Eigentlich sollte es nicht so sein, aber Wissenschaft, wie wahrscheinlich jede Sphäre gesellschaftlichen Lebens, ist sehr anfällig gegen Modewörter – Wörter, die oft nur vage definiert sind, Konzepte, die man gerade wichtig/sexy findet (und morgen eventuell nicht mehr). In der Wissenschaft ist die angemessene Verwendung von Modewörtern oft essentiell, z. B. um an Projektgelder heranzukommen. In meinem Umfeld ist das Kernkonzept meiner Dissertation, Biodiversität, so ein Modewort, genauso wie Ökosystemdienstleistungen, Stakeholder, Transdisziplinarität, evidenzbasierte Politikberatung etc. Doch um Modewörter generell soll es heute nicht gehen, sondern um ein ganz besonderes, das in der Umweltforschung gerade sehr wichtig ist – und das verdientermaßen. Gestatten: Interdisziplinarität.
Zunächst eine kurze Begriffsklärung (ich habe selbst eine Weile gebraucht, um hinter die Unterschiede dahinter zu steigen, also nehme ich an, dass es Anderen ähnlich geht): man spricht im Umweltforschungskontext oft von a) Multidisziplinarität, b) Interdisziplinarität sowie c) Transdisziplinarität. Ersteres bedeutet lediglich, dass ein gegebenes Problem von mehreren Disziplinen weitgehend unabhängig voneinander bearbeitet wird. Dieses Konzept ist inzwischen nicht mehr sonderlich populär (rhetorisch, in der Praxis ist es weiterhin sehr verbreitet und bleibt wohl so), weil es klassische disziplinäre Scheuklappen und Chauvinismen perpetuiert: „Ihr Ökologen macht das so, wir Ökonomen machen das völlig anders.“ Interdisziplinarität, um die es im Weiteren gehen wird, bedeutet, dass man verschiedene disziplinäre Perspektiven auf ein Problem miteinander verknüpft und einander befruchten lässt, um (so die Idee) dieses Problem besser, relevanter, adäquater anzugehen und zu lösen. Man könnte also sagen, dass Interdisziplinarität ein stärkeres Konzept als Multidisziplinarität ist, sie aber in die gleiche Richtung geht. Transdisziplinarität meint eine etwas andere Perspektive – im Gegensatz zu den vorher genannten verlässt sie das hermetische Gebäude der Wissenschaft und öffnet sich anderen gesellschaftlichen Bereichen, indem sie Stakeholder (Betroffene) auf verschiedene Arten involviert. Ein klassisches, recht weitgehendes Beispiel ist das der Citizen Science, es gibt aber auch viele andere, wie bspw. partizipative Szenarienentwicklung oder deliberative monetäre Bewertung (deliberative monetary valuation).
Von den drei Ansätzen/Konzepten ist Interdisziplinarität das verbreiteste und etablierteste (Multidisziplinarität gilt, wie bereits erwähnt, inzwischen eher als überholt, während Transdisziplinarität zwar boomt, aber noch sehr umstritten ist). In meinem Umfeld, am UFZ und generell in der Umweltforschung, geht ohne Interdisziplinarität eigentlich gar nichts mehr. Gerade von uns Sozialwissenschaftlern wird ständig gefordert, dass wir uns in alle möglichen Projekte einbringen, damit sie interdisziplinär gestaltet werden können (wofür wir natürlich keine zusätzlichen finanziellen Mittel gestellt bekommen – das ist aber eine andere Geschichte). Aber Interdisziplinarität passiert nicht nur zwischen Natur- und Sozialwissenschaften, sondern auch innerhalb dieser großen Gruppen. Zumindest rhetorisch. Denn in der Praxis ist sie extrem schwierig und oft frustrierend – weswegen in Projektanträgen das Wort zwar immer großgeschrieben wird, in der Umsetzung aber oft de facto multidisziplinär gearbeitet wird (worunter dann die Leute leiden, die Abschlussberichte etc. verfassen müssen, wo man den Geldgebern verklickern muss, dass man sehr wohl interdisziplinär geforscht habe).
