Vor drei Wochen, kurz vor Weihnachten, präsentierte die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner, das Diskussionspapier zur Ackerbaustrategie 2035. Im Folgenden möchte ich eine Einschätzung dieser Strategie wagen, mit Fokus auf Agrarumweltfragen – die eine zentrale Rolle in dem Papier spielen.
Zunächst: die Ackerbaustrategie 2035 des BMEL sollte nicht mit der ein Jahr älteren Ackerbaustrategie der deutschen Landwirtschaft des Deutschen Bauernverbandes (DBV) verwechselt werden. Gleichwohl gibt es signifikante inhaltliche Überschneidungen zwischen den beiden Papieren – auch wenn die Schwerpunkte etwas unterschiedlich liegen und die BMEL-Strategie in vielen Punkten umfassender ist. Sie besteht aus zwei Teilen: den Leitlinien sowie den Handlungsfeldern. Leitlinien wurden für die folgenden Bereiche formuliert: Versorgung, Einkommenssicherung, Umwelt- und Ressourcenschutz, Biodiversität, Klimaschutz und Klimaanpassung sowie Gesellschaftliche Akzeptanz (s. Abbildung weiter unten). Die Handlungsfelder werden nochmal unterteilt in Fachliche und produktionsbezogene Handlungsfelder (Boden, Kulturpflanzenvielfalt und Fruchtfolge, Düngung, Pflanzenschutz, Pflanzenzüchtung, Digitalisierung, Biodiversität, Klimaanpassung) sowie Übergreifende Handlungsfelder (Klimaschutz, Bildung und Beratung, Landwirtschaft und Gesellschaft, Begleitung der Umsetzung). Der Kern des Diskussionspapiers ist die Betrachtung der einzelnen Handlungsfelder vor dem Hintergrund der Leitlinien. Dabei wird die Diskussion eines jeden Handlungsfeldes in Ausgangslage, Problemstellung, Zielkonflikte, Ziele, Indikatoren, Maßnahmen und Wirtschaftlichkeitsbewertung unterteilt. Am Ende des Dokuments findet man darüber hinaus eine Bewertungsmatrix, mit der alle vorgeschlagenen Maßnahmen qualitativ im Hinblick auf ihre Wirkung auf die Ziele der Ackerbaustrategie (Versorgung, Schutz natürlicher Ressourcen, Förderung der Biodiversität, Klimaanpassung, Klimaschutz, Gesellschaftliche Akzeptanz) bewertet sowie mit einer groben Einschätzung des erwarteten Umsetzungszeitrahmens (kurz, mittel, lang) versehen werden.

Die Ackerbaustrategie 2035 war im CDU/CSU-SPD-Koalitionsvertrag für Mitte der Legislaturperiode angekündigt worden und wurde tatsächlich etwas mehr als zwei Jahre nach der Bundestagswahl 2017 vorgelegt. Laut Koalitionsvertrag sollte ihr Augenmerk primär auf Umwelt- und insbesondere Biodiversitätsschutz liegen. Dies ist auch weitgehend gelungen, auch wenn sowohl die Liste der Herausforderungen in der Einleitung (unterteilt in Ökonomie, Umwelt und Klima, Gesellschaft, Strukturveränderung, Bodenpreise, Zielkonflikte) wie der Leitlinien breiter ist und allein hinsichtlich der Reihenfolge eine Priorisierung der Versorgung mit Lebensmitteln gegenüber anderen Belangen impliziert. Somit werden Agrarlandschaften zwar als multifunktional betrachtet, aber die Versorgungsfunktion genießt nach wie vor Primat – wie man es von einem christlich-demokratisch geleiteten Landwirtschaftsministerium wohl auch nicht anders erwarten sollte.
