Vor Kurzem habe ich einen zweiteiligen Beitrag veröffentlicht (Teil 1A, 1B), dessen Kernbotschaft war: Interaktionen zwischen Agrar- und Umweltökonomik sind zwar vorhanden, aber ausbaufähig. Nun möchte ich etwas ausführlicher begründen, warum mehr Austausch zwischen diesen beiden ökonomischen Subdisziplinen sinnvoll und für beide Seiten von Vorteil wäre.

Der Hauptgrund ist eigentlich relativ banal und liegt an der Stellung der Landwirtschaft – einerseits ist eine der wichtigsten produktiven Aktivitäten, vielleicht gar die wichtigste. Obwohl der Beitrag des primären Sektors (dessen Hauptbestandteil die Landwirtschaft ist) zum Bruttoinlandsprodukt in Ländern des globalen Nordens, bspw. in der EU, verschwindend gering ist (in der Regel deutlich unter 5%); und obwohl die Landwirtschaft immer weniger Menschen beschäftigt (siehe Abbildung oben für Trends in der „alten“ EU), ist sie doch fürs menschliche Wohlergehen, ja Überleben unverzichtbar. Seit wir im Neolithikum, vor ca. 10 Tausend Jahren angefangen haben, unsere Nahrungsmittel zu uns zu holen, statt ihnen hinterherzurennen, ist die Weltbevölkerung so stark gewachsen, dass wir heutzutage nicht die geringste Chance hätten, auch nur einen kleinen Teil davon durchs Jagen und Sammeln zu ernähren (siehe Abbildungen unten). Wir brauchen die Landwirtschaft, um zu überleben. Und zwar viel davon. Wie viel genau, ist umstritten – während manche meinen, wir müssten die globale Nahrungsmittelproduktion aufgrund des projiziierten Wachstums der Weltbevölkerung verdoppeln, weisen Andere darauf hin, dass es auch andere Wege gäbe, 9 Milliarden Menschen zu ernähren, ohne zwangsläufig mehr Nahrungsmittel produzieren zu müssen. Fallen sollte die globale Nahrungsmittelproduktion allerdings nicht. Hinzu kommt, dass wir prospektiv vermutlich mit mehr Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion rechnen müssen – der Weggang von fossilen Ressourcen bedeutet z. B. entsprechend den Ideen der Bioökonomie, dass wir pflanzliche Rohstoffe brauchen für Produkte, die wir bisher auf Erdölbasis herstellen (an dieser Stelle sollte man allerdings der Vollständigkeit halber darauf hinweisen, dass sowohl im Bereich der Bioenergie als auch biogener Rohstoffe Wälder bisher als Biomasselieferanten wesentlich wichtiger sind als Äcker). Landwirtschaft ist also unverzichtbar.


Gleichwohl ist Landwirtschaft womöglich die größte Quelle von negativen Umweltexternalitäten überhaupt. In einem aktuellen Paper in Ecology & Society zeigen Campbell et al., dass die Landwirtschaft einen sehr großen Anteil am Überschreiten von „planetaren Grenzen“ hat (siehe Abbildung unten). Die Liste negativer Nebenwirkungen insbesondere konventioneller Landwirtschaft ist lang: Treibhausgasemissionen (u. a. Kohlendioxid aus den Verbrennungsmotoren landwirtschaftlicher Maschinen, Methan aus Kuhmägen, Lachgas aus Dünger und vor allem – Emissionen durch Umwandlung von Wäldern, Grünland und Mooren in Äcker und Weiden); Nitrat- und Phosphateinträge in Böden und Gewässer; Erosion (die vor allem ein Feedback-Effekt ist, denn sie hat negativen Einfluss auf Bodenfruchtbarkeit und erzwingt mitunter Ausweitung bzw. Verlagerung landwirtschaftlicher Aktivitäten); Emission von toxischen Substanzen, die wir nutzen, um Kulturpflanzen vor Schädlingen, Unkraut1 und Krankheiten zu schützen; Bodenverdichtung durch das Befahren mit schweren Maschinen bzw. Beweiden mit vielen schweren Tieren. Als sozusagen sekundärer Effekt geht mit vielen dieser Nebenwirkungen der Landwirtschaft der Verlust biologischer Vielfalt einher. Kurzum: Umweltschutz beginnt dort, wo Lebensmittelproduktion stattfindet. Wenn wir die Landwirtschaft nicht in den Griff kriegen, können wir uns Umweltschutz anderswo vermutlich sparen (überspitzt gesagt).

