Landwirtschaft mit Grauschattierungen

Die Transformation der Landwirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit ist aktuell eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen. Da es unter anderem um unsere Ernährung geht, sind die Debatten zu diesem Thema oft ziemlich emotional und tendieren zu Vereinfachungen, insbesondere one-size-fits-all- bzw. silver-bullet-Lösungsvorschlägen: „organic agriculture will feed the world“; grüne Gentechnik kann (fast) alle Probleme lösen; land sparing und „nachhaltige Intensivierung“ sind die Lösung, womöglich kombiniert mit Rewilding; etc. Da wünschte man sich hin und wieder ein paar Grauschattierungen.

Meine Hauptthese für den heutigen Beitrag ist relativ einfach: die meisten Ansätze, die im Kontext der Debatte um die nachhaltige Landwirtschaft genannt werden, haben ihre Vorteile – aber eben auch Nachteile. Angesichts der enormen Kontextspezifizität von Landwirtschaft (räumlich, kulturell) ist ein starres Entweder–Oder nicht zielführend, sondern es sollte nach kontextspezifisch sinnvollen Kombinationen verschiedener Ansätze gesucht werden. Als Fallstudie soll dabei die ökologische Landwirtschaft dienen.

Landwirtschaft ist ein Komplex von Umweltproblemen, insbesondere wenn man sie eingebettet in das größere System „Ernährung“ betrachtet. Da werden toxische Substanzen in die Umwelt gebracht; es wird überdüngt; endliche Ressourcen werden angeknackst (Phosphor!); durch Landschaftsvereinfachung (landscape simplification) wird Biodiversität zurückgedrängt; das Produktionssystem selbst verliert Resilienz durch ständige Vereinfachung und Spezialisierung; Biomasse wird verschwendet, sowohl direkt (v. a. durch Verrottung) als auch indirekt (durch Fleischkonsum); Böden werden überlastet. Gleichwohl gibt es viele Ansätze, die sich dieser Problematiken annehmen: ökologische Landwirtschaft, konservierende Landwirtschaft (conservation agriculture), Precision Farming und „Landwirtschaft 4.0“, neue Konsummuster wie bspw. Vegetarismus. Die Sinnhaftigkeit eines jeden dieser Ansätze wird von Befürworter*innen angepriesen, von Skeptiker*innen angezweifelt. Die prominenteste dieser Debatten ist dabei wohl diejenige um ökologische (Bio-) vs. konventionelle Landwirtschaft.

Wie in vielen ähnlichen Fällen leidet die Debatte schon einmal an der grobschlächtigen Begriffswahl. Was ist konventionelle Landwirtschaft? Oft wird sie mit großflächigen Monokulturen, hohem Einsatz von Pestiziden, synthetischen Düngemitteln und, wo das Gesetz es zulässt, gentechnisch veränderten Sorten sowie mit maschinisierten Bearbeitungsmethoden gleichgesetzt. Implizit wird alles, was nicht ökologische Landwirtschaft ist, in diese Schublade gesteckt. Doch die oben beispielhaft gelisteten Attribute beschreiben nur das eine Ende des Spektrums landwirtschaftlicher Systeme; zwischen solch „industrialisierter“ (auch ein unscharfer Begriff, aber klarer als „konventionell“) und der ökologischen Landwirtschaft befindet sich eine Fülle von Mischformen, die in der üblichen binären Gegenüberstellung unter den Tisch fällt. Hinzu kommt, dass auch ökologische Landwirtschaft keine eindeutige Kategorie ist. Selbst in Deutschland gibt es mehrere Abstufungen: die Standards, die man erfüllen muss, um mit dem EG-Bio-Siegel werben zu dürfen, sind deutlich niedriger als bei den Bioverbänden Bioland oder Naturland und insbesondere bei dem bio-dynamische Landwirtschaft fördernden Demeter-Verband.

