Die ökonomische Bewertung von Ökosystemen und ihren Dienstleistungen erregt regelmäßig die Gemüter. Sei es in Fachzeitschriften, sei es auf Konferenzen (z.B. der degrowth-Konferenz im September 2014 in Leipzig) oder in den Medien. Die Liste der Vorwürfe ist lang und divers. Einige sind berechtigt und sollten ernst genommen werden, andere fußen auf Unverständnis der Methode und überzeichnen mittels konstruierter Implikationen und vermuteter Folgen. Im Folgenden möchte ich nur auf einige Vorwürfe eingehen, um zu skizzieren, was ökonomische Bewertung ist und was sie aus meiner Sicht nicht ist.
Die Ökonomie, egal welcher Subdisziplin und weitgehend auch unabhängig von der Denkschule, befasst sich zuvorderst mit dem Umgang mit knappen Ressourcen. Die Grundidee ist die folgende: Wir haben viele Wünsche und Bedürfnisse, aber nicht die Mittel, alles zu tun, was wir gern tun würden. Wir müssen also abwägen (trade-offs ist einer der zentralen Begriffe der Ökonomie) zwischen verschiedenen Handlungsoptionen, auf der Basis unserer inhärent beschränkten Mittel. Und das tun wir auch: Das menschliche Leben besteht aus ständigen Abwägungsentscheidungen, auch wenn wir uns der meisten davon nicht bewusst sind. So ist auch der Umweltschutz nicht frei von Abwägungsnöten: Wollen wir eine Bahnstrecke bauen oder lieber einen Wald erhalten? Was tun wir, wenn Windanlagen, die wir wegen des Klimawandels als vergleichsweise „saubere“ Energiequelle bauen wollen, Fledermäuse und Zugvögel töten? Sollten Entwicklungsländer ihre fast unberührte Natur schützen oder lieber zugunsten von wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungszielen opfern (Stichwort Yasuní-ITT)? Dabei geht es selten um binäre ja-nein-Entscheidungen, sondern vielmehr um komplexe Abwägungsprozesse mit dem Ziel, die Handlungsoption auszuwählen, die gesellschaftlich optimal ist (kostenminimierend/nutzenmaximierend). Die ökonomische Bewertung ist eine Methode, diese trade-offs explizit zu machen. Dafür braucht man oft eine vergleichbare Einheit – dies kann eine Währung sein, aber grundsätzlich auch jede andere Einheit (z.B. Exergie oder Hektar Land), in die sich Aspekte der jeweiligen Abwägung übersetzen lassen.
Eine häufige Kritik des ökonomischen Ansatzes ist, dass eine derart „rationalisierte“ Herangehensweise an die Natur ihre Zerstörung fördert. „Moralische“ Argumente, die die Ästhetik, Einmaligkeit und den intrinsischen Wert von Ökosystemen heraufbeschwören, seien das Mittel der Wahl. Darauf gibt es zweierlei Antworten: zum einen eine pragmatische, die darauf hinweist, dass moralische Argumente mindestens seit der Veröffentlichung von Rachel Carsons „Silent Spring“ 1962 verwendet werden (und eigentlich noch viel länger – man denke nur an Henry David Thoreau oder Aldo Leopold) – die Umweltzerstörung geht aber munter weiter. Dies soll nicht heißen, „traditionelle“ Umweltschutzargumente seien vollends gescheitert – die Anerkennung ihrer vielen Erfolge sollte aber nicht verkennen lassen, dass die globale Umwelt 2014 in einem schlechteren Zustand ist als noch vor 50 Jahren. Es bedarf also neuer Strategien und Ansätze – die ökonomische Bewertung kann eine(r) sein. Zum anderen sind der ökonomische und der „moralische“ Ansatz keine Gegensätze. Vielmehr sollten sie als komplementär angesehen werden. Gerade wenn man, außer seinem Potenzial, auch die Grenzen des ökonomischen Ansatzes in Betracht zieht.