Nichtsdestotrotz sollte man dem BMEL zugute halten, dass die meisten umweltrelevanten Probleme der deutschen Landwirtschaft recht klar benannt werden und Lösungsansätze recht ergebnisoffen diskutiert werden. Rhetorisch würde ich die Strategie also positiv bewerten, auch wenn hier und da Lücken bestehen – vor allem, und das ist der größte Kontrast zur DBV-Strategie, wird den ländlichen Räumen keine Beachtung geschenkt. Man könnte dies damit begründen, dass es sich um eine Ackerbau– und keine Landwirtschaftsstrategie ist (was allerdings auch beim DBV gilt). Eher spiegelt es aus meiner Sicht aber die mangelnde Bereitschaft wider, sich den Problemen der Landwirtschaft bzw. des Ackerbaus aus einer systemischen Perspektive anzunähern (trotz positiver Ansätze an einigen Stellen). Aber dazu gleich.
Die größte Schwäche der Strategie besteht aus meiner Sicht in den Maßnahmen, die zur Umsetzung der Ziele in den einzelnen Handlungsfeldern vorgeschlagen werden. Praktisch durch die Bank sind die Maßnahmen vage und inkonkret – in nur wenigen Fällen sind sie an quantitative Zielvorgaben gebunden (z. B. Humusgleichgewicht in allen Ackerböden bis 2030, Netto-Null beim Flächenverbrauch bis 2050). Meist geht es eher um eine „deutliche Reduktion“ oder „Förderung der Umstellung“ oder ähnlich unkonkrete Zielmarken. Der einzige Bereich, der sich hinsichtlich des Grades der Konkretheit abhebt, ist das Handlungsfeld Düngung – was wenig überraschend ist, denn Deutschland ist seit Juni 2018 mit einer EU-Klage konfrontiert und es muss bald Maßnahmen umsetzen, um die Nitratbelastung von Gewässern signifikant zu reduzieren. Doch auch hier zeigt sich eine weitere Schwäche des Maßnahmenkatalogs – die Maßnahmenvorschläge der Strategie sind sehr „technisch“ orientiert, im Sinne von Informationsbereitstellung, Forschung und Entwicklung, Erprobung, Monitoring… Dabei macht die Einleitung Hoffnungen, die später enttäuscht werden. So steht da bspw. „Dabei sind […] für zusätzlich erbrachte Gemeinwohlleistungen des Ackerbaus auch öffentliche Mittel notwendig, um Veränderungen anzustoßen und sie möglich zu machen.“ Wer auf dieser Basis konkrete Vorschläge zur Honorierung von Gemeinwohlleistungen erwartet, wird sie nicht finden – im weiteren Text läuft dies meist auf Förderung von Forschungs- und Erprobungsprojekten hinaus. Was hingegen relativ rar gesät ist, sind Vorschläge für den Einsatz von Politikinstrumenten (Anreizen oder Regulierungen). Hier und da tauchen einzelne Instrumente auf, aber es sind eher Ausnahmen. Es ließe sich natürlich einwenden, dass die Agrar(umwelt)politik in Deutschland sehr stark von der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU geprägt ist. Es gibt allerdings mindestens zwei Gegenargumente: erstens hat das BMEL und die Bundesländer bereits jetzt einigen Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung der GAP und darüber hinausgehenden Regulierungen, der sich außerdem im Zuge der GAP-Reform (zumindest laut derzeit diskutierten Reformvorschlägen) noch deutlich vergrößern dürfte. Zweitens ist die Gestalt der GAP ab 2021 eben noch nicht beschlossen – und mit Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin dürfte die deutsche Regierung hier ein noch größeres Einflusspotenzial haben als sowieso schon. Daher verwundert es auch, dass in der Bewertungsmatrix am Ende der Strategie die Maßnahme 12.1 „Vorschläge zum Umbau der Agrarförderung erarbeiten, u. a. zugunsten einer angepassten Entlohnung ackerbaulicher Gemeinwohlleistungen“ hinsichtlich des Umsetzungszeithorizonts mit „mittel“ bewertet wurde – wo doch gerade jetzt der richtige Zeitpunkt wäre, Vorschläge laut und deutlich einzubringen. Denn bald dürfte es dafür zu spät sein (eigentlich wäre es noch besser gewesen, wenn Deutschland diese Vorschläge schon früher mit mehr Nachdruck eingebracht hätte).
