Das WissZeitVG muss weg

Kürzlich „verlor“ ich eine geschätzte Kollegin und Mentorin, die das UFZ gen Ruhrpott verlassen musste. Sie hatte dort eine Professur bekommen, was ja eigentlich gut ist – „freiwillig“ war der Weggang allerdings ursprüglich nicht. Ähnlich erging es vor zwei Jahren einem anderen Kollegen, dessen akademische Karriere gar zu Ende kam – er wechselte zu einem Verlag. Ebenfalls nicht wirklich „freiwillig“. Beide waren seit vielen Jahren engagierte, beliebte und erfolgreiche Wissenschaftler/innen am UFZ. An beider Weggang war das Wissenschaftszeitvertragsgesetz schuld.1

Das WissZeitVG – so die offizielle Abkürzung – hatte einst ein nobles Ziel. Es sollte die Anzahl befristeter Arbeitsverträge an deutschen Hochschulen und Forschungsinstituten beschränken. Wie so oft, waren die Intentionen vielleicht gut – der Effekt aber eher das Gegenteil des Beabsichtigten. Das WissZeitVG betrifft alle an deutschen Hochschulen und Forschungsinstituten beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen, insbesondere aber diejenigen unter uns, die aus Haushaltsmitteln unserer Einrichtungen beschäftigt sind oder sein möchten. Denn eine Wissenschaftlerin kann in Deutschland auf zweierlei Wegen an einer Uni oder einem Forschungsinstitut (sei es Leibniz, Max Planck, Helmholtz oder Fraunhofer) angestellt sein – entweder läuft der Arbeitsvertrag über den normalen Haushalt der betreffenden Institution (HH-Stelle) oder man ist auf Projektbasis, d. h. über Drittmittel (DM) beschäftigt. In den allermeisten Fällen ist Ersteres die „stabilere“ Variante, die eine längerfristige Perspektive bietet bzw. bieten sollte.

Irgendwann stellte man das Problem fest, dass sehr viele wissenschaftliche Mitarbeiter*innen mit 1-, 3-, 6-monatigen, manchmal auch 1- oder 3-jährigen HH-Stellen abgespeist wurden, die immer wieder verlängert wurden. Das konnte mitunter jahrelang so gehen, ohne dass man eine langfristige Perspektive bekam. Das WissZeitVG sollte diesem tatsächlich höchstproblematischen Zustand entgegenwirken. Es erschwert solche ad-infinitum-Verlängerungspraktiken bei HH-finanzierten Wissenschaftler*innen, indem es (i) die Angabe von Befristungsgründen (die in der Regel mit Weiterqualifizierung, z. B. Promotion oder Habilitation zusammenhängen) zur Pflicht macht sowie (ii) feste Grenzen für befristete Anstellungen vorsieht. Maximal sechs Jahre bis zur Promotion und maximal sechs Jahre nach der Promotion darf man befristet werden. Ist diese Gesamtzeit von 12 Jahren überschritten (wobei DM-Verträge, die natürlicherweise befristet sind, nämlich für die Projektlaufzeit, ebenfalls mit hinein zählen), darf man keinen befristeten Vertrag mehr bekommen. Nirgendwo. An keiner öffentlichen deutschen Forschungseinrichtung. Will und kann die Einrichtung eine solche Wissenschaftlerin behalten, muss sie ihr einen unbefristeten Vertrag geben.