Obwohl diese Verbindung zwischen Umweltschutz und Landwirtschaft eigentlich recht offensichtlich ist, findet sie nicht nur in der Ökonomik lediglich bedingt einen Ausdruck, sondern gerade auch in der Politik. Die Kooperation zwischen Umwelt- und Landwirtschaftsministerien ist in den meisten Ländern, gelinde ausgedrückt, nicht die Priorität beider Seiten (vor allem weil Landwirtschaftsministerien ganz andere Ziele verfolgen als Umweltschutz). Hier und da beginnt allerdings ein Umdenken – bspw. enthält die Gemeinsame Agrarpolitik der EU seit Anfang der 1990er Jahre eine wachsende Zahl von Instrumenten, die Umweltschutzziele verfolgen (Cross Compliance, Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen, Greening…). Allerdings sind diese nicht besonders effektiv und z. T. nicht konsistent mit anderen Elementen der GAP, wie schön gezeigt in dem aktuellen GAP-Fitness-Check Is the CAP fit for purpose?, an dessen Erstellung auch Wissenschaftler*innen vom UFZ beteiligt waren. In Deutschland gibt es auf der Länderbene in NRW, Bayern und bald auch in Thüringen das Konzept der Umweltwirtschaft.2 In dieser „Querschnittsbranche“ werden alle Sektoren zusammengefasst, die einen direkten Umweltnutzen haben oder ein Substitut für eine umweltverschmutzende Technologie darstellen (bestes Beispiel: Erneuerbare Energien). Die Umweltwirtschaft wird dann je nach wirtschaftlicher Struktur des Bundeslandes in verschiedene Teil- oder Leitmärkte untergliedert. Einer davon ist die umweltfreundliche Landwirtschaft mit den Technologiebereichen „Umweltfreundliche Technologien für die Landwirtschaft“ sowie „Ökologische und Regionale Landwirtschaft“. Der Vorteil dabei ist, dass es bspw. in NRW sieben weitere Teilmärkte gibt, für die jeweils Akteure der Umweltwirtschaft (Landwirte, Technologiehersteller, Behörden, etc.) identifiziert und gezielt zusammengebracht werden können. Dadurch entstehen im besten Falle Synergieeffekte, Innovationen voranzutreiben oder auch so über Förderstrukturen etc. auszutauschen. Insgesamt jedoch steckt die explizite Verknüpfung von Umwelt- und Landwirtschaftsfragen in der Politik weiterhin in den Kinderschuhen.
Ähnlich verhält es sich, um zu unserem Hauptthema zurückzukehren, mit der Agrar- und Umweltökonomik. Während die Agrarökonom*innen sich tendenziell eher mit Fragen der Agrarmärkte, des Betriebsmanagements und der Agrarpolitik befassen, konzentriert sich umweltökonomische Forschung meistens auf Naturschutz-, Gewässer- und Energiefragen. Gemessen an dem vorher Gesagten zeigt die Agrarökonomik also zu wenig Interesse für Umweltthemen, während die Umweltökonomik sich überraschenderweise selten für die Landwirtschaft interessiert.
