Die (begrenzte) Aussagekraft von Experimenten zum bedingungslosen Grundeinkommen

Die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) erfährt in der letzten Zeit einen Aufschub – nicht zuletzt wegen der geplanten oder bereits laufenden Experimente in Finnland, Kanada, Kenia oder Indien [weitere Beispiele bei Wikipedia]. Ich habe mich hier bereits als BGE-Skeptiker geoutet (und hier eine Alternative sehr grob skizziert); dennoch finde ich die Debatte fruchtbar, denn es geht um wichtige gesellschaftliche Herausforderungen wie technologischer Fortschritt oder Gerechtigkeit, die wir irgendwie angehen müssen – ob mit BGE oder nicht. Daher finde ich auch die betreffenden Experimente interessant – gleichwohl ist ihre Aussagekraft gleich aus mehreren Gründen sehr begrenzt.

Experimente wie bspw. in Finnland (auf dieses werde ich mich im Folgenden beispielhaft beziehen, da es bereits läuft, recht groß angelegt ist, in einem reichen Land stattfindet und eine gewisse Prominenz genießt), wo 2000 Erwerbslose zwei Jahre lang 560 € im Monat bekommen sollen,1 sollen helfen, mehrere offene Fragen bezüglich der Umsetzbarkeit eines BGE zu beantworten – allen voran die Frage, ob Menschen dann noch weiterhin arbeiten würden und was sie mit dem Geld und ihrer Zeit anfangen würden.

Fakt ist, dass die Einführung eines BGE tiefgreifende Änderungen in gesellschaftlichen Strukturen mit sich bringen würde (streng genommen setzt sie tiefgreifende Änderungen auch voraus, was eines der Hauptprobleme der Idee ist – wie bereitet man den „Boden“ für das BGE vor?): diese Änderungen würden nicht nur individuelle Zeitallokation betreffen, sondern auch die Struktur des Arbeitsmarktes (und dadurch der Wirtschaft insgesamt), die gesellschaftlichen Werte und Normen, insbesondere solche, die die Erwerbsarbeit umgeben, und vieles andere mehr. Wir wissen ex ante erst einmal sehr wenig darüber, wie und ob eine BGE-Gesellschaft funktionieren würde. Es dürfte sogar schwer sein, die richtigen Fragen zu stellen. Daher die Experimente.

Eine alternative Informationsquelle anstatt von Experimenten wären die viel zitierten Befragungen, aus denen üblicherweise hervorgeht, dass die meisten Menschen deklarieren, sie würden weiterhin arbeiten (bloß weniger und anders), wenn sie ein BGE bekommen würden. Doch derartige Befragungen sind immer mit dem schwerwiegenden Problem konfrontiert, dass das, was Menschen denken, und das, was sie tatsächlich tun, mitnichten miteinander konform sein muss. Insbesondere, wenn die betreffende Änderung in der Lebenssituation schwer vorstellbar und recht abstrakt ist, gleichzeitig aber fundamental.

Doch auch die Experimente bringen viele Probleme mit sich, die ihre Aussagekraft stark mindern. Die Hauptherausforderung betrifft nicht nur BGE-Experimente, sondern alle kleinskaligen sozialen Experimente: von Kommunen und anderen semi-autarken Gemeinschaften à la die israelischen Kibbuzim, über Menschen, die ohne Geld leben, bis hin zur Energiewende. Was im Kleinen funktioniert, muss nicht im Großen funktionieren. Und das nicht nur wegen der banalen Feststellung, dass gerade komplexe Systeme sich anders verhalten, wenn sie größer werden; sondern auch, weil die kleinskaligen Experimente eingebettet sind in ihre jeweiligen Status-quo-Pendants. Die Menschen, die vom finnischen Staat mit 560 € im Monat versorgt werden, sind umgeben von einer Gesellschaft, die so funktioniert wie früher. Der Arbeitsmarkt, auf dem sich die Probanden ggf. behaupten sollen, ist eben kein BGE-Arbeitsmarkt; das System der Sozialsicherungen ist das alte; das Steuersystem ist ebenfalls nicht wirklich BGE-konform; vor allem aber ist das Denken das alte – Erwerbsarbeit wird weiterhin von der Mehrheit explizit oder implizit als substanziell für den „Wert“ eines Menschen betrachtet. Die ersten drei Punkte schränken vor allem die Zahl der Fragen ein, die das Experiment zu beantworten vermag; der letzte Punkt schränkt die Aussagekraft und Generalisierbarkeit der wenigen Antworten ein, die es liefern kann. In welche Richtung, vermag ich nicht zu sagen. Ich würde vermuten, dass der Drang, trotz Grundeinkommens zu arbeiten, größer sein dürfte, als wenn wir uns in einer „BGE-Welt“ befänden; diese Vermutung sieht allerdings von den sonstigen Mentalitätsänderungen ab, die eine flächendeckende BGE-Einführung mittel- bis langfristig mit sich bringen würde, denn diese vermag schlicht und einfach nicht zu erraten.

Ein weiterer wichtiger Punkt, der die Generalisierbarkeit der Ergebnisse des finnischen und ähnlicher Experimente einschränkt, ist ihre beschränkte Laufzeit (im finnischen Fall: zwei Jahre). Als Proband kann man davon ausgehen, dass ein flächendeckendes BGE unabhängig vom Ergebnis des Experiments nicht in absehbarer Zukunft eingeführt wird. Das bedeutet, dass man es sich nicht wirklich leisten kann, in dem nur relativ kurz, dazu noch individuell geltenden „System“ „aufzugehen“ und es umfassend zu erproben – man möchte definitiv Pfadabhängigkeiten vermeiden, die einem nach Auslaufen des Experiments Probleme bereiten würden. So kann man es zum Beispiel kaum wagen, sich aus dem Arbeitsmarkt „auszuklinken“.

Wenn man völlig überzeugt ist, dass die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens zum Erfolg verurteilt ist, mag man bereit sein, sich da einfach hineinzustürzen, es im Zweifel auch großskalig „jetzt gleich“ auszuprobieren (eine solche Einstellung grenzt aber an Verblendung). Meines Wissens sind sich die meisten Befürworter allerdings bewusst, dass die Liste unbeantworteter Fragen lang ist – daher auch das gespannte Schielen auf Ergebnisse von Befragungen, Experimenten etc. Falls BGE jemals eine ernstzunehmende politische Option werden sollte, ist es definitiv wichtig, über möglichst umfangreiches Wissen darüber zu verfügen, ob und wie es funktionieren könnte. Doch selbst die derzeit geplanten und laufenden Experimente liefern immer noch recht wenig verlässliche Informationen. Dessen sollte man sich auch als überzeugter Befürworter bewusst sein.

Fußnoten

  1. Manche Befürworter des BGE kritisieren den relativ niedrigen Betrag im Finnland-Experiment, der dort de facto nur einer Existenzsicherung entspricht, ohne kulturelle Teilhabe o. Ä. zu gewährleisten. Damit entspricht es eigentlich eher meinen eigenen Vorstellungen, die eben nur von Existenzsicherung ausgehen und die kulturelle Teilhabe anders lösen würden als durch Geldüberweisungen.

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