Carsharing und die Grenzen der Effizienz-Orientierung

Als umweltbewusster Mensch ohne antimodernistische Tendenzen finde ich die Idee des Carsharing großartig. Ich wollte nie wirklich ein Auto haben, kann es aber nicht leugnen, dass ich gern Auto fahre und dass es hin und wieder praktisch ist, auf eines zurückgreifen zu können. Innerhalb der Stadt braucht man es kaum und zum Reisen meistens auch nicht – aber es gibt eben Ausnahmefälle, sei es ein Urlaub in einer schwer zugänglichen Almhütte oder ein Baumarkt-Einkauf. Aus Sicht der Nachhaltigkeit scheint es also eine tolle Lösung, dass man bei Bedarf ein Auto mieten kann, ohne es besitzen zu müssen. Doch was in Theorie so rosig wirkt, ist in der Praxis leider nur ein Teil der Lösung – und zwar nicht unbedingt der einfachste.

Damit mir Schleichwerbung nicht vorgeworfen werden kann: ein Carsharing-Anbieter weit weg von hier. (CC BY-SA 2.0 Felix Kramer)
Damit mir Schleichwerbung nicht vorgeworfen werden kann: ein Carsharing-Anbieter weit weg von hier. (CC BY-SA 2.0 Felix Kramer)

Aus individueller Sicht ist Carsharing enorm vorteilhaft: wenn man es braucht, kann man ein Auto nutzen, und zwar je nach Bedarf alles zwischen einem Kleinwagen und einem Transporter; wenn man es nicht nutzt, braucht man nicht für Versicherung, Instandhaltung etc. zu zahlen; und man kann sich darauf verlassen, dass das gemietete Auto bestens in Schuss ist. Aus Nachhaltigkeitssicht scheint dieses Aushängeschild der Sharing Economy ebenfalls nur Vorteile zu bringen: da Carsharing für den individuellen Nutzer fast nur Vorteile hat, würde man erwarten, dass es sich zunehmend verbreitet, immer weniger Menschen Privatwagen anschaffen… Und am Ende würde zumindest in Großstädten kaum noch jemand ein Auto besitzen, denn wenn man eines bräuchte, dann könnte man es problemlos mieten. Das ist eine schöne Vision, doch bisher funktioniert sie noch nicht so recht. Die Zahl der Pkw-Neuzulassungen in Deutschland hält sich trotz des Carsharing-Booms (hier) recht konstant und wacker (hier). Wir haben es zur Zeit also mit einem klassischen Rebound-Effekt zu tun: eine im weiteren Sinne effizienzsteigernde Innovation (Carsharing) führt gar nicht dazu, dass weniger verbraucht (gefahren) wird, sondern ganz im Gegenteil – der Verkehr nimmt eher zu.1 Natürlich könnte man einwenden, dass Carsharing ein immer noch recht neues Phänomen ist und man jetzt noch nicht mit mit nennenswerten Nachhaltigkeitseffekten rechnen darf – doch gibt es Gründe zu vermuten, dass das Problem struktureller Natur ist und daher auch in der Mittel- bis Langfrist von selbst nicht verschwinden wird.

Es scheint, dass die meisten Carsharing-Nutzer Menschen sind, die auch sonst kein Auto besitzen würden und die sich freuen (wie ich), dass sie bei Bedarf eines nutzen können, ohne die finanziellen und die Umwelt belastenden Nebenwirkungen des Autoeigentums ertragen zu müssen. Es handelt sich also tendentiell um einen spezifischen Menschentypus – einen, dem die Umweltauswirkungen des motorisierten Individualverkehrs wichtig sind und der mit alternativen Transportmitteln (Fahrrad, ÖPNV…) etwas anfangen kann (s. bspw. hier). Für solche Menschen stellt die Nutzung von Carsharing eine Ergänzung dar. Die große Mehrheit hierzulande betrachtet das Auto jedoch als das primäre Transportmittel – für diese ist Carsharing kaum eine relevante Alternative. Daher ist nicht zu erwarten, dass die effizienzsteigernde Innovation Carsharing allein dazu führt, dass der motorisierte Individualverkehr zurückgeht.

Wie bereits der Titel dieses Beitrags nahelegt, sehe ich Carsharing nur als ein Beispiel für ein allgemeineres Phänomen – oft wird im Kontext von Nachhaltigkeitspolitiken sehr viel Hoffnung in effizienzorientierte, „technologische“ Lösungen gesetzt. Dies ist verständlich, denn sie sind vergleichsweise einfach umzusetzen – sie erfordern prima facie keine großen Verhaltensänderungen, und selbst wenn, dann werden diese Verhaltensänderungen lediglich sanft angestoßen, nicht erzwungen. Doch genau das ist oft ein Problem – dass die „Stupser“ zu sanft sind und daher nicht die erhoffte Wirkung entfalten. Damit sie dies tun, bedarf es flankierender Maßnahmen. Diese müssen nicht zwangsläufig in Ge- oder Verboten oder sonstigen Zwangsmaßnahmen bestehen – aber sie müssen zusätzliche Anreize aus weiteren Richtungen liefern.

