„Follow the science!“ hört man in Nachhaltigkeitsdebatten immer wieder. Auch wenn diese Phrase viel Interpretationsspielraum zulässt, ist eine häufig geäußerte Kritik, dass die Wissenschaft hier einen normativen Anspruch erhebe, sozusagen die „Marschrichtung“ für gesellschaftliche Entscheidungsprozesse vorgeben zu wollen. Was wiederum zu Rufen nach „ideologiefreier“ Forschung (und Wissenschaftskommunikation) führt. Da ich mich mit meiner Forschung und Wissenschaftskommunikation in einem besonders normativ aufgeladenen Feld bewege, dem der „nachhaltigen Landwirtschaft“, dazu auch noch sozialwissenschaftlich, muss ich mir die Frage immer wieder stellen, wie viel Normativität für mich „zulässig“ oder gar unvermeidbar(?) ist und in welcher Form.
Zunächst möchte ich eine tiefsitzende Überzeugung loswerden: Wenn man denn halbwegs angewandte bzw. im weitesten Sinne gesellschaftlich relevante Forschung betreibt (was aus dem Thema, nicht aus der Art der Forschung resultiert), kann man gar nicht wertfrei forschen und kommunizieren. Wissenschaftler:innen sind Menschen – wir finden bestimmte Sachen wichtig, andere weniger; wir haben eine Vorstellung davon, was für die Gesellschaft gut ist; wir sind Bürger:innen. Und so schön es wäre, unsere Rolle als Bürger:innen von der als Wissenschaftler:innen sauber zu trennen – in der Praxis ist das nicht möglich. Was wir wie beforschen, was wir wie kommunizieren, wird immer und unumgänglich davon gefärbt sein, welche Werte wir haben, was unsere normativen Vorstellungen sind.
Gerade im Bereich der Nachhaltigkeitsforschung stellt eine:n das allerdings vor ziemliche Herausforderungen – denn viele (meine Wenigkeit inbegriffen) haben das Gefühl, dass wir als Gesellschaft immer mehr auf einen point of no return zusteuern, ohne dass die Mehrheit der Menschen die Bereitschaft zeigen würde, wirklich etwas dagegen zu unternehmen. Klar: Dass Klima- und Biodiversitätsschutz wichtig sind, darüber sind sich die Menschen ziemlich einig – was aber konkret zu tun wäre und welche Anstrengungen zumutbar sind, sind sehr kontroverse Fragen (wie u. a. Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser sehr eindrucksvoll in Triggerpunkte zeigten). Und da man in den seltensten Fällen (so sie denn überhaupt existieren) Nachhaltigkeitsforschung aus reinem Erkenntnisinteresse betreibt – es geht in der Regel auch um eine Überzeugung, dass es sich hierbei um ein gesellschaftlich zentrales Thema handelt – hadert man mit der Trägheit der Prozesse, die man entweder selbst erforscht (als Sozialwissenschaftler:in) oder zu denen man jedenfalls Erkenntnisse beitragen möchte. Man hadert auch mit Populismus und vermeintlich einfachen „Wahrheiten“, die den Diskurs prägen und die zu bekämpfen – Stichwort Brandolinis Gesetz – sich oftmals wie eine Sysyphus-Aufgabe anfühlt. Wie ich schon vor Ewigkeiten im Kontext von Umwelt-NGOs diskutiert habe, kann dieses Hadern oder gar die daraus erwachsende Verzweiflung zu als problematisch, ja extrem wahrgenommenen Reaktionen führen (Stichwort Letzte Generation oder Extinction Rebellion, mit denen auch Wissenschaftler:innen assoziiert sind). Wenn man (ich) zu solchen nicht bereit ist, stellt man (ich) sich dann doch immer wieder die Frage: Wie kann ich zu Nachhaltigkeitsthemen forschen und kommunizieren, in diesem Zuge idealerweise einen positiven Einfluss auf gesellschaftliche Entscheidungsprozesse nehmen (denn sonst würde man keine Wissenschaftskommunikation betreiben), ohne die eigene wissenschaftliche Integrität zu untergraben?
Die einfache Antwort ist: Transparenz. Wie Roger Pielke, Jr. in seinem einflussreichen Buch The Honest Broker argumentiert, geht es bei gesellschaftlichen Problemen meistens nicht nur – oft nicht einmal primär – um Klärung (unsicherer) „Fakten“, sondern auch oder gerade um (unsichere und diverse) Werte. Ignoriert man dies und versucht, eine:n „neutrale:n Wissenschaftler:in“ zu geben, der bzw. die lediglich „die Fakten“ liefert (in Pielkes Sprache heißt diese angestrebte Rolle science arbiter), passiert in der Regel etwas Anderes – man wird nämlich zu einem stealth issue advocate, der, bewusst oder unbewusst, seine eigenen normativen Überzeugungen in die vermeintlich rein auf Faktenvermittlung fokussierte Kommunikation einfließen lässt. Das ist problematisch. Transparenz bedeutet hingegen, dass man eine von zwei alternativen Rollen einnimmt: Entweder die des (offenen) issue advocate, der aus seinen normativen Überzeugungen keinen Hehl macht (bspw. dass die Gesellschaft das 1,5°C-Ziel einhalten sollte oder dass Atomkraft die Risiken nicht wert ist), und davon ausgehend Forschung betreibt und kommuniziert; oder die des honest broker (of policy alternatives), der eher im Stil einer wenn–dann-Analyse versucht, der Gesellschaft und der Politik zusätzliche Optionen und Alternativen aufzuzeigen. Diese idealtypischen Rollen existieren so natürlich nicht in der realen Welt – die wichtigen Botschaften hier sind aber eher, dass a) Transparenz über eigene normative Ausgangspunkte notwendig ist, denn b) Nachhaltigkeitsforschung bar jeglicher Normativität eine Illusion (oder, schlimmer, eine Lüge) ist.