Ein Missverständnis bezüglich der ökonomischen Bewertung – und zwar eines, das man auf beiden Seiten der Debatte beobachten kann – ist ihr Objekt. Der ökonomische Ansatz vermag es nicht, den Wert eines bestimmten Baumes oder eines Wals oder eines menschlichen Lebens zu bestimmen. Als ein explizit marginaler Ansatz ist er in seiner Reichweite auf Veränderungen beschränkt. So kontraintuitiv dies erscheinen mag, bedeutet das, dass man zwar einer Veränderung in einer Walpopulation einen ökonomischen Wert beimessen kann – nicht aber einem bestimmten Wal. Oder man kann, zumindest theoretisch, den ökonomischen Wert einer Veränderung in der Sterbewahrscheinlichkeit von Menschen ermitteln – es ist aber nicht möglich, aus dieser den „Euro-Wert“ eines bestimmten menschlichen Lebens zu berechnen. Hier machen manche Ökonomen selbst den Fehler, dass sie den geringfügigen und doch fundamentalen Unterschied verkennen. Genauso ist es übrigens nicht möglich, den ökonomischen Wert der Biosphäre zu ermitteln, weil ohne sie menschliches Leben nicht möglich wäre – sie ist sozusagen unendlich wertvoll und ihre Zerstörung kostet uns alles. Ironischerweise ist die meistzitierte ökonomische Bewertungsstudie von Costanza und anderen eine, in der genau dieser Fehler gemacht und der gesamten Biosphäre ein Dollar-Wert zugewiesen wird.
Ein weiterer Kritikpunkt an ökonomischer Bewertung ist, ihr eigentliches Ziel sei die Kommodifizierung und Vermarktlichung, letztlich eine Privatisierung der Natur. Wie eingangs erläutert, geht es in der ökonomischen Bewertung zentral um die Erfassung von Zielkonflikten entlang verschiedener Handlungsoptionen. Das Ziel der Ökonomie als Privatisierung öffentlicher Güter wie der Natur darzustellen fußt also auf einem fundamentalen Irrtum im Verständnis der wissenschaftlichen Disziplin der Volkswirtschaftslehre. Es ist eine alte und eher unkontroverse Erkenntnis der Ökonomie, zurückgehend auf einen ihrer Koryphäen Paul Samuelson, dass öffentliche Güter eben nicht auf Märkten gehandelt werden sollten – aufgrund ihrer inhärenten Eigenschaften sind sie nicht dafür geeignet. Dies beruht, wieder, auf zwei Missverständnissen. Grundsätzlich ist die Kette Erfassung-Bewertung-Monetarisierung-Kommodifizierung von Ökosystemdienstleistungen keine logische Notwendigkeit. Man kann naturschutzrelevante trade-offs explizit machen, ohne gleich eine Bewertung durchzuführen. Eine Bewertung muss nicht zwangsläufig monetäre Kategorien bemühen (auch wenn dies meistens der Fall ist). Und selbst wenn eine Ökosystemdienstleistung monetarisiert wurde, heißt dies noch lange nicht, dass sie in Märkten gehandelt werden kann oder gar sollte. Ganz im Gegenteil: Die meisten Ökosystemdienstleistungen sind öffentliche Güter und für diese funktionieren Märkte nicht effizient (das heißt für das Wohl der Gesellschaft). Auch dies wird teilweise auf beiden Seiten der Debatte vergessen, ist aber ein entscheidender Punkt, wenn man über die ökonomische Perspektive redet.
Zu guter Letzt noch ein Punkt. Auch wenn Ökonomen häufig den Begriff der Kosten-Nutzen-Analyse im Kontext der ökonomischen Bewertung bemühen, so eignen sich die mittels ökonomischer Bewertungsmethoden ermittelten Werte kaum für eine Kosten-Nutzen-Analyse im engeren Sinne. Dies liegt daran, dass die Werte nur grobe Schätzungen sind – ihre Präzision hängt von sehr vielen Parametern ab, von denen man viele nicht in ausreichendem Maße kontrollieren kann. Eine Kosten-Nutzen-Analyse ist also nur im Sinne einer groben Abwägung sinnvoll, nicht aber im Sinne einer exakten Ermittlung eines monetären Netto-Nutzens von Umweltschutzmaßnahmen.
Vernünftig angewandte und zur Stützung politischer Entscheidungen genutzte ökonomische Bewertung kann durchaus hilfreich sein. Sie dient zuallererst der Analyse und Explizitmachung von Zielkonflikten – und nicht, wie manchmal behauptet, der Kommodifizierung und Privatisierung der Natur. Sie ist auch nicht das Allheilmittel für alle Umweltprobleme unserer Zeit und sollte daher nicht als Substitut für andere (z.B. „moralische“) Ansätze angesehen werden, sondern vielmehr als ihre Ergänzung. Und auch wenn der ökonomische Ansatz gelegentlich rhetorisch missbraucht wird – welcher wird das nicht?
Dieser Beitrag wurde zuerst auf dem UFZ-Blog Umweltforsch veröffentlicht.