Rechts oder Links?

Es gibt vieles auf dieser Welt, was ich mich aufregt. Eine solche Sache sind unscharfe Kampfbegriffe: Kapitalismus und Neoliberalismus sind prominente Beispiele. Oder eben „Links“ und „Rechts“. Als Richtungsbezeichnungen zur Orientierung im Raum sind sie völlig in Ordnung, aber zur Beschreibung der Weltanschauung einer gegebenen Person ziemlich unbrauchbar.

Die Ursache hierfür liegt wahrscheinlich vor allem in der langen Geschichte der Begriffe „politische Linke“ und „politische Rechte“. Die Einteilung in linke und rechte Parteien hat ihren Ursprung in der Sitzordnung der Abgeordneten in Frankreich seit der 1789er Revolution. Damals saß das Bürgertum (Opposition) links im Plenarsaal, der Adel (Monarchisten, Verteidiger des ancien regime) rechts. Auch das deutsche Paulskirchenparlament (1848) wurde nach diesem Muster eingeteilt. Mit der Zeit jedoch differenzierte sich die Sache immer mehr, viele damals gültige Trennlinien verloren ihre Bedeutung, und heutzutage sind die Bezeichnungen „links“ und „rechts“ im politischen Kontext unglaublich unscharf.

Anstatt alle möglichen Spektren vorzustellen, entlang welcher man die politische Szene in „links“ und „rechts“ einteilen könnte, möchte ich mich heute auf zwei beschränken, die mir besonders wichtig erscheinen. Man könnte sie als „politisches Subjekt“ (Individualismus vs. Kommunitarismus) und „Einstellung zu DER Wahrheit“ (Liberalismus vs. Dogmatismus) bezeichnen. Gleichwohl bestätigen diese beiden Unterscheidungsmerkmale meine These über die Unschärfe der Begriffe „rechts“ und „links“, da sie nicht logisch miteinander korreliert sind. Jemand, der „links“ in der einen Dimension ist, kann sehr wohl „rechts“ in der anderen sein.

Um dies zu verdeutlichen, habe ich in der unten stehenden Matrix alle 4 Kombinationsmöglichkeiten der jeweiligen Extreme dargestellt, mit den dazugehörigen Beispielen aus der politischen Szene.

Links oder Rechts?
Links oder Rechts?

Auch wenn die konkreten Beispiele wahrscheinlich disputabel sind, so hoffe ich verdeutlicht zu haben, wieso ich es leid bin, als „Linker“ bezeichnet zu werden. Zumal viele Menschen, wenn sie von „links“ oder „rechts“ (oder, wenn wir schon dabei sind, „grün“) sprechen, eine ganz bestimmte Vorstellung haben, was dahinter steht. Beispiel? Ein linker Grüner hat für: liberales Abtreibungsrecht, Homosexuellenehe, Legalisierung von Marihuana, Gleichstellung der Frauen, Umweltsteuern, Gentechnikverbote, Atomausstieg, Recht auf Wasser, Hochschulbildung für alle, Ganztags- und Gesamtschulen, 24/7-Veggie-Day, Erbschaftssteuern, Grundeinkommen, Gender-sensitive Schreibweise … und gegen: Krieg jeglicher Art, Großkonzerne, Freihandel, Großtechnologien, Steuersenkungen, Wirschaftswachstum … zu sein. Das wird von einem erwartet, oft auf beiden Seiten der „Debatte“. Sobald man eine diversere Weltanschauung an den Tag legt, verunsichert man Andere. Sprich: auf Grundlage einiger weniger Meinungsäußerungen wird man in eine bestimmte Schublade gesteckt und nach der entsprechenden Schablone beurteilt.

Die Einteilung in „rechts“ und „links“ ist bequem. Sie erleichtert die Orientierung in der Welt der Weltanschauungen. Aber sie verzerrt diese auch extrem und erschwert allzu oft sachliche Kommunikation („Mit einem Rechten diskutiere ich nicht!“). Statt uns an solchen Schubladen zu orientieren, sollten wir case-by-case die Argumente/Meinungsäußerungen unseres Gegenübers bewerten. So mühsam das sein mag, so viel konstruktiver dürfte eine solche Herangehensweise sein.

5 Gedanken zu “Rechts oder Links?

  1. Es ist tatsächlich nicht ganz einfach, zu sagen, was genau „linke“ und „rechte“ Politik sein soll. Der Ursprung dieser Zweifaltigkeit in der Sitzverteilung des französischen Parlaments deutet aber schon auf einen zentralen Unterschied, der bis heute gilt und eine klare Abgrenzung möglich macht: Dieser Unterschied besteht im Hinblick auf die Frage nach der „Gleichheit der Menschen“. Rechte (historisch: der Adel) lehnen die Vorstellung, dass Menschen gleich sind, kategorisch ab (nicht umsonst wurde hier der Rassismus, also die biologische Begründung der gesellschaftlichen Unterschiede erfunden), während Linke die Gleichheit bejahen.