Doch auch wenn Pielke immer wieder betont, dass beide Rollen – issue advocate und honest broker – wichtig und legitim seien, merke ich im Kontext der Debatten um nachhaltige Landwirtschaft immer wieder, dass Erstere an ihre Grenzen stößt. Wenn man nämlich die normativen Prämissen eines issue advocate nicht teilt, ist es leicht, seine Argumentation in Gänze abzulehnen. Kommunikationsstrategisch erscheint mir daher eine an honest broker angelehnte Herangehensweise zielführender und effektiver – „Wenn ihr X erreichen wollt [als Gesellschaft/Politik/gesellschaftliche Gruppe], dann habt ihr Optionen a, b, c und y, die mit folgenden Konsequenzen einhergehen.“ Auch das ist natürlich idealtypisch – aufgrund der Opportunitätskosten der Zeit und der allgemeinen Knappheit von Ressourcen in der Forschung kann man nur eine (kleine) Teilmenge aller Xe „durchspielen“ und für jedes X nur eine Teilmenge der zu ihrer Erreichung potenziell denkbaren Optionen. Aber ein offenerer Umgang mit Nachhaltigkeitsproblemen und ihren potenziellen Lösungen erscheint mir kommunikationsstrategisch effektiver, auch wenn man persönlich zu bestimmten Lösungen (oder Zielen) stärker tendiert.
Im Kontext der nachhaltigen Landwirtschaft gehört für mich hierbei dazu, aktuelle Politikansätze zu hinterfragen, aber primär um Zielkonflikte aufzuzeigen. Das betrifft bspw. Debatten um Ökolandbau, Glyphosat, grüne Gentechnik, GLÖZ 8… Klima-, Biodiversitäts- oder Gewässerschutz haben Opportunitätskosten, genauso wie Landwirtschaft im business as usual sie hat, und die gilt es aufzuzeigen (sowohl für den Status Quo als auch für verschiedene alternative (Zukunfts-)Szenarien). In den seltensten Fällen (so sie denn überhaupt existieren) lässt sich sagen: „Wenn wir Y tun, wird alles besser oder zumindest nicht schlechter.“ (so sehr die Ökonomik am Pareto-Kriterium hängt, so zahnlos ist es) Daher habe ich immer Bauchschmerzen, wenn Wissenschaftler:innen beispielsweise sagen: „Aus wissenschaftlicher Sicht müssen neue Züchtungstechnologien zugelassen werden!“. Ja, es gibt Argumente dafür (und, Disclaimer, ich teile viele davon), aber letztlich ist es eine Entscheidung, bei der konfligierende Werte abgewogen und Unsicherheiten bewertet werden müssen, was der Wissenschaft schlicht und einfach nicht zusteht (auch wenn gerade Sozialwissenschaften viele Informationen zu dieser Entscheidung beitragen können, insbesondere um die relevante Argumente zu systematisieren). Was andererseits natürlich nicht heißt, dass die Wissenschaft nicht versuchen darf und sollte, offensichtlichen Unsinn als solchen zu brandmarken (obwohl ich skeptisch bin, dass viel davon wirklich verbreitet wird – am Ende geht es dann doch zumindest implizit um schlecht rational zu diskutierende Grundprämissen).
Angesichts der Tatsache, dass man um eine Mischung aus issue advocacy und honest arbitrage wohl kaum herumkommt, gerade in einem Forschungsfeld wie nachhaltige Landwirtschaft, sowie dass sogar honest arbitrage durch Opportunitätskosten behindert wird, sollten Medien und Politik meiner Meinung nach auf eine Diversität an Stimmen aus der Wissenschaft achten. Zwar ohne falsche Ausgewogenheit – offensichtliche Klimawandelleugner:innen zum Beispiel braucht echt niemand mehr zu hören –, aber in den medialen Debatten und politischen Prozessen sieht man dann doch immer wieder die gleichen Wissenschaftler:innen, die ihre üblichen Botschaften vermitteln (und oft genug dabei Gefahr laufen, als Dienstboten einer bestimmten politischen Option wahrgenommen zu werden). Bei komplexen und unsicheren Problemen (in diese Kategorie fallen jegliche Nachhaltigkeitsthemen hinein) bedarf es meines Erachtens einer größeren Diversität an Stimmen und Perspektiven, als dies aktuell der Fall ist – und zwar nicht nur im Sinne von „pro und contra“, sondern gerade auch, um das Spektrum zwischen den Extremen auszuleuchten, auf der Suche nach Kompromissen (bzw., im Sinne des honest broker, zur Erweiterung des Optionenraums). Denn ohne sie wird es mit Nachhaltigkeit – in der Landwirtschaft und anderswo – schwierig.