Bin ich ein Ökonom?

Eine ziemlich akademisch und zunächst vielleicht auch egozentrisch anmutende Frage. Die eigentlich richtige Reaktion wäre: Who cares? Doch sie ist für meine (und nicht nur meine) Karriere leider sehr relevant. Und zudem mit der zugrundeliegenden Frage verbunden: was ist eigentlich Ökonomik?

Warum beschäftigt mich diese Frage? Nun, das deutsche und internationale Wissenschaftssystem ist stark disziplinär ausgerichtet. Ich habe das Glück, an einem recht interdisziplinär ausgerichteten Helmholtz-Forschungszentrum meine Karriere begonnen zu haben, und bin derzeit immer noch dort. Aber so wie die Lage derzeit ist, scheint es unwahrscheinlich, dass ich langfristig am UFZ werde bleiben können. Und die Welt außerhalb des UFZ ist deutlich weniger offen für Interdisziplinarität. Früher oder später, wenn ich mich um eine Professur bemühe (was derzeit nahezu die einzige Möglichkeit ist, eine unbefristete Stelle zu bekommen), muss ich begründen können, warum ich für eine (voraussichtlich) ökonomische Professur geeignet bin. Und das wird kompliziert, trotz der Tatsache, dass ich in VWL promoviert bin.

Warum wird es kompliziert? Nun, eben weil ich in einem interdisziplinären Umfeld „großgeworden“ bin. Auch wenn ich mich selbst als (Umwelt-)Ökonom betrachte, bedeutet das noch lange nicht, dass das andere ebenfalls so sehen (es ist ein bisschen wie mit Nationalität). Denn: was macht einen Ökonomen aus?

Es gibt viele Definitionen der Ökonomik. Eine vielfach zitierte, die ich persönlich vorziehe, ist die von Lionel Robbins:

Economics is a science that studies human behavior as a relationship between limited resources and unlimited wants which have alternative uses.

Doch wenn man sich in der ökonomischen Community umschaut, merkt man recht schnell, dass sich sehr viel, ja, das meiste – ganz in der Tradition Gary Beckers, des Begründers des ökonomischen Imperialismus – um Methoden dreht. Die Anwendung der economic method ist, was eine*n Ökonom*in ausmacht. Auch wenn das Spektrum der „ökonomischen Methoden“ inzwischen recht breit ist (Ökonometrie, Randomized Control Trials, Spieltheorie, ökonomische Laborexperimente, quasi-experimentelle Ansätze, formale Modellierung, Dynamische Stochastische Gleichgewichtsmodellierung…), so ist es doch ziemlich klar umrissen. Das merkt man recht schnell, wenn man versucht, in ökonomischen Zeitschriften zu publizieren. Da spielt die Methode oft eine größere Rolle als die Fragestellung. Und z. B. in der Agrarökonomik, mit der ich zunehmend zu tun habe, kommt man mit qualitativen Ansätzen, wie beispielsweise der Institutionenökonomik (die eigentlich zum Mainstream gehört), kaum durch. Ganz abgesehen davon, dass interdisziplinäre Kollaborationen oft nach ganz anderen Kriterien operieren als solchen, die zu methodischer Innovation führen, gerade im Umweltbereich – denn hier geht es eigentlich gerade um die (politikrelevante) Fragestellung, die Methode ist nur ein Mittel zum Zweck.

An dieser Stelle eine Zwischenbemerkung: wenn ich „Ökonomik“ schreibe, meine ich „orthodoxe“/„neoklassische“ bzw. „Mainstream-Ökonomik“. Mir ist zwar bewusst, dass es viele heterodoxe Denkschulen in der Ökonomik gibt, und mit einer von ihnen – der Ökologischen Ökonomik (die allerdings ebenfalls sehr exklusiv sein kann, bloß umgekehrt – für manche Ökologische Ökonom*innen ist alles, was nach Mainstream riecht, Teufelszeug) – habe ich recht viel zu tun. Allerdings sind die allermeisten Fakultäten vom Mainstream geprägt, sodass man sich in der Karriereplanung zumindest teilweise auf ebendieses einlassen muss.