Dabei müsste die Verbindung der beiden Perspektiven für die Beteiligten eigentlich extrem spannend sein. Ökonom*innen lieben Trade-offs – und die Landwirtschaft, wie oben gezeigt, ist ein einziger riesiger Trade-off. Denn selbst die relativ „umweltfreundlichen“ Varianten der Landwirtschaft sind nicht frei von Umweltexternalitäten – und sei es nur die Tatsache, dass wirklich extensive Landwirtschaft meistens (wie der Begriff „extensiv“ schon nahelegt) weniger produktiv ist als konventionelle Landwirtschaft, und damit für eine gegebene Produktionsmenge mehr Fläche in Anspruch nimmt. Außerdem ist sie in der Regel wesentlich komplexer, wissens- und arbeitsintensiver, was ebenfalls zu Trade-offs führt. Hinzu kommt, dass Landwirtschaft so wahnsinnig multifunktional ist – landwirtschaftliche Flächen können genutzt werden, um auf verschiedenste Arten Lebensmittel zu produzieren; sie können aber auch zur Futterproduktion eingesetzt werden; oder zur Produktion von biogenen Rohstoffen und Bioenergie (das oben bereits gefallene Stichwort Bioökonomie). Ganz zu schweigen von den vielen öffentlichen Gütern, die Landwirtschaft bereitstellt oder zumindest bereitstellen kann – von Klimaregulierung bis hin zu ästhetisch ansprechenden Kulturlandschaften. Man kann aber nicht alles davon gleichzeitig haben, man muss abwägen. Ist das jetzt ein Job für die Agrarökonomik? Oder für die Umweltökonomik? Keine Ahnung. Eigentlich ist das auch nicht wichtig. Es sind spannende und gesellschaftlich relevante Fragen, die mit dem ökonomischen Instrumentarium beantwortet werden können – unter welchem Label, sollte eigentlich egal sein.
Dabei können Agrar- und Umweltökonom*innen viel voneinander lernen. Zum Beispiel ist die Agrarökonomik traditionell stark betriebswirtschaftlich geprägt – viel agrarökonomische Forschung dreht sich um das Management landwirtschaftlicher Betriebe. Daraus erwächst ein großer Wissensfundus bezüglich des Verhaltens von Landwirten – warum entscheiden sie sich wie in welchen Situationen, wie reagieren sie auf veränderte Rahmenbedingungen, welchen Einfluss haben strukturelle und institutionelle Faktoren (z. B. die Tatsache, dass viele Landwirte die von ihnen bewirtschaften Flächen lediglich pachten)…? Wenn man eine nachhaltigere Landwirtschaft erreichen will, muss man verstehen, wie Landwirte „ticken“ – denn ohne sie wird man keine Nachhaltigkeit herbeizaubern können. Doch nicht nur über Landwirte wissen Agrarökonom*innen viel – auch über Konsumenten von Lebensmitteln und anderen Agrarprodukten gibt es reichlich Forschung. Das alles sind Erkenntnisse, die Umweltökonom*innen sich nicht zusätzlich, also redundant erarbeiten müssten; und wenn doch, dann könnten sie zumindest auf den methodischen Werkzeugkasten der Agrarökonomik zurückgreifen.
Auf der anderen Seite kennen sich Umweltökonom*innen natürlich besonders gut mit der Analyse, Bewertung, Internalisierungsstrategien von Umweltexternalitäten und öffentlichen Umweltgütern. Zumindest die Ökologische Ökonomik ist zudem stark interdisziplinär orientiert und bereichert rein ökonomische Ansätze durch Einsichten aus Ökologie, Soziologie und anderen verwandten Disziplinen. Eine solch holistische Perspektive ist besonders gut geeignet für die Analyse eines so umfassenden und essenziellen Bereichs menschlicher Aktivität wie die Landwirtschaft. Da Landwirtschaft zumindest das Potenzial hat, viele öffentliche Güter bereitzustellen, ist die reichliche Forschung zu umweltpolitischen Optionen ihrer Honorierung (bspw. Payments for Ecosystem Services) sehr relevant hier.
