Ich stehe gerade vor einem Dilemma, vor dem ich im Laufe meiner „wissenschaftlichen Karriere“ früher oder später stehen musste. Es wird von mir verlangt, dass ich in den 3 Jahren meiner Dissertation zumindest einmal eine internationale Konferenz besuche. Im jetzigen Stadium der Arbeit wäre das auch eine durchaus gute Idee. Problem? Die Konferenz, die am ehesten in Frage käme, findet nächsten Juni in Washington statt. Womit wir bei meinem Dilemma wäre – ich würde die Konferenz gern besuchen, verspüre aber eine tiefsitzende Abneigung gegen Flugreisen.
Nicht dass ich Flugangst hätte (dann hätte ich zumindest eine gute Ausrede). Aber Flugreisen haben massive Klimaauswirkungen. Nicht nur verbrennen Flugzeuge Unmengen an Kerosin – auch die Kondensstreifen haben gerade bei hoch fliegenden Interkontinentalflügen eine verheerende Wirkung. Flugreisen sind insofern „böse“, selbst wenn man nicht an Chemtrails-Verschwörungen glaubt.

Konzentrieren wir uns aber auf die CO2-Emissionen. Sollte ich nach Washington und zurück fliegen, würde ich damit laut diesem Rechner etwa 2,3 Tonnen CO2 verursachen. Das entspricht in etwa der Emissionsmenge, von der man üblicherweise sagt, dass sie einem durchschnittlichen Erdbewohner jährlich zustehen würde, würden wir mit der Erreichung des 2°C-Ziels ernst machen. Mit einem Flug nach D.C. würde ich also mein „Jahrespensum“ an CO2-Emissionen verbrauchen. Das klingt nicht sonderlich gut. Nun gibt es aber viele Menschen, für die es völlig normal ist, hin und wieder mal quer um die Erdkugel zu fliegen. Aus Klimaschutz-Sicht ist das nicht sonderlich günstig…
Als Ökonom sieht man da eine relativ einfach scheinende Lösung: die von Flugreisen verursachten Externalitäten (hier v. a. CO2-Emissionen) internalisieren. Damit ist gemeint, dass sie im Preis enthalten sein müssen. Beispiel Washington-Reise: ein Hin- und Rückflug würde mich wahrscheinlich etwa 900 € kosten. Doch wie viele müsste der Flug kosten, wenn die Auswirkungen der CO2-Emissionen internalisiert würden?
Das ist eine Frage, die nicht gerade einfach zu beantworten ist. Die Größe, die man dafür braucht, nennt sich im Ökonomensprech Social Cost of Carbon (SCC): das ist der „Preis“ einer emittierten Tonne Kohlendioxid. Ermittelt wird dieser Preis zumeist mittels sogenannter Integrated Assessment Models (IAMs), ein recht umstrittener Typ ökonomischer Wachstumsmodelle, die ein „Klimamodul“ enthalten, um die Auswirkungen von Klimawandelszenarien zu analysieren.
Doch bevor wir zu den IAMs und den mit ihnen verbundenen Schwierigkeiten kommen, sollten wir vielleicht kurz überlegen: was ist denn so schlimm an den 2,3 t CO2, für die ich mich mit einem Flug nach D.C. „verantwortlich“ machen würde? Wie allgemein bekannt, ist CO2 ein Treibhausgas. Seit etwa 2 Jahrhunderten emittieren die Menschen mehr Treibhausgase, als die Biosphäre in der Lage ist zu absorbieren, wodurch diese in der Atmosphäre akkumulieren. So stieg die atmosphärische Konzentration von Kohlendioxid inzwischen von den vorindustriellen 280 ppm (parts per million) auf ca. 400 ppm. Damit gehen massive Auswirkungen einher. Die trivialste Folge ist dabei, dass die Welt wärmer wird. Doch wenn’s nur das wäre… Da sich die Erde nicht gleichmäßig erwärmt, sondern zu den Polen hin relativ stärker (am Äquator ist der Temperaturanstieg tendentiell am geringsten), kommt es zu Verschiebungen im klimatischen System unseres Planeten. Der globale Temperaturanstieg verändert zudem Niederschlagsmuster, Windentwicklung, er lässt Eiskappen schmelzen. Viele Tiere und Pflanzen bekommen Probleme, weil die Klimaveränderungen zu schnell verlaufen, als dass sie sich anpassen könnten. Doch all dies wäre aus ökonomischer Sicht irrelevant, wäre da nicht die Tatsache, dass all diese Effekte des Klimawandels – von denen die meisten erst auf uns zukommen, und das aufgrund der Trägheit des Klimasystems sogar, wenn wir jetzt sofort aufhören würden, jegliche Treibhausgase zu emittieren – auch für uns Menschen unschöne Folgen haben dürften. Insbesondere Wetterextreme wie Dürren und Fluten sowie der Anstieg des Meeresspiegels machen Sorgen.
