Wir leben in einer sogenannten „Konsumgesellschaft“, in der Konsum sehr viele Funktionen spielt, jenseits der üblichen Befriedigung materieller Bedürfnisse. Konsumgüter sind Statussymbole, Einkaufen dient der Frustrationsbewältigung oder ist schlicht ein Mittel gegen Langeweile. Diese „Kultur des Konsumismus“ ist unschön und aus Sicht mancher Menschen unerwünscht. Ihre Ursachen sind unklar – viele suchen sie im ominösen Kapitalismus. Man könnte jedoch sagen: nun ja, wenn die Menschen es so wollen, sollen sie doch (ich bin nicht sicher, ob diese Herangehensweise korrekt ist, werde sie aber heute als Prämisse für weitergehende Ausführungen nutzen). Problematisch ist allerdings, dass kollektiver Konsumismus Folgen hat, die viele Menschen eigentlich gar nicht zu wollen scheinen – von Umweltzerstörung bis hin zum Verschwinden kleinskaliger Konsumoptionen („Tante-Emma-Laden“) zugunsten anonymer, rein verwertungsorientierter Konsumzentren. Ein Grund dafür ist, dass wir modernen Konsumenten extrem preisfixiert sind und andere Informationen über die gekauften Produkte und Dienstleistungen vernachlässigen. Und das wiederum bedeutet, dass ökonomische Bewertung durchaus sinnvoll sein kann.
Die allgemeine Preisfixierung moderner Konsumenten ist natürlich unterschiedlich stark ausgeprägt je nach Land, Milieu und betreffender Produktgruppe. Die Deutschen beispielsweise sind bekannt für ihre extreme Preissensibilität bei Lebensmitteln, quer über die meisten Gesellschaftsgruppen (sogar unter den „Ökos“, von denen ich in meinem Alltag umgeben bin, ist dieses Phänomen bedenklich verbreitet), wohingegen sie bei anderen Produktgruppen – nach meiner kursorischen Beobachtung insbesondere Automobile und Elektronik – durchaus anderen Merkmalen als nur dem Preis Beachtung schenken. In anderen Ländern ist die Preisfixierung mehr oder weniger stark ausgeprägt – sie ist aber zumindest in Europa praktisch überall vorhanden (ich sehe hier von Gesellschaftsgruppen ab, die es sich nicht leisten können, über den Preis hinauszuschauen – obwohl ich finde, dass dieses „Armuts-Argument“ zumindest in Deutschland überstrapaziert wird). Gleichwohl wollen wir alle – deklarativ – Produkte, die gesund, umweltfreundlich und nach Möglichkeit fair gehandelt sind. Oder dass Menschen hierzulande für ihre Arbeit fair bezahlt werden. Das beißt sich oft. Produkte, die diese Wunscheigenschaften besitzen, können nicht so günstig sein, wie die meisten von uns gekauften Sachen (was ich am Beispiel von Handys schon mal diskutiert habe).
Das Problem ist, dass der Preis ein relativ klares Signal ist. Ob etwas 1,49€ kostet oder eher 2,79€, ist sofort ersichtlich. Dahingegen muss man sich schon anstrengen, um herauszufinden, wie es mit der Umweltfreundlichkeit eines Produktes aussieht oder wie dieses Produkt dazu beiträgt, dass Kassierer hierzulande und Fabrikarbeiter in Entwicklungsländern ausgebeutet werden. Und das trotz – oder vielleicht wegen – der Fülle an Siegeln, mit denen die Produkte versehen sind. Unter den gegebenen Umständen ist es vielleicht verständlich, dass wir bei täglich erworbenen Produkten so sehr auf den Preis fixiert sind – während wir bei größeren, selteneren Einkäufen (Auto, Stereoanlage etc.) immerhin mehr Merkmale in unsere Entscheidung einfließen lassen. Wenn auch nicht unbedingt solche wie Umweltfreundlichkeit – möglicherweise, weil diese von Herstellern/Anbietern nur selten exponiert werden.
Was hat all dies mit der ökonomischen Bewertung zu tun? Mit der „bösen“ ökonomischen Bewertung, sollte ich vielleicht schreiben, die zumindest laut der Heinrich-Böll-Stiftung mit fiesen multinationalen Konzernen und kapitalistischen Blutsaugern unter einer Decke steckt (meinen ausführlichen Kommentar zu der verlinkten HBS-Publikation findet man hier)? Die Antwort auf diese Frage ist simpel – alles. Denn genau das Problem der Preisfixierung und Außerachtlassung nicht im Preis enthaltener Faktoren liefert der ökonomischen Bewertung ihre Daseinsberechtigung.