Moderne Wissenschaft ist sehr disziplinär geprägt. Sogar innerhalb traditioneller Disziplinen wählt man sich als Wissenschaftler sehr früh eine Nische und versinkt so weit in ihr, dass man oft nach einer Weile Schwierigkeiten hat, sogar mit den Menschen eine gemeinsame Sprache zu finden, die z. B. einen Abschluss im selben Fach haben. Dies ist auch verständlich – unser Wissen ist so enorm umfassend geworden, dass nicht nur Universalgenies inzwischen nicht mehr möglich sind (dazu fehlen unseren Gehirnen schlicht die Kapazitäten), auch eine detailierte Kenntnis einer einzigen Disziplin ist inzwischen oft gar nicht erreichbar. Man ist nicht mehr Ökonom, ja nicht einmal mehr Umweltökonom, sondern Naturschutzökonom (und dabei ist Ökonomie ein relativ harmloses Beispiel, weil sie von den Ansätzen und Problemstellungen her sehr homogen ist, verglichen z. B. mit den meisten Naturwissenschaften, aber auch mit anderen Sozialwissenschaften wie der Soziologie).
Entsprechend strukturiert ist die unversitäre Bildung – auch dies ist in der Regel gerechtfertigt. Bevor man sich auf Interdisziplinarität stürzt, sollte man in seiner eigenen Disziplin ein Experte werden. Doch gerade in der Umweltforschung kommt man meistens nicht um Forderungen nach Interdisziplinarität herum. Und dann beginnt die Frustration. Denn plötzlich setzt man sich mit Ökologen, Bodenphysikern, Hydrologen oder Modellierern zusammen – und stellt fest, dass sie genauso gut Farsi sprechen könnten, was Verständigungspotenzial anbetrifft. Nicht nur dass man in völlig anderen Vokabularen kommuniziert – nein, schlimmer noch, man verwendet allzu oft die gleichen Wörter für mitunter völlig verschiedene Konzepte. Bis man diese sprachlichen Barrieren überwunden hat, dauert es oft schon mal sehr lange.
Doch dann geht es weiter – wie verknüpft man die z. T. sehr unterschiedlichen Perspektiven? Was kann ich als Ökonom daraus ziehen, dass mir der Bodenphysiker erklärt, wie sich unterschiedliche Arten von Böden verhalten? Hat man Glück, gibt es im Projekt Vertreter von ausreichend vielen Disziplinen, sodass eine Art Gradient entsteht – der Ökonom versteht sich mit dem Landschaftsökologen, der kann etwas mit der Arbeit des Bodenökologen anfangen, dieser wiederum kann ggf. nachvollziehen und für sich nutzen, was der Bodenphysiker tut. Doch dies erfordert immer noch sehr viel Anstrengung, Kommunikation und Bereitschaft zu Kompromissen. Denn es kann sein, dass mich selbst ganz andere Aspekte des Problems interessieren als das, was sich die anderen von mir wünschen würden.
