Wenn nicht bedingungsloses Grundeinkommen – was dann?

Ich habe vor einer Weile versucht zu begründen, warum ich von der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) nicht überzeugt bin. Meine Ablehnung dieser Idee bedeutet allerdings nicht, dass ich mit dem gesellschaftlich-politisch-ökonomischen Status Quo glücklich wäre. Die Frage ist also: wenn nicht BGE, was dann? Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr wird mir klar, dass ich viele Fragen und nur wenige, eher halbgare Antworten habe.

Damit man über Alternativen nachdenken kann, muss man zunächst klarstellen, wozu BGE eigentlich dienen soll. Nach meinem Verständnis geht es darum, Menschen eine selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sowie individuelle Entfaltung zu ermöglichen. Je nach Variante wird entweder der eine (Teilhabe) oder der andere Aspekt (Entfaltung) stärker betont. Aus meiner Sicht (vielleicht ist das der eigentliche Grund, warum ich BGE ablehne) ist der Staat bzw. die Allgemeinheit nur sehr bedingt dafür verantwortlich, dem Einzelnen individuelle Entfaltung zu ermöglichen; diese Verantwortung geht für mich kaum über das Gebot hinaus, den Einzelnen an der individuellen Entfaltung nicht aktiv zu hindern. Daher werde ich mich im Folgenden weitgehend auf Gedanken zur Ermöglichung selbstbestimmter Teilhabe und -nahme am gesellschaftlichen Leben beschränken – wobei mein Eindruck ist, dass die Grenze zu individuellen Entfaltungsmöglichkeiten keineswegs so scharf ist, wie das oben gesagte impliziert.

Selbstbestimmte Teilhabe und -nahme am gesellschaftlichen Leben hat zwei Komponenten. Zum einen geht es darum, mit der restlichen Gesellschaft vielfältig zu interagieren – das setzt natürlich zum einen fundamental voraus, dass die elementaren Grundbedürfnisse wie Nahrung, Behausung und Kleidung gedeckt sind; darüber hinaus geht es aber auch um den Zugang zu Plätzen und Orten öffentlichen Austausches, zu Orten und Medien der Kunst und Kultur etc. Man sollte also a) solche Interaktionsmöglichkeiten in „Reichweite“ haben und b) nicht von ihnen ausgeschlossen werden. Zum anderen geht es darum, dass diese Teilhabe und -nahme selbstbestimmt ist. Das Individuum sollte entscheiden können, welche Möglichkeiten es tatsächlich nutzt, und es steht ihm grundsätzlich offen, diese und neue Möglichkeiten mitzugestalten und zu schaffen. Ich werde mich im Folgenden vor allem auf den ersten Punkt (Zugang) fokussieren. Zum Teil folgt Autonomie aus der Vielfalt des Zugangs, zum Teil ist sie einfach das Resultat individueller Freiheit und demokratischen Mitbestimmungsrechts, die ich hier einfach voraussetze.

Ich habe Zweifel, ob das BGE – abgesehen von meinen eher abstrakt ethisch motivierten Bedenken – das geeignete Instrument ist, um eine solche selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu garantieren. Viel zielführender erscheint mir die Idee der (öffentlichen) Daseinsvorsorge. Denn was bringt mir bspw. ein bedingungsloses Grundeinkommen, wenn es keine Theater gibt? Keine öffentlichen Parks? Keine öffentliche Verkehrsinfrastruktur? Und wenn es diese wiederum gibt, und zwar in einem umfassenderen Maße als derzeit der Fall – d. h. unter der Annahme, dass der Staat umfassend öffentliche Güter bereitstellt oder zumindest bereitstellen lässt, indem er Kultur fördert, öffentliche Medien anbietet, in vielfältige Infrastruktur (Verkehr, Sportstätten etc.) investiert –, braucht es dann noch ein Grundeinkommen?