Worin besteht dann der Social Cost of Carbon? Faktoren gibt es da viele: Ernteverluste und generelle negative Auswirkungen auf wirtschaftliche Produktion; erhöhtes Krankheits- und Sterbensrisiko durch das Vordringen tropischer Krankheiten in höhere Breitengrade sowie durch Extremwetterereignisse wie Hitzewellen; Verlust von geschätzten Ökosystemen. Rein theoretisch müsste man all diese Effekte einer ökonomischen Bewertung unterziehen, um den SCC zu ermitteln. Leider müsste man dazu sehr viel wissen: 1) den genauen Einfluss menschlicher Aktivitäten auf die Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre; 2) den genauen Einfluss von Veränderungen der Treibhausgaskonzentrationen auf den globalen Temperaturanstieg (sog. Klimasensitivität); 3) den genauen Einfluss des globalen Temperaturanstiegs auf Ökosysteme, Regionalklima, Eiskappen etc.; 4) den Einfluss der Veränderungen in Ökosystemen, Regionalklimata etc. auf menschliche Systeme, d. h. Wirtschaft und Gesellschaft; 5) den ökonomischen Wert dieser Veränderungen. Ganz abgesehen davon, dass man all dies für die gesamte Erde wissen müsste. Es dürfte also klar sein, dass dies kaum zu leisten ist.
Was tut man also, um SCC zu ermitteln? Man bemüht die eingangs erwähnten IAMs, die Integrated Assessment Models. Im Grunde gibt es nur drei prominente IAMs (jeweils in mehreren von Zeit zu Zeit aktualisierten Versionen): FUND, DICE/RICE und das vor allem durch den Stern-Report bekannt gewordene PAGE. Das Ziel dieser Modelle ist es, den Klimawandel und seine Auswirkungen anhand von Szenarien im Sinne einer Kosten-Nutzen-Analyse zu betrachten. Sie sind aus vielen Gründen umstritten. Zu den wichtigsten gehören: die Praxis des Diskontierens zukünftiger Nutzen und Kosten; der (oft fehlende) Umgang mit Unsicherheiten; die ungenügende Betrachtung von Extremwetterereignissen; sowie die Modellierung der Kosten des Klimawandels anhand von sogenannten Schadensfunktionen.
Schadensfunktionen sind eine Antwort auf die Schwierigkeiten, die ich oben im Kontext der ökonomischen Bewertung zwecks Ermittlung des SCC erwähnte. Anstatt Temperaturanstiege in einzelne Effekte aufzubröseln und diese Effekte ökonomisch zu bewerten, verwendet man einfache Funktionen, die dies ad hoc leisten: üblicherweise sind dies quadratische Funktionen, d. h. man nimmt an, dass der Zusammenhang zwischen Klimawandelkosten und dem globalen Temperaturanstieg durch eine einfache Potenz gekennzeichnet ist. Je höher der Temperaturanstieg, desto schneller steigen die Kosten. Die Grundlage für diese Schadensfunktionen ist, gelinde ausgedrückt, schwach, denn sie reduzieren eine ganze Kette komplexer Zusammenhänge (s. o.) auf einen recht einfachen funktionalen Zusammenhang. Dies ist mindestens problematisch.
Kein Wunder also, dass die aus IAMs ermittelten SCC-Schätzungen nicht nur zurecht umstritten sind, sondern auch noch eine unglaubliche Streuung aufweisen: von ein paar $ pro Tonne CO2 bis zu mehreren Hundert $. Sieht man sich kritische Analysen an (siehe Leseempfehlungen unten), kommt man zu dem Schluss, dass die dreistelligen Schätzungen näher an der „Wahrheit“ liegen dürften. Doch das ist eigentlich auch alles, was sich ehrlicherweise sagen lässt. Und dies bedeutet, dass ich nicht weiß, wie viel mein eventueller Flug nach Washington kosten „sollte“. Wahrscheinlich ca. 200-300 € zusätzlich zu dem derzeitigen Preis.