Speziell aufs UFZ bezogen findet man oft besondere Probleme an der Schnittstelle zwischen den Naturwissenschaftlern und uns Sozialwissenschaftlern. Dies ist teils ein strukturelles Problem – die Sozialwissenschaften sind ein sogenannter Querschnittsbereich, d. h. wir sollen im besten Fall alle UFZ-Forschung politik- und gesellschaftsrelevant machen (was das auch immer bedeutet). Dadurch wird oft verkannt, dass bspw. ein Ökonom, der sich auf Naturschutz spezialisiert, mit Wasserthemen nicht unbedingt viel anfangen kann. Auch unter Umweltökonomen, -soziologen oder -juristen gibt es thematische Schwerpunkte. Außerdem ist die „semantische“ Entfernung innerhalb der Naturwissenschaften oft wesentlich kleiner als zwischen ihnen und Sozialwissenschaften. Was z. B. zu so absurden Ideen führt, wie sozialwissenschaftliche Arbeitsgruppen in Projekten – während Naturwissenschaftler thematisch und interdisziplinär miteinander zusammenarbeiten, sollen die Sozialwissenschaftler irgendwie als add-on danebenstehen und alles von außen mit bearbeiten. Das ist so absurd wie oft als selbstverständlich betrachtet. Um ein besonders amüsantes (?) Beispiel zu nennen – nächste Woche nehme ich an einer Pflichtveranstaltung unserer Graduiertenschule teil. Dazu sollen wir Doktoranden Poster über unsere Doktorarbeiten vorbereiten. Dafür hat die Graduiertenschule Vorlagen vorbereitet, die farblich nach Themen unterscheiden: Naturschutz/Biodiversität, Wasser, Chemikalien/Gesundheit, Modellierung/Monitoring und… Sozialwissenschaften. Das ist ein bisschen wie Geschirr nach Farben zu sortieren und als eine Kategorie „Tassen“ zu wählen. Und dabei sind wir Sozialwissenschaftler oft die „besseren“ interdisziplinären Forscher, einfach weil wir im Umweltbereich viel stärker auf die Arbeit der anderen angewiesen sind als bspw. Biologen.
Zusammengefasst: Interdisziplinarität kann extrem frustrierend und anstrengend sein. In manchen Kontexten ist die Forderung nach ihr auch schlicht und einfach idiotisch – bspw. bei Doktorarbeiten. Es ist schon schwer genug, sich in sein eigenes Fach so einzuarbeiten, dass irgendeine Fakultät bereit ist, einem den Doktortitel zu verleihen. Wenn dann aber noch gefordert wird, dass man de facto zwei Disziplinen in seiner Arbeit verbindet, kann das katastrophale Folgen haben. Gleichwohl ist Interdisziplinarität in vielen Kontexten ein unumgänglicher, unverzichtbarer Imperativ. Neoklassische Umweltökonomen tendieren allzu oft dazu, dies zu ignorieren, und versuchen, Umweltprobleme losgelöst von wirklich fundiertem naturwissenschaftlichem Wissen zu analysieren – was herauskommt, ist zwar analytisch nett und eine Möglichkeit, mit den eigenen Mathematik-Kenntnissen zu protzen. Mit der realen Welt hat es aber nicht unbedingt etwas zu tun. Doch auch in die andere Richtung verhält es sich ähnlich – der Ökologe mag genau wissen, wie ein Ökosystem sich verhält. Doch was hat dies für eine Bedeutung, wenn dieses Ökosystem aus gesellschaftlichen Gründen nicht bestehen bleibt/bleiben soll? Oder in eine Richtung gemanagt werden sollte, an die der Ökologe gar nicht gedacht hat? Und auch obwohl mir die Notwendigkeit von Interdisziplinarität zwischen Naturwissenschaften und Sozialwissenschaften besonders auffällt, ist der Bedarf innerhalb dieser disziplinären Cluster oft nicht geringer. Vor allem, weil eigentlich nur interdisziplinäre Umweltforschung gesellschaftlich relevant sein kann, da sie Probleme behandelt, die eine enorme Komplexität aufweisen. Natürlich braucht man auch Grundlagenforschung, und diese kann und sollte in den meisten Fällen disziplinär ausgerichtet sein. Doch wenn es um die Lösung gesellschaftlicher Probleme geht, kommt man um eine integrative Kooperation von verschiedenen disziplinären Blickwinkeln nicht umhin. Da muss man ggf. die Zähne zusammenbeißen, um sich von kleineren Frustrationen nicht abschrecken zu lassen. Aber es scheint der einzige Weg zu sein in einer Welt, in der Umweltprobleme (und viele andere ebenfalls) so komplex sind, dass monodisziplinäre Herangehensweisen schlicht nicht ausreichen.
