Lesen ist ein zentraler Bestandteil meines Alltags – sowohl beruflich als auch in der Freizeit. Als sog. Wissenschaftler muss ich viel lesen – um mit der Entwicklung in meinem Forschungsfeld Schritt zu halten, um Inspirationen zu finden, um meine eigenen Ideen zu untermauern etc. Manchmal wird daraus ein Fetisch gemacht – je mehr, desto besser –, aber grundsätzlich ist Lesen für die wissenschaftliche Arbeit essentiell. Doch auch in meiner Freizeit versuche ich, viel zu lesen (früher, als ich noch ein entspannter Student/Doktorand war, war dies leichter) – einfach, weil es Spaß macht und weil es hilft, den eigenen Horizont zu erweitern, denn ich möchte nicht ausschließlich Ökonom sein. Lesen ist aber nicht nur zentraler Bestandteil meines Alltags – es ist auch ein zentraler Bestandteil der Persönlichkeitsentwicklung. Im Folgenden möchte ich eine „Typologie“ von drei Lektüre-Kategorien vorstellen, die ich auf Basis eigener Erfahrungen für in diesem Kontext besonders wichtig halte.
Eine Bemerkung vorweg: eine Zeitlang war ich der Meinung, dass Belletristik Zeitverschwendung ist. Warum sollte ich einen Roman lesen, wenn ich aus einem Sachbuch wirklich etwas lernen kann? Inzwischen halte ich diese Einstellung für übertrieben – erstens sind eingestreute Romane wichtig, um das eigene Intellekt nicht zu überlasten, also schlicht und einfach zur Entspannung; zweitens kann man auch aus Romanen viel lernen (ich empfehle in diesem Kontext wärmstens die Bücher von Stanisław Lem, insb. Die Stimme des Herrn, Transfer und Also sprach Golem). Daher schließt meine Typologie Romane nicht aus, auch wenn sie Sachbücher „bevorzugt“.
Lektüren, die in die drei folgenden Kategorien fallen, werden von Kategorie zu Kategorie zunehmend rarer und gleichzeitig zunehmend wertvoller.
- Validierende Lektüre: hierbei handelt es sich um Bücher (oder Zeitschriftenartikel o. Ä.), die unsere Meinung bestätigen, aber gleichzeitig auch strukturieren. Bestätigung der eigenen Meinung allein ist nicht viel wert – natürlich ist es gelegentlich „nett“ zu sehen, dass eine (vermeintliche) Autorität über irgendein Thema ähnlich denkt wie wir selbst –, aber ein gutes Gefühl ist etwas wenig. Was ich hier validierende Lektüre nenne, bringt insofern einen Erkenntnisgewinn, als sie unsere eigenen Überlegungen strukturiert, ihnen etwas hinzufügt, das sie einleuchtender und überzeugender macht. Persönliches Beispiel: On Liberty von John Stuart Mill.
- Inspirierende Lektüre: als eine Stufe wichtiger, aber auch seltener (mit steigendem Alter und Buchkonsum sowieso) würde ich Bücher einordnen, die uns völlig neue Erkenntnisse bescheren, also Dinge behandeln, über die wir noch gar nicht wirklich nachgedacht haben bzw. wenig bis nichts wissen. Das müssen nicht zwangsläufig revolutionär einsichtsreiche Lektüren sein – der Neuigkeitsaspekt reicht aus, um sie wertvoll zu machen. Das Entscheidende ist, dass wir anfangen, über ein neues Thema nachzudenken – was mittel- und langfristig interessante Reperkussionen für andere Aspekte unseres Weltbildes haben kann. Persönliches Beispiel: Guns, Germs and Steel von Jared Diamond.
- Herausfordernde Lektüre: eine besonders seltene, aber gerade im Hinblick auf die eigene Persönlichkeitsentwicklung außergewöhnlich wichtige Kategorie umfasst Bücher, die uns herausfordern. Es sind Bücher, die eine Meinung vertreten, die der eigenen konträr ist bzw. Fakten vorstellen, die unserem Wissensstand widersprechen – und gleichzeitig überzeugend genug sind, dass man ihre Argumente nicht einfach von der Hand weisen kann, sondern zumindest ihre partielle Gültigkeit anerkennen muss. Sie führen also mittelfristig zu einer Anpassung unserer Ansichten/unseres Weltbildes. Dies ist oft ein anstrengender, zeitaufwendiger und schmerzhafter Prozess – gerade wenn die betroffene Meinung konstitutiv war für unser Weltbild; nach Lesen einer „herausfordernden Lektüre“ sind wir gezwungen, unser Weltbild anzupassen, in der Regel, da es kohärent bleiben muss – nicht ausschließlich die Frage betreffend, um die es sich in dem Buch konkret handelte. Persönliches Beispiel: Tomorrow’s Table von Pamela Ronald und Raoul Adamchak.
Soweit meine Typologie. Darüber hinaus gibt es natürlich Unmengen an Büchern, Artikeln, Blogbeiträgen, die in keine der oben vorgestellten Kategorien passen, aber dennoch wichtig sind. Einige Anregungen biete ich hier, während da eine Liste mit Büchern ist, von denen ich mir erhoffe, dass sie in eine der drei Kategorien fallen werden. Viel Spaß beim Lesen!