Eines der wenigen konkreten Politikinstrumente, die in der Strategie auftauchen, ist die Flurbereinigung, d. h. die Neuverteilung und -zuschneidung von landwirtschaftlichen Grundstücken. Sie taucht aber nicht unbedingt an den richtigten Stellen auf – so ist sie beim Handlungsfeld Boden zu finden, wo Flurbereinigung zur Stärkung des Bodenschutzes verwendet werden soll, sowie beim Handlungsfeld Klimaanpassung, wo allerdings unklar ist, welche Rolle genau die Flurbereinigung spielen soll. Überraschenderweise fehlt dieses Instrument hingegen in der Diskussion des Biodiversitätsschutzes, obwohl auch hier das Innovationspotenzial der Flurbereinigung groß ist: zum Beispiel könnte dieses Instrument bei der Schaffung von Biotopverbünden sehr hilfreich sein, wie eine gute Freundin von mir in ihrer Dissertation Flurbereinigungsplanung und Ökosystemschutz als Rechts- und Governance-Problem zeigte. Besonders eklatant ist der Mangel an Vorschlägen neuer Politikinstrumente hingegen, trotz des Verweises auf die Flurbereinigung, im Handlungsfeld Klimaanpassung – kein Wort über (Wetter-)Versicherungen oder sonstige Risikoinstrumente; wieder beschränkt sich die Liste von Zielen und Maßnahmen vor allem auf technische Fragen wie Bewässerung und Bodenmanagement. Ähnlich sieht es im Handlungsfeld Klimaschutz aus, wo zwar die Wichtigkeit des Bodens als Kohlenstoffspeicher hervorgehoben wird, aber keine Ideen vorhanden zu sein scheinen, wie man die Nutzung dieses Kohlenstoffspeichers fördern könnte.
Ein zweites großes Versäumnis sehe ich in dem völlig ungenutzten Potenzial des in der Einleitung heraufbeschworenen Wunsches, dass „konventioneller und ökologischer Ackerbau ihre gegenseitigen Vorbehalte überwinden, voneinander lernen und versuchen, Synergien zu nutzen“. Dieser sehr lobenswerte Ansatz taucht nach der Einleitung nicht mehr auf – mehr noch, die vorgeschlagenen Maßnahmen orientieren sich zum beträchtlichen Teil am Ziel der Effizienzsteigerung im Rahmen der üblichen Mittel konventioneller Landwirtschaft, während systemischen, agroökologischen Ansätzen kaum Raum gegeben wird. Dabei wäre es gerade im Kontext der Fruchtfolgenerweiterung, des (integrierten) Pflanzenschutzes und der Klimaanpassung von großem Vorteil, über Effizienz und Digitalisierung hinauszublicken. Schaut man sich aber die dort diskutierten Maßnahmen sowie die öffentlich finanzierten „Leuchtturmprojekte“ an, erkennt man kein Interesse an in der ökologischen Landwirtschaft erprobten Lösungsansätzen. So spricht die Ackerbaustrategie auch fast ausschließlich konventionell wirtschaftende Landwirt*innen an.
Diese Einseitigkeit wird besonders deutlich im Handlungsfeld Düngung. Dieses wird recht detailliert und konkret diskutiert, weil ja auch seit einer Weile akuter Handlungsbedarf besteht. Doch die Diskussion, so konkret sie ist, ist auch sehr auf Effizienz fokussiert – die meisten genannten Maßnahmen zielen darauf ab, auf technischem Wege (Stichwort precision farming) die eklatanten Nährstoffüberschüsse zu reduzieren. Zwei mögliche Lösungsansätze bleiben allerdings unbenannt – erstens der in der ökologischen Landwirtschaft praktizierte Anbau von Leguminosen als Stickstofffixierer (womit sich eine Synergie zur gewünschten Erweiterung von Fruchtfolgen schaffen ließe, s. unten), der den Düngebedarf senken würde. Zweitens eine Reduktion der regionalen Konzentration in der Tierproduktion, die richtigerweise als eine Hauptquelle von Nitratbelastungen erkannt wird – denn Gülle muss lokal verbraucht werden, um wirtschaftlich zu bleiben. Doch aus dieser Erkenntnis werden in der Strategie wieder keine weitergehenden Schlüsse gezogen – unter den vorgeschlagenen Maßnahmen findet man den Bau von Güllebehältern mit Deckeln, aber weder Regulierung zur Reduktion von Tierzahlen pro Betrieb/Region noch Anreize zur Reduktion des Fleischkonsums.