Es gibt viele Fragestellungen, die eigentlich beide Subdisziplinen interessieren dürften. Beide befassen sich viel mit Politikanalysen – bloß konzentrieren sich die einen vor allem auf Umwelt-, die anderen auf Agrarpolitik. Doch wie oben angedeutet, ist gerade die Verknüpfung der beiden fruchtbar und für das Erreichen von mehr Nachhaltigkeit essenziell. Zumal insbesondere die Agrarpolitik einen enormen Einfluss auf Umweltschutz hat (s. oben). Ein anderer Bereich, der von Umweltökonom*innen bisher eher vernachlässigt wurde, ist die Innovationsforschung – in der Agrarforschung werden viele Hoffnungen auf neue Technologien gelegt, von Precision Farming über autonome Landwirtschaftsmaschinen bis hin zu Genome Editing. Diese haben ihre Vor-, aber auch Nachteile, gerade was ihr Umweltschutzpotenzial anbetrifft. Hier könnten Umwelt- und Ökologische Ökonomik beitragen, indem sie den Fokus erweitern, weg von der Betriebs-, hin zur Landschaftsperspektive (wie bspw. in einigen Projekten des Lehrstuhl Agrarökonomik und -politik der ETH). Doch bisher befassen sie sich mit dieser Thematik kaum – und wenn (in der Ökologischen Ökonomik), dann läuft es oft auf eine einseitige Fokussierung auf Biolandwirtschaft hinaus. Und eigentlich gehen die hier relevanten Fragen über das übliche Metier sowohl der Agrar- als auch Umweltökonomik hinaus, denn moderne Agrartechnologien lassen an vielen Stellen Eigentumsfragen aufkommen – wem gehören die für Precision Farming genutzten Daten? Ist es ethisch vertretbar und ökonomisch sinnvoll, Produkte von Genome Editing durch Patente zu schützen?
Dies sind nur einige wenige Beispiele dafür, wie Agrar- und Umweltökonomik konstruktiv zusammenarbeiten könnten – am besten unter Einbezug weiterer Disziplinen, wie Agronomie, Ökologie, Umwelt- und Ernährungsethik u. v. a. m. Es gibt vermutlich viel mehr Beispiele und Felder, in denen die Forschung darunter leidet, dass Agrar- und Umweltökonom*innen bisher zu selten über den eigenen Tellerrand schauen. Da ich selbst Umweltökonom und bezüglich der Agrarökonomik (noch) weitgehend ein Ignorant bin, erahne auch ich bisher die Potenziale eher, als dass ich sie klar benennen kann. Aber bereits das, was ich (und einige Andere) erkenne, reicht aus, um die Losung aus dem Titel zu begründen: Agrar- und Umweltökonom*innen aller Länder, vereinigt euch! Das Ziel ist dabei klar: eine nachhaltige Landwirtschaft.
Fußnoten
- Eine interessante „linguistische“ Nebenbemerkung – nur weil wir Land- und Forstwirtschaft betreiben, gibt es die Begriffe „Schädling“ und „Unkraut“ überhaupt. Es handelt sich hierbei ja nicht um biologische Kategorien, denn aus biologischer Sicht sind das lediglich Tiere bzw. Pflanzen, die um ihre ökologische Nische kämpfen – wie alle anderen (einschließlich der sog. „Nützlinge“) auch. Nur dummerweise stehen sie damit in Konkurrenz zu bzw. sind in ihrem Lebenszyklus parasitoid abhängig von Kulturpflanzen.
- Die folgenden Anmerkungen zur deutschen Politik sind eine abgewandelte Version dessen, was mir Katharina Schüle (ebenfalls eine ehemalige UFZ-Kollegin) freundlicherweise geschrieben hat. Auch weiter im Text verarbeite ich ein paar Gedanken, auf die sie mich gebracht hat.