    Natürlich kann man sich lange streiten, was „gleich“ jetzt konkret heißt. Im Endeffekt kannst du aber Linke und Rechte klar unterscheiden, indem du danach fragst, wie etwa der gesellschaftliche Wohlstand verteilt werden soll. Ein Rechter wird antworten, „nach der erbrachten Leistung, die den von Natur aus unterschiedlich verteilten Fähigkeiten entspricht“. Ein Linker wird etwas anderes antworten, beispielsweise „nach den Bedürfnissen“ oder „nach der mit den individuellen Fähigkeiten gewichteten Leistung“, weil ihn die These, dass natürliche Unterschiedlichkeiten gesellschaftliche Unterschiede begründen bzw. rechtfertigen, nicht überzeugt.

    Ein tagespolitisches Beispiel ist die Frage nach dem dreigliedrigen Schulsystem: Rechte fordern die Dreigliedrigkeit, damit die von Natur aus bestehenden überdurchschnittlichen Fähigkeiten der „Elite“ optimal gefördert wird, und die kleinen Steuerhinterzieher von morgen nicht von der Unterdurchschnittlichkeit des restlichen Menschheitsabschaums behindert wird. Ein Linker wird sagen, dass die unterschiedlichen Fähigkeiten bzw. (Schul-)Leistungen nicht (maßgeblich) aus der Natur resultieren, sondern aus den gesellschaftlichen Verhältnissen, z.B. weil die Lehrerin / der Lehrer Kevin und Schakkeline aus Marzahn von vornherein schlechtere Noten gibt. Zu diesen Verhältnissen zählt gerade das Schulsystem, dass sozial produzierte Ungleichheit reproduziert, weshalb es nivellierend gestaltet werden muss.

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    • Well, I beg to differ;-) Was du als „rechts“ bezeichnest, die Entlohnung nach Leistung, ist erstens eher dem Liberalismus zuzuordnen („eindeutig rechte“ Parteien sind oft ganz und gar nicht wirtschaftsliberal – siehe z. B. die polnische PiS oder auch die ungarische Fidesz). Zweitens, auch hier geht es um eine der vielen Möglichkeiten Definitionen von Gleichheit – Gleichheit im Anspruch auf das, was man leistet.

      Die Behauptung, Linke würden von der Gleichheit der Menschen ausgehen, Rechte hingegen nicht, ist mir bekannt (so steht es z. B. im deutschen Wikipedia-Artikel über die „politische Linke“), überzeugt mich aber nicht. Wie du bereits selbst bemerkt hast, kann man Gleichheit sehr verschieden interpretieren, was diese Erklärung schon mal schwierig macht. Natürlich ist dieses Kriterium bei der Abgrenzung der extremen Rechten von allen Anderen relativ leicht anwendbar. Aber was machst du mit der CDU/CSU? Wo steckst du die FDP rein?

      Zuletzt ist mein Problem mit „rechts vs. links“ vor allem, dass selbst wenn sie eine „objektive“ Grundlage haben sollten (was ich bezweifle – s. o.), sie doch primär Kampfbegriffe sind, die allzu oft dazu verwendet werden, zu „begründen“, wieso man sich auf den Anderen nicht einlassen will. Das führt dann zu solchen Zwickmühlen, wie der vermeintliche Bruch der Bündnisgrünen mit dem Grundsatz von Null Zusammenarbeit mit Nazis im Kontext der Ukraine-Krise. Statt wirklich über die Vielschichtigkeit des Themas nachzudenken, wird sich oft hinter Slogans versteckt, weil diese einfacher sind (womit ich nicht sagen kann, dass die Grünen in dem konkreten Fall richtig gehandelt haben – es geht mir nur um die Art der Debatte, die da geführt wurde).

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      • Die Entlohnung nach Leistung und die Akzeptanz der sich daraus ergebenden gesellschaftlichen Unterschiede ist nicht liberal sondern rechtsliberal, mit Betonung auf der ersten Silbe. Liberal wäre nämlich auch die genannte Entlohnung nach einer mit den individuellen Fähigkeiten gewichteten Leistung, das wäre dann eher linksliberal.

        Die Einordnung von CDU/CSU und FDP nach dem Gleichheits-Kriterium finde ich eigentlich ganz gut machbar. Das genannte schulpolitische Beispiel lässt ja mehr oder weniger nur zwei Positionen zu, die dann eben klar rechts oder links sind. Auch der ganze Steuersenkungskäse der FDP ist klar rechts, weil er auf der (rechten) Idee aufbaut, dass erworbenes Vermögen allein auf individueller Leistung beruht und diese auch Unterschiede legitimiert, wohingegen eine Umverteilung an den arbeitsscheuen Rest der Bevölkerung der Leistungsgerechtigkeit widerspricht.
        Eine derartig leichte Einordnung wird vielleicht nicht in allen Politikfeldern möglich sein, erstaunlich häufig bietet es aber eine gute Orientierung. Wenn man die Programme der einzelnen Parteien durchsieht, wird man sicher auch mal sowohl linke als auch rechte Positionen finden. Dennoch dürfte im Gesamtbild eine klare Tendenz erkennbar sein, ansonsten hat die Partei ein widersprüchliches Profil – was von den Wählern in der Regel nicht belohnt wird.