In einer perfekten Welt wäre das vielleicht ein guter und funktionierender Anreiz für Entfristungen. Leider ist dies nicht der Fall. Die Struktur des deutschen Wissenschaftssystems und seine chronische Unterfinanzierung führen dazu, dass nur sehr wenige Menschen entfristet werden. Sind die 12 Jahre abgelaufen, hat man typischerweise vier Möglichkeiten:

  1. Man bekommt eine Entfristung als „Mittelbau“, d. h. promovierte wissenschaftliche Mitarbeiterin (sehr, sehr seltener Fall, besonders in letzten Jahren – am UFZ mit seinen ca. 40 Departments und mehreren Hundert Wissenschaftler*innen werden jährlich maximal fünf Menschen entfristet; es ist auch explizit eine Ausnahme, nicht die Regel; an Unis sieht es z. T. noch unerfreulicher aus).
  2. Man bekommt eine Professur, aufgrund der Politik vieler Fakultäten allerdings in der Regel nicht an der Einrichtung, an der man bis dato geforscht hat (s. meine oben erwähnte Kollegin). Ebenfalls keine sehr häufige Variante, da die Zahl der Lehrstühle stark begrenzt ist.
  3. Man hangelt sich von einem Drittmittel-Projekt zum nächsten, ohne Aussicht auf eine längerfristige Perspektive – für einige DM-Künstler*innen eine Option, die allerdings Skills erfordert, die nicht zu dem von Wissenschaftler*innen üblicherweise erwarteten Repertoire gehören. Keine sehr häufige Variante.
  4. Man wird vom System ausgespuckt (s. mein oben erwähnter Kollege). Bedenkt man, dass die meisten mit ca. 25 ins Wissenschaftssystem einsteigen, ist die akademische Karriere dann mit ca. 40 vorbei. Kein optimales Alter, um einen neuen Job außerhalb der Wissenschaft zu suchen.

Die Konsequenzen dieser Situation sind mannigfaltig. Kluge Köpfe, die der Wissenschaft gut tun würden, bleiben ihr gegebenenfalls fern, weil sie anderswo stabilere Beschäftigungsverhältnisse angeboten bekommen (zuzüglich besserer Bezahlung). Kluge Küpfe, die es ausprobiert haben, wandern nach der Promotion ab, solange sie noch jung, frisch und für andere Arbeitgeber attraktiv sind. Der Mittelbau schrumpft: viele Doktorand*innen, einige junge Post-docs (die Mutigen, die hoffen, sich in diesem System trotzdem irgendwie behaupten zu können – wohl wissend, dass sie und/oder einige ihrer Kolleg*innen es nicht schaffen werden) stehen einigen Professor*innen und den wenigen älteren Post-docs gegenüber, die „es geschafft haben“. So werden Hierarchien stabilisiert, weil es ein Gefälle zwischen den HH-finanzierten, unbefristeten einerseits und den DM-finanzierten oder befristet HH-finanzierten Mitarbeiter*innen andererseits gibt – sowohl was „Verhandlungsposition“ anbetrifft als auch Alter (und Geschlecht). Hinzu kommt, dass man seine Forschung sehr strategisch angehen muss – was sind die Kriterien, nach denen gerade entfristet wird? Wie kann ich diese am besten erfüllen? Im besten Falle führt dies zu einem permanenten Unwohlsein und unterschiedlich erfolgreichen Versuchen, high-turnover-Forschung (möglichst viele Projekte, möglichst viele Publikationen) mit Qualität zu vereinen. Im schlechtesten zu krankhafter Konkurrenz und scientific misconduct (sei es durch p-Hacking, unverdiente Ko-Autorenschaften, Plagiarismus…). Hat man mal „ausgesorgt“ (=eine unbefristete Stelle ergattert), kann man sich dann erstmal zurücklehnen und den guten Ideen derer lauschen, die finden, dass Wissenschaft zu schnell und zu oberflächlich betrieben wird.