Das Ziel der ökonomischen Bewertung besteht darin, verschiedenste Effekte unseres Produktions- und Konsumverhaltens in Geldmaßstäbe zu übersetzen. Man hängt damit bspw. der Zerstörung eines Waldes zugunsten einer Ölpalmenplantage, die das Palmöl für unsere Kosmetika liefern soll, einen Preisschild an. Oder man beziffert die wahrscheinlichen negativen Auswirkungen des Klimawandels, der durch das Herumkarren von Produkten entlang globalisierter Wertschöpfungsketten befeuert wird. Diese Preisinformation kann man dann nutzen, um mithilfe von Steuern, Subventionen und ähnlichen Instrumenten die Preise der betreffenden Produkte anzupassen und ganz im Sinne Pigou’scher Steuern „realitätsnäher“ zu machen. Natürlich kriegt man das nie in irgendeinem objektiven Sinne „korrekt“ hin: zu ungenau die Bewertungsmethoden, zu hoch die Unsicherheiten, zu komplex die betreffenden Effekte. Und manche Effekte lassen sich schlicht und einfach nicht sinnvoll monetarisieren (es findet sich wohl kaum ein wahnsinniger Ökonom, der den Verlust persönlicher Rechte in Geldeinheiten ausdrücken würde). Nichtsdestotrotz kann die ökonomische Bewertung präzise und umfangreich genug sein, um einen Informationsgewinn gegenüber üblichen Marktpreisen herbeizuführen.
Übrigens muss der Staat gar nicht „fiskalisch“ einschreiten und anhand der Ergebnisse von Bewertungsstudien Steuern einführen – um ehrlich zu sein, ist dies ein eher unwahrscheinliches Szenario. Selbst wo Öko-Steuern eingeführt werden, ist ihre Bemessungsgrundlage meistens vor allem das Ergebnis politischer Verhandlungen und höchstens zweitrangig von ökonomischen Bewertungsergebnissen beeinflusst. Doch es gibt auch indirektere Wege, wie ökonomische Bewertung Preise beeinflussen kann. Zum Beispiel werden Bewertungsstudien mitunter genutzt, um Kosten-Nutzen-Analysen von Infrastruktur- und ähnlichen Projekten durchzuführen. Fällt eine solche KNA negativ aus und wird ein Projekt deswegen nicht durchgeführt, kann es sein, dass bestimmte Produkte teurer werden, weil ihre Hersteller bspw. alternative Transportwege nutzen müssen. Die Wirksamkeit ökonomischer Bewertung ist sicherlich eingeschränkt, darüber sollte man sich im Klaren sein – völlig nutzlos ist sie aber keineswegs. Klug eingesetzt kann sie helfen, die Auswirkungen der Preisfixierung moderner Konsumenten zu mildern, indem sie die Preise zu „korrigieren“ hilft – durch ökonomische Bewertung können mehr Informationen implizit in den Preis integriert werden, als normalerweise drin stecken.
Das löst natürlich nicht die zugrundeliegenden Probleme der Preisfixierung selbst oder gar des Konsumismus. Für diese bedarf es anderer Lösungsansätze, die ökonomische Bewertung ist da völlig impotent. Diese grundlegenderen Probleme dürften auch deutlich schwerer zu lösen sein, als es ist, einen Preis zu „korrigieren“. Die entsprechenden Ansätze dürften wohl eher einer umfangreichen Transformation der Mentalität, der Produktions- und Machtverhältnisse gleichkommen. Entgegen dem, was von Kritikern der ökonomischen Bewertung oft behauptet wird, ist es aber nicht so, dass sie diesen Ansätzen im Wege stehen würde. Vielmehr handelt es sich hierbei um zwei verschiedene Paar Schuhe – die ökonomische Bewertung kann ein pragmatisches Instrument zur Lösung kleinerer Probleme innerhalb der derzeitigen gesellschaftlichen Konstellationen sein. Die Lösung der großen Probleme dürften wir nur außerhalb dieser Konstellationen finden – der Weg dorthin ist aber steinig und dürfte uns eine Weile nehmen. Bis dahin wäre es vielleicht klug, die Umstände so weit zu verbessern, wie es auch ohne „revolutionären“ Aufwand geht.