        Kampfbegriffe sind „rechts“ und „links“ nur insofern, als sie nicht in Bezug auf ihren Kern verstanden und dementsprechend verfremdet verwendet werden. Nur weil ein Begriff politisch polarisiert, heißt das aber noch nicht, dass er keine Substanz jenseits des Kampfbegriffes hat. Ich bin ziemlich überzeugt, dass mithilfe der Rückbesinnung auf den Kerngehalt der Begriffe politische Debatten sehr gut von Missverständnissen befreit und dann viel klarer geführt werden können. Wenn die beteiligten Akteure das nicht wollen und „rechts“ und „links“ nur als dumpfe Kampfbegriffe verwenden, dann sind die Akteure daran schuld, nicht die Begriffe. Würde auf „rechts“ und „links“ als Diffamierungsinstrument verzichtet, würden halt andere Begriffe zu Kampfbegriffen umgeformt, was ja vielfach auch passiert (z.B. „neoliberal“ vs. „sozialistisch / kommunistisch“). Der Verzicht auf jeglichen abstrakten Begriff, der Mehrdeutigkeiten zulässt, erscheint mir auch nicht wirklich praktikabel. Solange die begrifflichen Konturen nicht völlig verwischen oder der Inhalt völlig verfremdet wird (wie z.B. in einigen osteuropäischen Staaten, in denen selbsternannte linke Parteien nach unserem Verständnis rechts wären und andersherum), ist die Einteilung nach rechts oder links hilfreich – sowohl für eine erste Orientierung, als auch später in der Diskussion um konkrete Inhalte.

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  2. Ich gebe mich (erstmal) geschlagen – mir fallen keine Gegenargumente ein. Deine Definition von „links“ und „rechts“ scheint doch einleuchtend. Auch wenn bei mir das Problem der vielen möglichen Interpretationen des Wortes „gleich“ immer noch Unbehagen hervorruft.

    Kampfbegriffe sind “rechts” und “links” nur insofern, als sie nicht in Bezug auf ihren Kern verstanden und dementsprechend verfremdet verwendet werden. Nur weil ein Begriff politisch polarisiert, heißt das aber noch nicht, dass er keine Substanz jenseits des Kampfbegriffes hat. Ich bin ziemlich überzeugt, dass mithilfe der Rückbesinnung auf den Kerngehalt der Begriffe politische Debatten sehr gut von Missverständnissen befreit und dann viel klarer geführt werden können.

    Ich sehe aber immer noch nicht, wieso die Begriffe dann notwendig sein sollten. Wenn man sich nämlich auf den „Kerngehalt zurückbesinnt“, braucht man sie eigentlich nicht mehr, sondern eher das, was dahinter steht (Einstellung zur Gleichheit). Diese Begriffe sind nämlich letzten Endes Schubladen. Du hast natürlich recht, dass solche Schubladen als Orientierungshilfen oft hilfreich sind. Ich habe aber Zweifel, ob sie hier tatsächlich hilfreich sein können. Denn selbst wenn deine Definition richtig sein sollte, hält sich keiner an sie. Du schreibst: „Wenn die beteiligten Akteure das nicht wollen und “rechts” und “links” nur als dumpfe Kampfbegriffe verwenden, dann sind die Akteure daran schuld, nicht die Begriffe.“ Das stimmt aber nur bedingt, glaube ich. Denn Begriffe sind keine statischen Entitäten mit einer ein für allemal festgelegten Definition. Sie evoluieren (wofür ja links und rechts ein besonders gutes Beispiel ist). Wenn wir an einer uns sinnvoll erscheinenden Definition festhalten, bringt das nicht eventuell etwas, wenn gleichzeitig alle anderen (oder zumindest die Mehrheit der Beteiligten) mit den Begriffen weitere Eigenschaften assoziieren. Credo: eigentlich stimme ich dir zu. Aber dennoch bleibt „links“ und „rechts“ in meinem eigenen, privaten Wortgebrauch weiterhin in der Schublade „nicht benutzen, zu unklar/Kampfbegriffe“, gleich neben „neoliberal“ und „Kapitalismus“ (und „grün“, wenn wir schon dabei sind).

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    • Ich glaube ich sehe deinen Punkt. Wenn es einem um Gleichheit geht, dann soll man es auch so sagen, anstatt den Umweg über „links“ oder „rechts“ zu gehen, wo man noch diverse andere Bedeutungen gleich mit reinpacken kann.

      Andererseits frage ich mich immer, wie viele rechte Leute dazu stehen würden, Gleichheit offen abzulehnen. Das Label „rechts“ klingt da irgendwie noch besser..

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