Dies bedeutet übrigens nicht, dass der Zugang zu öffentlichen Güter idealiter kostenlos sein sollte. Zwar ließe sich argumentieren, dass eine entsprechende Ausgestaltung des Steuersystems das zulassen würde – zumindest sofern wir uns von der irrigen Vorstellung verabschieden würden, dass Steuern eine Last wären, und einsehen würden, dass sie bloß eine Gegenleistung für all das sind, was der Staat zu unserem Wohl (im Idealfall) bereitstellt. Doch wie von einem meiner Kollegen im Kontext der Wasserversorgung herausgearbeitet, können pekuniäre Hürden (Entgelte) für die Nutzung öffentlicher Güter wichtige Anreizwirkungen entfalten und dadurch dazu beitragen, dass diese im Sinne des Gemeinwohls genutzt werden (siehe auch hier). Mit anderen Worten – die öffentliche Daseinsvorsorge als Mittel zur Ermöglichung einer selbstbestimmten Teilhabe der Bürger am gesellschaftlichen Leben würde zwar wahrscheinlich eine Ausweitung des öffentlichen Investitionsvolumens (und damit der Steuern) bedeuten, dies würde aber nicht implizieren, dass die betreffenden Leistungen kostenlos wären.

Ein weiteres Problem betrifft nicht-öffentliche Güter, die dazu notwendig sind, die eingangs erwähnte fundamentale Voraussetzung der Abdeckung von elementaren Grundbedürfnissen zu gewährleisten – insbesondere Wohnraum, Kleidung und Nahrung. Hier halte ich das Prinzip der Subsidiarität (das gerade in Deutschland leider oft unsinnigerweise verabsolutiert wird, bspw. in der Debatte um Krankenversicherungen) für sinnvoll – solange die Menschen erwerbstätig sind, kann davon ausgegangen werden (unter der Voraussetzung einer sinnvollen Ausgestaltung und Regulierung des Arbeitsmarktes, z. B. Mindestlohn), dass sie für diese Grundbedürfnisse eigenständig sorgen können. Wenn ihnen die Erwerbstätigkeit nicht möglich ist – aus welchen Gründen auch immer – sollten ihnen Sozialleistungen zur Verfügung gestellt werden, die diesen Grundbedarf decken (allerdings nicht mehr). Im Grunde würde es auf etwas Ähnliches hinauslaufen wie Hartz IV, allerdings ohne Sanktionsmechanismen – denn es ginge ja um elementare Grundbedürfnisse, deren Sicherung sollte nicht an Bedingungen geknüpft werden.

So weit erscheint mir alles halbwegs klar; doch das oben skizzierte „System“ ist zugegebenermaßen eher vage und lässt viele Fragen offen, von denen die zwei für mich interessantesten soziales Engagement/soziale Arbeit sowie nicht-kommerzielle Kunst betreffen.

In meinem Text über das BGE habe ich argumentiert, dass es nicht sein kann, dass jemand vom Staat/von der Allgemeinheit Leistungen bezieht, ohne Gegenleistungen erbringen (zu müssen). Soziales Engagement bzw. soziale Arbeit sind ganz klar Leistungen an die Gesellschaft; doch leider werden viele von ihnen heutzutage entweder prekär oder gar nicht entlohnt. Wenn jemand sich also entschließt, Flüchtlinge zu unterstützen, einen Jugendclub zu leiten, in einer Kindertageseinrichtung zu arbeiten oder einfach Nachbarschaftsdienste zu leisten, kann sie oder er davon entweder gar nicht oder nicht sonderlich gut leben. Da in meinem „System“ – anders als bei BGE – niemandem ein materielles bzw. Geldeinkommen jenseits eines für die Sättigung der Grundbedürfnisse notwendigen Minimums grundsätzlich zur Verfügung stünde, haben wir hier ein Problem. Die oben geforderte Ausweitung der öffentlichen Daseinsvorsorge insbesondere im Kulturbereich würde helfen, das Problem aber nicht lösen. Daher müsste man Wege finden, soziales Engagement und soziale Arbeit (besser) zu entlohnen – womöglich wiederum durch eine stärkere Besteuerung (von Erwerbsarbeit, Vermögen, Ressourcennutzung, Konsum etc.). Denn letztlich sind wir alle zumindest indirekte Nutznießer solches Engagements, also ist es auch gerechtfertigt, wenn wir alle zu seiner Finanzierung beitragen. Doch dazu wäre zunächst ein Wandel in der Wahrnehmung von Steuern (s. oben) und des Verhältnisses zwischen sozialem Engagement und Erwerbsarbeit notwendig.

