäftigen. Ich gehe hier, wie viele Ökonomen, davon aus, dass beide Interpretationen ausreichend Daseinsberechtigung haben, damit die Robbins’sche Definition als Grundlage meiner weiteren Ausführungen dienen kann.
Der Grund, warum ich diesen theoretischen Absatz zu Robbins und der Definition der Ökonomik eingeschoben habe, ist einfach: sie zeigt, dass ökonomisch ≠ Märkte. Ökonomisch ist, was den Umgang mit knappen Mitteln/Ressourcen betrifft. Und ja, in vielen Kontexten sind Märkte ziemlich gut dazu geeignet, mit diesen umzugehen. Doch sie sind keineswegs immer die beste Lösung. Und das ist auch – surprise, surprise! – den meisten Ökonomen klar. Klassische Beiträge beispielsweise der Institutionenökonomen zeigen, in welchen Situationen Märkte, in welchen der Staat und in welchen andere Arten von Institutionen den kollektiven Umgang mit Ressourcen am besten regeln. Obwohl das Ökonomik-Studium heutzutage recht viel zu wünschen übrig lässt, gehört die Theorie öffentlicher Güter, zurückgehend auf Koryphäen und Träger des Nobel-Gedenkpreises Paul Samuelson und Richard Musgrave, zum Grundwissen eines VWLers. Und diese besagt, dass öffentliche Güter sich dadurch auszeichnen, dass sie nicht sinnvollerweise von Märkten bereitgestellt werden können. Man braucht für ihre Bereitstellung den Staat.
Die Gleichsetzung „ökonomisch = Märkte“ nimmt im Kontext der Kritik an der ökonomischen Bewertung besonders gern die Form an, dass ökonomische Bewertung de facto mit der Einführung marktbasierter Instrumente im Umweltschutz (Emissionshandel, Biodiversity Offsetting etc.) gleichgesetzt wird. Das ist völlig verkehrt, resultiert aber wahrscheinlich aus Unklarheiten über bestimmte ökonomische Konzepte. Ökonomische Bewertungsmethoden werden genutzt, um sog. „Schattenpreise“ zu kalkulieren – die oft im Sinne der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie als Preise interpretiert werden, die die betreffenden Umweltgüter hätten, würden sie auf perfekten Märkten gehandelt. Das heißt aber mitnichten, dass Märkte in der realen Welt für diese Umweltgüter eine sinnvolle Institution wären. Ganz im Gegenteil – dies sind meistens öffentliche Güter, die auf Märkten in unzureichender Menge/Qualität bereitgestellt werden (s. oben). Marktbasierte Instrumente sind in bestimmten Kontexten sinnvoll und nützlich – in vielen sind sie es nicht. Ökonomische Argumente bedeuten noch lange keinen Marktfundamentalismus. Und zuletzt: die wenigsten marktbasierten Instrumente nutzen in der Praxis Ergebnisse ökonomischer Bewertungsstudien, selbst dort nicht, wo dies theoretisch sinnvoll erschiene.
Zwischen „ökonomisch“ und „Märkte“ besteht also keineswegs Äquivalenz. Damit ist die Logik der Heinrich-Böll-Stiftung und ähnlicher Kritiker ökonomischer Ansätze im Umweltschutz falsch. Nichtsdestotrotz wäre es vielleicht interessant, sich auch den nächsten Schritt in dieser Logik anzusehen: „Märkte = Kapitalismus“. Vor einer Weile habe ich mich hier mit der Frage befasst, ob der Kapitalismus und Postwachstum ein Widerspruch zueinander seien. Damals bin ich von der Kapitalismus-Definition des deutschen Wirtschaftshistorikers Jürgen Kocka ausgegangen, der drei Kernaspekte des Kapitalismus ausmacht: Privateigentum und dezentrale Entscheidungen; Koordination über Märkte und Preise; Investition und Reinvestition von Kapital mit dem Ziel, künftige Mehreinnahmen zu generieren, als Hauptmotiv des Wirtschaftens. Die kursiv markierten Teile der Definition betreffen direkt Märkte. Doch sind Märkte keineswegs eine hinreichende Bedingung für den Kapitalismus (eine notwendige sind sie hingegen durchaus). Bspw. ist eine Marktwirtschaft denkbar, in der es kein/wenig Privateigentum an Produktionsmitteln gibt, womit auch das von Kocka identifizierte „Hauptmotiv des Wirtschaftens“ wohl an Bedeutung einbüßen würde.
Man könnte den Spieß auch umdrehen und fragen, wie denn eine nicht-kapitalistische Gesellschaft ohne Märkte aussehen sollte. Zentralisierte Planwirtschaft wird es wohl kaum sein; außer ein paar verstaubten orthodoxen Marxisten wünscht sich niemand mehr dieses historisch gescheiterte Modell. Märkte in der einen oder anderen Form dürfte es also auch in einer post-kapitalistischen, nicht-wachsenden, nachhaltigen und gerechten Gesellschaft geben.
Meine Vermutung ist, dass die Menschen, die ich hier kritisiere, mit der im Titel meines heutigen Beitrags genannten Gleichung gar nicht unbedingt einverstanden wären. Sie finden Märkte nicht grundsätzlich schlecht. Und auch verdammen sie nicht alles Ökonomische. Was sie eher befürchten, ist, dass die Verwendung ökonomischer Argumente und marktbasierter Instrumente Überhand nimmt; dass sie dort verwendet werden, wo sie mehr Schaden anrichten als helfen; dass sie aus Sicht dieser Menschen unerwünschte Machtgefüge festigen; dass sie die Reichweite der „Marktlogik“ erweitern, wie bereits von Karl Polanyi in seinem 1944er Klassiker The Great Transformation befürchtet (kein besonders gutes Buch übrigens). All dies sind berechtigte Befürchtungen. Doch sie sind nicht Grund genug, alles Ökonomische undifferenziert über einen Kamm zu scheren und grundsätzlich abzulehnen. Denn das eigentliche Problem ist in diesem Kontext weniger die Ökonomik – es ist vielmehr der politische Umgang mit ihr. Doch vor Missbrauch in der politischen Arena sind keine Politikinstrumente und Argumentationslinien gefeit; Ökonomik ist hier nichts Außergewöhnliches. Und entgegen dem, was Kritiker behaupten, haben ökonomische Ansätze zwei wesentliche Vorteile: sie haben das Potenzial, dort Wirkung zu entfalten, wo die traditionellen Umweltschutzansätze offensichtlich gescheitert sind; und sie sind in manchen Kontexten einfach besser, weil sie bspw. Verschwendung und mangelnde Präzision der traditionellen command-and-control-Ansätze vermeiden. Sie sind dabei mitnichten Allheilmittel – aber die sollte man auch nicht im gesellschaftlichen „Instrumenten-Kasten“ suchen, sondern in den Köpfen der Betreffenden. Ökonomische und sonstige Umweltschutzansätze sind nur so gut wie die sie einsetzenden Gesellschaften.