Back to Carsharing: damit die „Marktlösung“ Carsharing wirklich sein Nachhaltigkeitsversprechen einlösen kann, muss es von öffentlichen Maßnahmen flankiert werden, die den Autofahrern das Autofahren wenier selbstverständlich und die Alternativen schmackhafter machen. Beispiele wären eine Reduzierung der Zahl (kostenloser) öffentlicher Stellplätze; Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs; Ausbau der Radwegnetze; Begünstigung des ÖPNV und des Radverkehrs (z. B. durch Sonderfahrspuren, Ampelschaltungen etc.). Diese Maßnahmen beziehen sich vor allem auf den Nahverkehr – den Weg zur Arbeit, zum Einkaufen, zur Schule und zum Kindergarten, zum Arzt, zum Amt… Bei Fernreisen gibt es bereits recht gute Alternativen, sei es die Bahn, seien es Fernbusse. Klar, man hat dort nicht den Komfort und die „Ruhe“ der eigenen Blechbüchse – dafür ist man weniger von Staus betroffen (im Fall der Bahn bereits jetzt, im Fall von Fernbussen wäre dies ebenfalls der Fall, wenn die Autobahnen weniger von Privatwagen beansprucht würden), man kann sich entspannen und anderweitig beschäftigen (Lesen, Filme gucken, auf dem Handy herumdillern…). Auf der Negativanreiz-Seite könnte man höchstens über ein allgemeines Tempolimit nachdenken, um Autofahrern die Illusion zu nehmen, man wäre mit dem Auto schneller – und um gleich nebenbei, im Sinne positiver Externalitäten, die Zahl der Verkehrsunfälle zu senken, das Stauaufkommen durch unterschiedliche Fahrgeschwindigkeiten reduzieren und den Deutschen den Nimbus der Autonarren zu nehmen. Insgesamt vermute ich jedoch, dass das Umdenken erstmal dort stattfinden muss, wo das meiste Potenzial besteht, es zu fördern – im Nahverkehrsbereich.

Noch einfacher wäre es natürlich, wenn die Menschen von selbst feststellen würden, dass das Fahrrad eine nette Fortbewegungsoption ist; dass man zum Laden um die Ecke auch laufen kann; dass man einen Laden um die Ecke mittel- bis langfristig „herbeischaffen“ könnte, wenn man aufhört, in zentraler platzierten Supermärkten einzukaufen (hier haben wir es allerdings mit einem sozialen Dilemma zu tun, was die Sache etwas verkompliziert); dass man eigentlich gar nicht so viel durch die Gegend fahren muss, um ein nettes Leben zu haben (bspw. muss man nicht zwangsläufig quer durch die Stadt fahren, um im Grünen am Stadtrand joggen zu gehen – hier hätten wir übrigens die nächste flankierende Maßnahme, mehr Grünflächen in Städten)… Sprich, Nachhaltigkeit wäre sehr leicht zu erreichen, wenn Menschen sich für Suffizienz begeistern würden. Doch egal wie häufig Herr Paech uns predigt, dass dies einer Befreiung gleichkäme – die meisten sehen es nicht ein. Und da wir sie nicht „zum Glück zwingen“ dürfen, bleibt uns nichts Anderes übrig, als es mit effizienzorientierten und von weiteren Maßnahmen flankierten Ansätzen zu versuchen. Vielleicht kommen wir dann auch irgendwann so weit, dass die Menschen selbst darauf kommen, dass die Visionen des Herrn Paech eigentlich ganz nett sind. Vielleicht nicht. Doch selbst wenn nicht, gibt es Wege und Mittel, um innerhalb des liberalen Rahmens Nachhaltigkeit zu fördern. Bloß sollte man nicht bei den einfachsten und unaufwendigsten Lösungen stehen bleiben. Carsharing ist toll – aber vielen Menschen muss man es trotzdem schmackhafter machen.

Fußnoten

1. Man beachte, dass dies eine Hypothese ist – die Zahlen, die mir bekannt sind, belegen lediglich, dass die Neuzulassungen auf einem etwa konstanten Niveau verharren, während es immer mehr Carsharing-Nutzer gibt und das Angebot entsprechend immer größer wird. Dass dies sich in mehr Verkehr niederschlägt, kann ich nicht belegen. Es erscheint aber aufgrund dr Überlegungen im Haupttext zumindest plausibel.

4 Gedanken zu “Carsharing und die Grenzen der Effizienz-Orientierung

  1. Stadtmenschen brauchen, bis auf Ausnahmen, wirklich kein eigenes Auto. Auf dem Land sieht es anders aus. Wenn man da für den Wochenendeinkauf schon ins nächstgrößere Dorf, das sich schon Stadt nennen darf, rüber muss, kommt man mit Fahrradfahren nicht so weit. Busse fahren alle 2-3 Stunden, nur bis zum frühen Vormittag und Sonntags gar nicht. Richtig teuer sind sie noch dazu. Trotzdem könnte man es gerade auf dem Dorf, „wo jeder jeden kennt“ vielleicht ganz gut organisieren mit dem Car Sharing. Und eine dreiköpfige Familie braucht auch nicht unbedingt drei Autos (das kommt vor…). Aber leider ist das (neue) Auto gerade auf dem Land ein wichtiges Statussymbol, die „öko und hip“-Einstellung des Stadtmenschen kennt man da eher nicht.
    Ich fahre auch regelmäßig Bahn und Fernbus, wünsche mir aber sehnlichst die Einführung von (funktionierenden) Ruhezonen oder -abteilen herbei…

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    • Ich gebe Dir definitiv recht. Auf dem Land ist das alles viel komplizierter. Allerdings leben ca 80% der Deutschen in Städten. Sodass ich hier die Priorität (und auch das Potenzial) sehe. Nichtsdestotrotz ist mir klar, dass meine Vorschläge wenn überhaupt nur einen Teil der Lösung darstellen. Doch erscheinen sie mir vergleichsweise einfach umzusetzen. Irgendwo muss man anfangen. Und übrigens dürfte die Durchsetzung der Ruhezonen in ICEs ziemlich einfach sein 😉

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        • 75% der Deutschen leben in Städten, habe gerade nachgesehen. Ja, inklusive Kleinstädte. Wenn man nur Großstädte betrachtet (100.000+), sind es 30%. Das relativiert meinen vorherigen Kommentar etwas.

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