Was tun also? Braucht man verlässliche Schätzungen des Social Cost of Carbon? Es wäre nett, solche zu haben. Dann könnte man relativ präzise (und damit effizient, um das Lieblingswort der Ökonomen zu bemühen) Kohlendioxid-Emissionen bepreisen und damit klimaschädliches Verhalten wie bspw. Flugreisen teurer machen, möglicherweise sogar prohibitiv teuer. Doch leider gibt es solche verlässlichen Schätzungen nicht. Daher wäre ein naheliegender Ansatz, die Emissionsmenge, die man für vertretbar hält, festzulegen, sie im Sinne eines cap-and-trade zu begrenzen und sehen, was für ein impliziter Preis sich ergibt. Dieser würde nicht genau dem SCC entsprechen, ihm aber halbwegs nahe kommen. Wie nahe, ist dabei unerheblich, denn das eigentliche Ziel ist ja die Senkung der Emissionen – und diese erreicht man bereits durch die Festlegung eines caps. Der anschließende Handel dient weniger der Ermittlung des SCC und mehr der Effizienz des Ganzen.
Somit hätten wir also eine klare ökonomische Empfehlung: Flugreisen und alle sonstigen emissionslastigen Aktivitäten sollten in ein Emissionshandelssystem einbezogen werden, am besten im globalen Ausmaß. Doch an dieser Stelle kommt der Politologe um die Ecke und lacht mich aus: bisher haben wir ein paar regionale Emissionshandelssysteme (das größte davon in der EU), die Einbeziehung der Flugindustrie erwies sich bisher als recht schwierig und es sind generell nur manche Industriezweige abgedeckt. Hinzu kommt, dass viel zu viele Zertifikate im Umlauf sind, wodurch auch der Preis, zu dem sie gehandelt werden, lächerlich ist. Dies ist zwar nicht gerade eine Erfolgsgeschichte, aber ich fürchte, dazu kann ich nur sagen: tut mir leid. Aus ökonomischer Sicht ist ein Emissionshandelssystem eine gute Sache. Und leider sehe ich auch keine politisch funktionsfähigere Alternative.
Und wie sieht es mit meinem Washington-Flug aus? Wahrscheinlich werde ich hinfliegen. Die Konferenz ist wichtig für meine Doktorarbeit und ich kann nichts dafür, dass sie kommendes Jahr ausgerechnet in Washington stattfindet (vor 1,5 Jahren war es Reykjavík statt, da hatte ich aber noch nichts vorzustellen). Mein Arbeitgeber gleicht immerhin alle Flugdienstreisen jährlich durch Investitionen in verschiedene Klimaschutzprojekte wie z. B. die MoorFutures aus. Bezahlen müsste ich auch die um 200-300 € teurere „internalisierte“ Flugreise nicht selbst. Doch wäre die Bepreisung der Emissionen vielleicht endlich ein Anreiz, Konferenzen zu regionalisieren und nicht zu ihnen zu fliegen, nur um ein paar Freunde zu treffen und einige nette fast-Urlaubstage im Ausland zu verbringen. Doch erstmal müsste der politische Wille seitens nicht nur der Regierungen vorhanden sein, sondern vor allem seitens der vielen regelmäßig Flugreisenden dieser Welt – denn einem Durchschnittsdeutschen dürfte es sehr schwer fallen, auf seinen Kanaren- oder Türkei-Urlaub zu verzichten. Social Cost of Carbon hin oder her.
Leseempfehlungen
- J. van den Bergh und W. Botzen (2015): Monetary valuation of the social cost of CO2 emissions: A critical survey, in Ecological Economics 114, S. 33-46.
- Naturkapital Deutschland – TEEB DE (2015): Naturkapital und Klimapolitik – Synergien und Konflikte.
- F. Ackerman et al. (2009): Limitations of integrated assessment models of climate change, in Climatic Change 95(3-4), S. 297-315.