Nichtsdestotrotz lassen sich relativ leicht ein paar typische Charakteristika ökologischer Landwirtschaft herauskristallisieren, die auf konventionelle Landwirtschaft in den meisten ihrer Formen so (in dieser Radikalität) nicht zutreffen: keine synthetischen Pestizide (aber dafür mitunter Kupfer und Bacillus thuringiensis in getrockneter Form), kein synthetischer Dünger, keine grüne Gentechnik, eine „artgerechte“ Tierhaltung. Hinzu kommen unterschiedlich stark betonte Schließung von Kreisläufen auf dem Hof (Extremfall hier ist die bio-dynamische Landwirtschaft), Fruchtfolgen, bodenschonende Bearbeitung, Mischkulturen etc. Anhänger*innen schwebt oft auch eine rein kleinbäuerliche Landwirtschaft vor.

Auf den ersten Blick sieht ökologische Landwirtschaft sehr attraktiv aus.1 Auf den zweiten Blick hat sie aber auch durchaus Schwächen.2 Die am häufigsten bemängelte und kontrovers diskutierte ist: wie man’s auch immer dreht und wie man’s immer schiebt, erst kommt das Fressen… äh, nein. Nochmal: wie man es auch immer dreht, ökologische Landwirtschaft hat signifikant niedrigere Erträge pro Fläche als konventionelle Landwirtschaft (um etwa 1/4–1/3). Selbstverständlich lassen sich dagegen Einwände finden. Zum einen könne man dies durch Reduktionen in Verschwendung sowie Fleischkonsum ausgleichen; zum anderen sei der ökologische Anbau weniger schädlich für die natürliche Umwelt, sodass der eventuelle zusätzliche Flächenverbrauch keine so negativen Folgen habe wie bei konventioneller Landwirtschaft; und zuletzt lässt sich argumentieren, dass die höheren Erträge konventioneller Landwirtschaft sich langfristig nur durch einen sehr hohen Aufwand von synthetischen Düngemitteln und Pestiziden bewerkstelligen lassen, ohne die die ausgelaugten Böden oder in Monokulturen grassierenden Schädlinge und Krankheiten sehr schnell zu Ertragseinbrüchen führen würden. Doch insbesondere das erste der drei Argumente ist ziemlich angreifbar, und zwar in zweierlei Hinsicht: erstens ist es, wie Alon Tal betont, zur Zeit kaum absehbar, dass Konsummuster sich so stark verändern würden, dass der zusätzliche Flächenbedarf sich durch tatsächliche Reduktionen in Verschwendung und Fleischkonsum auffangen ließe. Zweitens ist ökologische Landwirtschaft aufgrund des Verzichts auf synthetische Düngemittel vor allem auf tierischen Dünger angewiesen – sodass auch eine starke Fleischkonsumreduktion nicht dazu führen dürfte, dass deutlich weniger Tiere (weiterhin) Flächen beanspruchen würden. Ganz im Gegenteil: manchen Berechnungen zufolge bräuchte man geradezu mehr Tiere (insbesondere Rinder), und diese bräuchten mehr Fläche, weil sie ja artgerecht leben müssten. Auch beim zweiten Argument sind Zweifel angebracht, denn wenn Grünland umgebrochen oder Wald abgeholzt werden muss, um Flächen für die Landwirtschaft frei zu machen, ist es ein geringer Trost, dass dort keine Monokulturen wachsen werden. Und was das dritte Argument bezüglich des langfristigen Vorteils anbetrifft, lässt sich bezweifeln, dass es außer auf die extreme Variante konventioneller Landwirtschaft tatsächlich zutrifft. Die Kritik bleibt bis auf Weiteres valide: hält man an ökologischer Landwirtschaft als flächendeckendes Modell fest, muss man mit erhöhtem Flächenbedarf leben.