So wird Zugehörigkeit zur ökonomischen Zunft letztlich an Publikationen gemessen, der Allzweckwährung der Wissenschaft. Wo hat man seine Arbeit unterbekommen? Sind da führende ökonomische Zeitschriften dabei? Wenn schon nicht die sog. Top 5 (Econometrica, American Economic Review, The Quarterly Journal of Economics, Journal of Political Economy, Review of Economic Studies) der einflussreichsten „general interest journals“, um deren Dominanz es seit Jahren Debatten gibt, dann doch bitte zumindest die führenden Zeitschriften des Feldes, in dem man sich bewegt – in meinem Fall Umwelt- und Agrarökonomik. Mit meinen vor allem auf Politikrelevanz orientierten, interdisziplinär ausgerichteten und methodisch recht flexiblen (und häufig qualitativen) Arbeiten komme ich da nicht an, selbst wenn ich es mal versuche. So bleibt eine zusammen mit meinem ambitionierten Kollegen Nils Droste geschriebene Replik meine einzige Publikation in einer angesehenen Mainstream-umweltökonomischen Zeitschrift (Environmental and Resource Economics) (paradoxerweise ist Nils selbst inzwischen Juniorprofessor für Umweltpolitik).

Heißt das nun, ich bin kein Ökonom, weil ich nicht unbedingt mit typisch ökonomischen Methoden arbeite und nur selten in Mainstream-ökonomischen Zeitschriften publiziere? In meiner eigenen Wahrnehmung – doch. Denn für mich macht nicht der methodische Baukasten einen Ökonomen aus, sondern die Art der Fragestellungen, mit denen er sich befasst. In Anlehnung an Lionel Robbins geht es darum, die Allokation knapper Ressourcen unter Berücksichtigung von Präferenzen der Beteiligten und Betroffenen zu analysieren, mit einem starken Fokus auf Zielkonflikte. Dafür sind oft ökonomische Methoden im engeren Sinne gut geeignet, aber eben nicht nur sie. Die anderen Sozialwissenschaften haben komplementäre Methoden zu bieten, und gerade im Kontext interdisziplinärer, politikrelevanter Forschung sollte die primäre Frage nicht sein, „Ist die Methode (oder auch Theorie), die ich anwenden will, eine ökonomische?“, sondern „Welche Methode (oder Theorie) ist am besten geeignet, die Frage zu beantworten, vor der ich stehe?“ sowie „Ist die gewählte Methode (oder Theorie) passfähig dazu, was meine (naturwissenschaftlichen) Kolleg*innen zur Beantwortung ihrer Teilfragen tun?“ Wenn ich irgendwann vor einer ökonomischen Berufungskommission stehe, werde ich so ähnlich argumentieren, um mein eigenes Forschungsprofil zu erklären. Ob ich damit jemanden überzeugen kann – das werden wir dann sehen.

3 Gedanken zu “Bin ich ein Ökonom?

  1. Hallo Bartosz,
    ich kann nicht wiklich gut einschätzen, inwiefern Helmholtz ein gutes Sprungbrett für eine Universitätskarriere ist. Vor gut 20 Jahren bin ich selbst bei Helmholtz in München gewesen und die Kollegen, die mir einfallen, haben (so wie ich selbst auch) eine Professur an einer Fachhochschule. Vielleicht sind die typischen PostDoc-Karrierewege aber inzwischen andere. Vielleicht ist es hilfreich, mal rumzuschauen, ob die Juniorprofessur an der Uni als Anschluß-Job häufiger bei euch vorkommt. Damals gab es diese Zwischenstufe noch nicht. Für mich war günstig, dass meine Jahre bei Helmholz nach der Diss aus Sicht der FH als “außerhalb des Hochschulbereichs” gewertet wurden. Ich mußte also keine Drei-Jahre-Schleife über irgendeinen Verband oder Berater drehen, sondern bin gleich von Helmholtz an die FH gegangen.
    Gruß Olaf

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    • Vielen Dank für den Erfahrungsbericht. Ich könnte mich auch mit einer FH-Professur anfreunden, obwohl eher als „Notlösung“, weil ich Lehre zwar gern mache, aber doch eine klare Präferenz für Forschung habe. Anekdotische Evidenz aus meinem Umfeld legt nahe, dass es durchaus möglich ist, vom UFZ direkt an eine FH zu wechseln. Juniorprofessuren gibt es weiterhin nur an manchen Universitäten, aber es ist definitiv eine Option. Letztlich: mal sehen.

      Unabhängig von meiner eigenen Erfahrung finde ich es aber trotzdem schade, dass Interdisziplinarität, die in vielen Bereichen gesellschaftsrelevanter Forschung enorm wichtig ist, sich bei der Karriereplanung eher als Hindernis herausstellt.

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  2. Ja also es ist schon schade, das interdisziplinäres und problemorientiertes Arbeiten anscheinend nicht belohnt wird. Auf der anderen seite brauchen wir natürlich „disziplinierte“ Wissenschaft und Methodeninnovation. In den Agrarwisenschaften fehlt mir tatsächlich manchmal z.B. ein „disziplinierter“ ökologischer Aspekt (Methoden, theoretische/Konzeptionelle Erkenntnisse aus der Ökologie)

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