Es ist recht einfach, den Sveriges Riksbanks pris i ekonomisk vetenskap till Alfred Nobels minne, im Volksmund „Wirtschafts-Nobelpreis“, zu kritisieren. Es wurden darüber bereits Bücher geschrieben, und auch meine Wenigkeit hat sich zu diesem Thema mehrfach geäußert (hier, hier, hier). Eine recht bekannte „Alternative“ zum Nobelpreis, die allerdings nicht disziplinär ausgerichtet ist, ist der Right Livelihood Award, auch „Alternativer Nobelpreis“ genannt. Heute möchte ich ganz kurz eine weniger bekannte Alternative vorstellen, die der Grundidee der Nobelpreise eigentlich etwas näher, auf Ökonomie fokussiert und dennoch „besser“ als der Nobel-Gedenkpreis der Schwedischen Reichsbank ist. Gestatten: der Leontief Prize.
Der Leontief Prize for Advancing the Frontiers of Economic Thought wird seit 2000 jährlich vom Global Development and Environment (GDAE) Institute der privaten Tufts University verliehen (einer der großen Nachteile des Preises besteht darin, dass seine Internetseite unglaublich hässlich ist, ganz im Gegenteil zu nobelprize.org und rightlivelihoodaward.org). Benannt wurde der Preis nach dem russisch-amerikanischen Ökonomen Wassily Leontief, selbst Träger des Nobel-Gedenkpreises für Ökonomie (1973). Leontief ging vor allem als Erfinder der Input-Output-Analyse in die Annalen ein, die bis heute für viele makroökonomischen Modelle und im Kontext der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung wichtig ist.
Der „Wirtschafts-Nobelpreis“ wird zurecht dafür kritisiert, im Widerspruch zu Alfred Nobels Testament („[der] Preis [soll] an diejenigen ausgeteilt werden […], die im vergangenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen erbracht haben.“ ) realitätsferne Beiträge zur ökonomischen Theorie auszuzeichnen. Dahingegen schreibt sich das GDAE mit dem Leontief Prize explizit auf die Fahnen,
outstanding contributions to economic theory that address contemporary realities and support just and sustainable societies
auszuzeichnen. Dies führt dazu, dass unter den ausgezeichneten vor allem heterodoxe Ökonomen zu finden sind. Allerdings gibt es bei der Preisvergabe durchaus auch Überschneidungen mit dem Nobel-Gedenkpreis. So gehören u. a. Amartya Sen (Nobel ’98, Leontief ’00), Daniel Kahneman (Nobel ’02, Leontief ’10) sowie Angus Deaton (Nobel ’15, Leontief ’14) zu den Preisträgern. Auch mit dem Right Livelihood Award gibt es eine Überschneidung in Person von Herman Daly (Right Livelihood ’96, Leontief ’01), den die International Society for Ecological Economics (ISEE) – „meine“ Gesellschaft also – übrigens gerade für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen versucht (was ich für wenig sinnvoll halte). Weitere bekannte Leontief-Preisträger waren bisher unter anderem John Kenneth Galbraith (2000), Dani Rodrik (2001), Robert Frank (2004), José Antonio Ocampo (seinerzeit Kandidat für den Posten des World-Bank-Präsidenten; 2008), Bina Agarwal (2010), Nicholas Stern und Martin Weitzman (2011), Albert O. Hirschman (2013), James K. Galbraith (Sohn von John Kenneth; 2014) sowie Joan Martínez-Alier (2017).
Wenn man sich das Feld der Preisträger ansieht, fällt auf, dass zumindest einem Kritikpunkt am Nobel-Gedenkpreis hier begegnet wird – auch wenn viele Ausgezeichnete Angelsachsen sind, gibt es durchaus einige Preisträger aus anderen Ländern, auch des globalen Südens. Des Weiteren gibt es mehrere weibliche Preisträger, während der Nobel-Gedenkpreis bisher lediglich ein einziges Mal an eine Frau verliehen wurde – die 2012 leider verstorbene Elinor Ostrom, die auch zum Leontief-Preis bestens gepasst hätte.
Es mag sein, dass die Träger des Nobel-Gedenkpreises für Ökonomie maßgebliche Beiträge zur Entwicklung der (neoklassischen) ökonomischen Theorie leisteten (auch wenn dies von manchen angezweifelt wird, bspw. in Bezug auf den vor allem als Publizist aktiven Friedrich August von Hayek). Da diese Theorie aber allzu oft im luftleeren Raum der nahezu völligen Abstraktion stattfindet, wird sie nicht wirklich dem eigentlichen Ansinnen Alfred Nobels gerecht. Da erscheint der Leontief Prize sowohl hinsichtlich der erklärten Ausrichtung als auch im Hinblick auf die bisher Ausgezeichneten eine wesentlich bessere und interessantere Alternative.
Und vielleicht wäre es auch sinnvoller, wenn man die Ökonomie nicht um jeden Preis in den Kreis der Nobelpreise „pressen“ würde. Die Mathematik, gemäß einer Urban Legend von Nobel ausgeschlossen, nachdem er wegen eines Mathematikers betrogen wurde, kommt mit ihrer Fields-Medaille auch ganz gut zurecht. Ein eigenständiger Ökonomie-Preis wie der Leontief Prize könnte also auch als Zeichen dienen, dass sich die Ökonomie endlich von ihrem Bedürfnis emanzipiert hat, eine „exakte Wissenschaft“ bzw. die soziale Physik zu sein.