Was tun? Das Problem ist definitiv komplex. Das WissZeitVG in seiner aktuellen Form abschaffen und auf dem Müllhaufen der deutschen akademischen Geschichte entsorgen wäre ein guter erster Schritt – aber weitere müssen folgen. Mehr Mittel für Personal (anstatt für tolle Gebäude, von teuren Architekt*innen entworfen) wäre eine gute Idee. Eine tiefgreifende Veränderung der Metriken zur Messung von Forschungsqualität sowie der Anreize, denen Wissenschaftler*innen ausgesetzt werden, ebenfalls (weg von Quantität, hin zur Qualität). Auch die derzeitige Personalstruktur – mit sehr großem Gewicht auf Lehrstühle – erscheint weder zeitgemäß noch hilfreich. Hier wurde bspw. von der Jungen Akademie ein Vorschlag unterbreitet, der Departments mit flachen Hierarchien, vielen Professor*innen und ohne (sic!) Mittelbau vorsieht. Gerade seine Radikalität führte zu vielen interessanten Diskussionen (s. Kommentare im verlinkten Dokument). Dies sind nur ein paar Beispiele für mögliche Baustellen. Doch eines steht fest: das WissZeitVG muss weg!

Fußnoten

  1. Über die komplementäre Rolle der UFZ-Geschäftsführung hülle ich mich in Schweigen.

9 Gedanken zu “Das WissZeitVG muss weg

  1. Unterschreibe ich so. Vielleicht zur Ergänzung: Nicht nur die „klugen Köpfe“ wandern ab, sondern auch diejenigen ohne reiche Eltern/PartnerInnen, die mit Kindern, alleinerziehend usw. So wird Wissenschaft in Deutschland zunehmend eine Angelegenheit derer die sich diese Risiken leisten können.

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    • Vollkommen richtig. Mit der Betonung der „klugen Köpfe“ wollte ich vor allem ausdrücken, dass sich das Wissenschaftssystem damit selbst ins Knie schießt. Und dass die Eigenschaften, die man mitbringen muss, um in diesem System zu bestehen, nicht unbedingt diejenigen sind, die man von einer*m „guten Wissenschaftler*in“ erwarten würde, habe ich hier diskutiert.

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  2. Vor 20 Jahren habe ich in einer ähnlichen Situation gesteckt. Ökonom an einem Helmholtz-Zentrum mit Zeitvertrag und Wechsel auf eine Professur. Ich kenne also die leidigen Zeitverträge, sitze aber im Warmen und Trockenen.

    Es ist mir sofort klar, daß man Zeitverträge von Übel findet. Die Frage, die ich mir aber gestellt habe ist, was passieren würde, wenn man die einfach streichen würde und nur noch unbefristete Stellen hätte. Das Problem ist, daß ja in jedem Jahr x% der Absolventen gern im Wissenschaftssystem bleiben würden, weil sie das spannend finden. Wenn das System nicht kontinuierlich wachsen soll, müssten doch genauso viele Menschen aus dem System ausscheiden wie einsteigen. Wenn eine unbefristete Stelle (sagen wir) auf 40 Jahre besetzt ist, dann würden doch im Idealfall jedes Jahr 2,5% der Stellen frei werden. Was ist aber, wenn nicht 2,5%, sondern 10% gern im System bleiben würden? Wenn man nicht jedes Jahr diese 7,5% Differenz an neuen unbefristeten Stellen schaffen will, dann sehe ich nur zwei Möglichkeiten: Entweder man verlagert das Hauen und Stechen an den Einstiegszeitpunkt und sagt den 7,5% dass das System keine Perspektive für sie hat oder man verkürzt die Zeit, die die 10% im System verbringen, so daß das System nicht weiter wächst. Sprich „Zeitvertrag“.

    Wenn ich das richtig sehe, sind wir uns da einig, denn in Deinem Beitrag denkst Du ja über Auswahlmechanismen für Entfristung nach, die besser sind als die bisherigen. Du denkst auch über flachere Hierarchien nach, die aber m.E. mit dem Problem der Unsicherheit von Zeitverträgen nur indirekt etwas zu tun haben. Dann bleibt es aber bei dem bisherigen „Reise nach Jerusalem“ Spiel.