Ebenfalls ist die Diskussion des Düngungsproblems ausschließlich auf Stickstoff beschränkt – Phosphor wird gar nicht erwähnt, obwohl P-Düngung durchaus auch mit Umweltproblemen und Herausforderungen verbunden ist, die beispielsweise im BonaRes-Verbundprojekt innoSoilPhos erforscht werden.
Hinsichtlich der oben angesprochenen Verknüpfung von eher „konventionellen“ und eher mit der ökologischen Landwirtschaft assoziierten Ansätzen sieht es im Handlungsfeld Pflanzenzüchtung besser aus. Auf der einen Seite wird das Potenzial von Genome Editing und speziell CRISPR/Cas deutlich betont, allerdings ohne dass dies in eine unterkomplexe und demokratisch fragwürdige Forderung nach vermeintlich „evidenzbasierter Regulierung“ münden würde – stattdessen wird betont, dass es hier „rechtssichere[r] Forschungs-, Anwendungs- und Transparenzregeln [bedarf], wobei auch ökologische und soziale Aspekte berücksichtigt werden müssen“ (meine Hervorhebung), was im Hinblick auf gesellschaftliche Akzeptanz wohl auch unumgänglich ist, wie Chad Baum und ich vor einer Weile herausgearbeitet haben. Doch beschränkt sich die Diskussion der Pflanzenzüchtung nicht auf die (sanfte) Forderung nach CRISPR/Cas; stattdessen wird auch die Notwendigkeit der „züchterische[n] Bearbeitung neuer, vernachlässigter oder bisher wenig genutzter Pflanzenarten“ sowie deren Begleitung durch öffentlich finanzierte Forschung betont. Als Beispiele solcher bisher zu kurz gekommener Kulturpflanzen werden Leguminosen, Emmer, Dinkel, Hirse, Amaranth und Buchweizen konkret genannt. Interessanterweise gibt es hier nur eine teilweise Überschneidung mit den Kulturpflanzen, die im Handlungsfeld Fruchtfolgen diskutiert werden (s. unten). Auch taucht die Pflanzenzüchtung im Handlungsfeld Klimaanpassung prominent auf. Ein Versäumnis in diesem Kontext ist allerdings das Schweigen der Strategie über Eigentumsrecht (Sortenschutz, Patente).
Ein weiteres allgemeines Manko der Strategie, neben einseitiger Fokussierung auf „technische“ Maßnahmen und dem verspielten Potenzial einer Verknüpfung von konventionellen und agroökologischen Ansätzen, ist, dass Zielkonflikte zwar lobenswerterweise explizit benannt werden – allerdings werden sie vor allem zwischen der Produktion und den verschiedenen Gemeinwohlleistungen der Landwirtschaft gesehen. Dabei gibt es mehr Trade-offs, die eigentlich zu beachten wären. Zum Beispiel fällt auf, dass auf der einen Seite eine „Entwicklung hin zu einer stärkeren Nutzung biogener Rohstoffe“ im Sinne der Bioökonomie mehrfach gefordert wird – gleichzeitig aber eine Reduktion der Flächeninanspruchnahme und der Produktionsintensität zu den Zielen der Strategie gehören. Generell ist die Strategie recht arm an Querbezügen zwischen den einzelnen Handlungsfeldern – einzig die viel diskutierte Digitalisierung sticht da heraus. Sie spielt auch eine deutlich größere Rolle als beispielsweise in der Ackerstrategie des DBV. Stellenweise könnte man gar den Eindruck gewinnen, das BMEL (und, dem Vorwort nach zu urteilen, insbesondere Ministerin Klöckner) hält sie für eine Allzweckwaffe:
Mit der Digitalisierung verbinden sich auch weitergehende Erwartungen in den Bereichen Düngung, Pflanzenschutz, Umweltschutz (Boden, Gewässer, Luft), Klimaschutz, Biodiversitätsschutz, Nachhaltigkeit, Qualitätssicherung und Rückverfolgbarkeit […].