Das größte Kopfzerbrechen bereitet mir jedoch die Frage nach einem sinnvollen Umgang mit nicht-kommerzieller Kunst. Kommerzielle Kunst – also solche, die auf freiem Markt genug Absatz findet, um sich selbst zu tragen – würde wiederum unter eine Art des Subsidiaritätsprinzips fallen. Doch auch wenn die Nachfrage nach insbesondere bildender Kunst wesentlich geringer ist als nach den Alben von Helene Fischer, ist es ein Fehlschluss zu meinen, auf diese weniger „profitable“ Kunst verzichtbar wäre. Ihr Nutzen ist weniger individuell und vielmehr diffus und indirekt (und generiert daher nicht so viel Nachfrage) – aber eine Gesellschaft voller Helene-Fischer-Musik, aber ohne die Kunst von Joseph Beuys wäre vermutlich keine gute Gesellschaft [ich verwende sehr grobe und imperfekte Beispiele, weil ich selbst Kunstbanause bin und aus diesem Grund abgesehen von Jazzmusik nicht wirklich dazu beitrage, dass nicht-kommerzielle Kunst über die Runden kommt; dennoch finde ich auch andere Kunstformen für die „Gesundheit“ von Gesellschaften wichtig]. Gleichwohl glaube ich nicht, dass jeder, der Lust hat, „Künstler“ zu sein, darauf Anspruch haben sollte, dass ihm die Gesellschaft dies ermöglicht. So diffus und indirekt der Beitrag der Kunst zur Gesellschaft ist – die Existenz eines nachweisbaren Beitrags ist die Voraussetzung für Ansprüche. Doch genau diese Nachweisbarkeit ist ein Problem. Eine mögliche Lösung, nicht-kommerzielle Kunst jenseits von Hobby zu ermöglichen, ohne hier ein laissez-faire zu betreiben, wäre ein umfangreiches System von öffentlichen Grants für Kunstschaffende. Doch hat ein solches System mindestens drei Nachteile: erstens bedeutet es einen zusätzlichen Aufwand für die Künstler, sich um Grants zu kümmern (dies ist allerdings ein geringeres Problem: solange der Aufwand nicht prohibitiv hoch ist, lässt sich argumentieren, dass dies sinnvolle Anreizwirkungen haben kann, sich nur auf Kunst zu konzentrieren, wenn man da wirklich etwas zu „bieten“ hat); zweitens bedeutet es ebenfalls einen nicht vernachlässigbaren bürokratischen Aufwand aufseiten der (öffentlichen) Grantgeber, der vielfältige Kosten für die Gesellschaft bedeutet; drittens (und das ist definitiv das größte Problem) laufen Grant-Systeme immer Gefahr, von Moden, partikularen Geschmäckern und Interessen bestimmt zu sein, was gerade im Kontext der Kunst problematisch sein dürfte, die ja aus Unabhängigkeit, Innovativität und Individualität ihre Kraft bezieht.

Dies ist mein Alternativentwurf zum bedingungslosen Grundeinkommen. Er ist definitiv nicht als endgültig zu verstehen: nicht nur bezogen auf die offensichtlich offenen Fragen (insbesondere nicht-kommerzielle Kunst), sondern auch auf das „Gesamtwerk“. Da meine eigenen Gedanken zu diesem Thema eher vage sind, sind sie offen für Diskussion. Ich bin durchaus bereit, meine hier zusammengefassten Ansichten zu revidieren – „nur Kühe ändern ihre Meinung nicht“.

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