    In der Vergangenheit habe ich mich mit meinen rudimentären Physikkentnissen häufig über die Teichenphysiker geärgert, die am CERN usw. mit extrem teurem Spielzeug hantieren dürfen. Als tumber Ökonom konnte ich nicht erkennen, wieso die Suche nach irgendeinem Quark von größerer Relevanz ist als eine kunstgeschichtliche Analyse der Gobelins aus der Zeit Ludwig XIV. Man sollte da die Mittel in etwa gleich verteilen.

    Dann ist mir irgendwann das Bild eines Durchlauferhitzers eingefallen. Wahrscheinlich wollen die meisten Leute am CERN dort bleiben, weil sie das spannend finden, werden aber irgendwann aus dem System herausgeworfen. Das finden sie nicht gut. Klar.
    Die Leute, die vom System herausgeworfen werden, haben im System aber Humankapital erworben, das außerhalb des Systems gesucht ist. Ein Kommentatur sprach ja von „knackigen Tomaten für Monsanto“. Ich denke mir jetzt CERN usw. als einen solchen Durchlauferhitzer, der die Leute mit der Suche nach den letzten Fragen dieser Welt anlockt und dann als Spezialisten für knackige Tomaten entlässt. Das könnte auch der Unterschied zu den Gobelinforschern sein. Da gibt es weniger ökonomische Verwertbarkeit des erworbenen Humankapitals außerhalb des Systems. Vielleicht sollte das Wissenschaftssystem das klarer machen und beim Einstieg klarer machen, daß man mittel- bis langfristig wahrscheinlich nicht auf W3 landet, sondern bei Monsanto. Mir scheint, daß die Kommunikation da nicht ehrlich ist, denn sonst würden wir ja Grundlagenforschung finanziell viel breiter aufstellen, denn mit dem Geld, das ich in die Infrastruktur einer CERN-Stelle stecke, könnte ich ja auch eine Fußballmanschaft von Kunsthistorikern (oder Ökonomen:) bezahlen.

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    • Vielen Dank für den sehr intressanten Kommentar. Die Fragen, die du hier ansprichst, habe ich mir öfters auch gestellt, gerade bezüglich des „Reise nach Jerusalem“-Problems. Außer mehr Geld für Wissenschaft ist mir allerdings noch keine Lösung eingefallen;-)

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      • Mehr Geld: Es ist ja noch schlimmer 😉 Du müsstest nicht nur einmal den Jahresbetrag aufstocken und die Aufstockung dann beibehalten, sondern kontinuierlich immer noch mehr Geld ins System pumpen, denn wenn ich Deine Stelle (und alle anderen auch) entfriste, gibt es ja keine freien Stellen für das Semester unter Dir mehr. D.h. nur noch von denen, die altersbedings ausscheiden. Für den Rest muss ich ja (sagen wir mal) 50.000 neue unbefristete Stellen schaffen, und für das Semester dadrunter auch wieder 50.000 … weil die ja alle mit gleichem Recht die gleichen Konditionen einfordern…

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        • Es ist nur schlimmer unter der Annahme, dass alle entfristet werden (was ja auch keine gute Lösung wäre). Natürlich muss „gesiebt“ werden und es wird weiterhin normal sein, dass Leute nach der Promotion abwandern (obwohl man sich vielleicht fragen sollte, ob es nicht besser wäre, weniger Promovierende zu haben und die bisher „typischen“ Promotionsprojekte nicht von Leuten durchführen zu lassen, die als Post-docs längerfristig ans System gebunden werden sollen). Und dann gibt es noch Drittmittelprojekte. Das Problem an dem derzeitigen System ist eher, dass man nach der Promotion noch eine ganze Weile in Unsicherheit lebt und ggf. erst Jahre danach vom System „ausgespuckt“ wird.

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  3. böser Denkfehler: Die Anteile der Absolventen und der Wissenschaftler könnte man nur direkt vergleichen, wenn die Anzahl der Absolventen je Jahr und die der Wissenschaftler gleich groß wäre. Ist natürlich nicht so. Das Verhältnis ist also noch deutlich ungünstiger…

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