Diese Reichhaltigkeit an Querbezügen zu anderen Handlungsfeldern ist etwas, was man in anderen Bereichen mitunter vermisst. Gleichzeitig ist zu begrüßen, dass das BMEL auch Herausforderungen erkennt: von vermeintlich trivialen Infrastrukturfragen (Internetversorgung im ländlichen Raum!), über Datenhoheit und Datenschutz bis hin zu der generellen Erkenntnis, dass „nicht jede technische Neuerung im Bereich der Digitalisierung führt auch zu einem Nutzen für die Praxis“. Unklar bleibt, wie das BMEL erreichen will, dass Digitalisierung auch für kleinere Betriebe zu einem Vorteil wird.
Ein großes Thema, das in der Strategie immer wieder auftaucht, ist gesellschaftliche Akzeptanz. Dabei bemängelt die Strategie immer wieder, dass „die Bereitschaft beim Einkauf, tatsächlich mehr Geld für nachhaltig erzeugte Lebensmittel auszugeben, oft noch bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern fehlt“ – eine häufig formulierte Kritik, die zwar einen wahren Kern hat, aber gleichzeitig übersieht, dass die Diskrepanz zwischen „Verhalten an der Ladentheke und Verhalten an der Urne“ vielfältige Ursachen hat, die nicht auf Inkonsequenz und Böswilligkeit der Konsument*innen reduziert werden dürfen. Lobenswert ist, dass zumindest in manchen Bereichen die Notwendigkeit erkannt wird, dass sich die ackerbauliche Praxis ändern muss und die Kritik aus der Gesellschaft teils berechtigt ist. Und ja, es ist richtig, dass „der Bevölkerung ein realistisches Bild der ackerbaulichen Herausforderungen und Möglichkeiten vermittelt werden muss“. Andererseits ist die explizite und implizite Kritik an der öffentlichen Debatte teilweise recht plump. Besonders bezeichnend fand ich das folgende Zitat über die Zielkonflikte im Handlungsfeld Pflanzenschutz:
Der Einsatz von effizienten chemischen Pflanzenschutzmitteln zur Ertrags- und Qualitätssteigerung und zum Klima- und Bodenschutz in Verbindung mit stark reduzierter Bodenbearbeitung steht dem Wunsch von Verbraucherinnen und Verbraucher [sic!] nach einer Reduktion des Einsatzes chemischer Pflanzenschutzmittel entgegen. [meine Hervorhebung]
Diese Formulierung impliziert, dass chemischer Pflanzenschutz nur eingeschränkt werden sollte, weil dies der (irrationale) Wunsch der Konsument*innen ist. Dabei wird im Handlungsfeld Biodiversität der Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel explizit als eine Ursache für den Rückgang der Artenvielfalt genannt… Jedenfalls scheint die Lösung der Wahl in zahlreichen Appellen an Veränderungen im Konsumverhalten zu bestehen. Im Zweifel wird gejammert:
Viele der [aus der Gesellschaft] geforderten Leistungen der Landwirtschaft liegen über den gesetzlichen Standards (z. B. im Bereich Umwelt- und Klimaschutz) und werden nicht über den Markt durch entsprechende Produktpreise honoriert.
Auf die Idee, dass eine Anhebung der gesetzlichen Mindeststandards (bevorzugt im Rahmen der GAP) eine Lösung sein könnte, weil den resultierenden höheren Kosten und damit auch Preisen niemand ausweichen könnte, kommt man beim BMEL offenbar nicht.
Doch auch darüber hinaus fehlt eine Idee, wie man Konsument*innen besser erreicht und einbindet. Dies ist besonders augenfällig beim Handlungsfeld Kulturpflanzenvielfalt und Fruchtfolge, in der die deutliche Erweiterung von Fruchtfolgen gefordert wird – gleichzeitig wird konstatiert, dass die Dominanz weniger Kulturen (2/3 der ackerbaulichen Produktion in Deutschland geht auf Winterweizen, Silomais, Wintergerste und Winterraps zurück) eine starke Nachfragekomponente hat. Möchte man Fruchtfolgen erweitern, muss man für ihre neuen Glieder eine Nachfrage finden. Hier wird in der Strategie eine irreführende Analogie zur Eiweißpflanzenstrategie aufgebaut (also des verstärkten Anbaus von eiweißhaltigen Pflanzen, v. a. Soja, mit dem Ziel einer reduzierten Abhängigkeit von Importen). Irreführend, denn bei Eiweißpflanzen handelt es sich um Produkte, die zwar durchaus nachgefragt werden, aber im Ausland billiger sind. Es ist also ein Preisproblem. Will man hingegen Fruchtfolgen flächendeckend deutlich erweitern, wird man vermehrt Pflanzen anbauen müssen, für die derzeit keine ausreichend hohe Nachfrage existiert. Die Strategie nennt konkret als Beispiele Triticale, Dinkel, Emmer, Soja, Erbsen und Bohnen sowie im Bereich der biogenen Rohstoffe Durchwachsene Silphie als Mais-Alternative. Gerade hier könnte ein verstärkter Dialog zwischen ökologischer und konventioneller Landwirtschaft hilfreich sein, denn Erstere hat mit dem Anbau und der Vermarktung vieler dieser Pflanzen deutlich mehr Erfahrung. Ohne nachfrageseitige Anreize bleibt die Erweiterung von Fruchtfolgen jedenfalls Wunschdenken. Hinzu kommt, dass das „Fruchtfolgeglied ‚Biodiversität’“ als eine ggf. im Rahmen von Agrarumweltprogrammen zu fördernde Maßnahme ins Spiel gebracht wird – es ist allerdings unklar, wie dies praktisch aussehen soll. Zumal die Strategie betont, dass „dauerhafte Umnutzung bestimmter Flächen [zu Zwecken des Biodiversitätsschutzes] keine Akzeptanz [bei Landwirt*innen] finden“ dürfte. Ob Biodiversitätsschutz ohne dauerhafte Lösungen möglich ist, ist fraglich.
Im Großen und Ganzen lässt sich sagen, dass das BMEL durchaus versucht, mit der Ackerbaustrategie 2035 den vielen Herausforderungen einer umweltverträglichen Landwirtschaft gerecht zu werden. Punktuell werden wichtige Denkanstöße aufgenommen und sinnvolle Maßnahmen vor allem im Bereich Forschung, Entwicklung und Erprobung vorgeschlagen. Auch aus Umweltsicht eher indirekt relevante Vorschläge wie eine Reform des Bodenrechts und eine Stärkung der staatlichen Offizialberatung (beides primär im Zuständigkeitsbereich der Bundesländer) sind zu begrüßen. Allerdings fehlt es an Konkretheit und ganzheitlicher Betrachtungsweise. Insbesondere ist der politisch-gestalterische Anspruch der Strategie recht gering, was angesichts der noch nicht abgeschlossenen Debatte um die künftige Ausgestaltung der GAP ein entscheidendes Versäumnis ist. So muss man bis auf Weiteres anderswo hin schauen, um Vorschläge für politische Maßnahmen und Instrumente für eine zukunftsweisende Agrarpolitik zu finden – sei es in das GAP-Papier der österreichischen Regierung oder in die von Guy Pe’er und Anderen initiierte wissenschaftliche Stellungnahme zur geplanten GAP-Reform.