Ein weiteres Problem der ökologischen Landwirtschaft, das implizit bereits oben angesprochen wurde, sind Treibhausgasemissionen. Denn so sehr Anhänger*innen die positive Klimabilanz des Öko-Landbaus betonen, fällt dabei üblicherweise der oben erwähnte Bedarf an tierischem Dünger unter den Tisch – für tierischen Dünger braucht man Tiere, bevorzugt Rinder, und diese sind eine der Hauptquellen von landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen. Schätzungen zufolge sind die Emissionen der ökologischen Landwirtschaft pro Fläche geringer als bei konventioneller Landwirtschaft; pro Menge Produkt allerdings sind sie ähnlich hoch bzw. höher. Ohne eine signifikante Reduktion in Verschwendung und Überkonsum (Letzteres im globalen Norden) zählt primär die zweite Metrik. Auch hier also relativiert sich die vermeintliche Vorsprung ökologischer Landwirtschaft.

Auch bei anderen Emissionen ist das Bild komplexer als es auf den ersten Blick scheinen mag. Überdüngung beispielsweise scheint vor allem von der Art des Managements abhängig zu sein, weniger davon, ob man organisch oder synthetisch düngt – Alon Tal zitiert dahingehend Untersuchungen aus Israel, wo Bio-Gewächshäuster wesentlich stärkere Nitrat-Verluste verzeichneten als konventionelle, einfach weil Letztere anders gedüngt haben. Auch lässt sich tierischer Dünger üblicherweise nicht so präzise und bedarfsgerecht ausbringen wie synthetischer (z. B. durch Kombination mit Tröpfchenbewässerung). Was Pestizide anbetrifft, ist der klassische Vorwurf an die ökologische Landwirtschaft und sonstige Gegner*innen des Glyphosat-Einsatzes, dass der „Preis“ des Verzichts auf Herbizide (von denen Glyphosat noch zu den vergleichsweise harmlosen gehört) eine stärkere und damit belastendere Bodenbearbeitung ist (oder, als Alternative, den Einsatz von sehr viel menschlicher Arbeitskraft zur Bekämpfung von Unkraut).3 Statt Glyphosat oder auch andere Pestizide zu verbieten, könnte es daher schlauer sein, sie mit Lenkungsabgaben (Steuern) zu belegen, sodass sie dort, wo Alternativen rar oder prohibitiv teuer sind, weiterhin eingesetzt werden können, während ansonsten ein starker Anreiz besteht, nach Alternativen zu suchen – sei es durch Biokontrolle, Roboter oder Mischkulturen.

Generell erscheint es wünschenswert, in der Landwirtschaft selbst sowie in der Debatte um ihre Zukunft mehr Grauschattierungen zuzulassen. Es ist offensichtlich, dass die Landwirtschaft insgesamt nachhaltiger werden muss – in der EU sollte sich dies auch in einer umfassenden Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) widerspiegeln, was an den aktuellen Vorschlägen der Kommission für die post-2020 GAP leider nicht erkennbar ist. Da die Landwirtschaft in vielerlei Hinsicht sehr heterogen ist, sollte man allerdings von „Wunderwaffen“ absehen und mehr auf flexible Mischungen verschiedener Ansätze und Alternativen zu derzeit oft nichtnachhaltigen Anbaumethoden setzen. Dabei können sowohl Prinzipien der ökologischen Landwirtschaft hilfreich sein, wie auch moderne Technologien (Precision Farming, Genome Editing). In einer sinnvollen Weise kombiniert können sie „konventionelle“ Methoden nachhaltiger machen:

Considering the challenging agricultural road ahead for meeting the needs of growing populations, a responsible perspective should focus less on a chemical free world in which we might want to live, and more about the real world of highly productive, low impact agriculture and the creative research needed to attain it. For the present, it offers the most promising strategy for feeding future generations. [Alon Tal, Making Conventional Agriculture Environmentally Friendly]

Fußnoten

  1. So attraktiv, dass auch der Autor dieses Beitrags fast ausschließlich Bio-Lebensmittel kauft.
  2. Im Folgenden stütze ich mich vor allem auf den exzellenten Artikel von Alon Tal: Making Conventional Agriculture Environmentally Friendly in der Open-Access-Zeitschrift Sustainability (2018).
  3. An dieser Stelle zwei qualifizierende Bemerkungen: zum einen befinden sich moderne Agrar-Roboter in Entwicklung und stehen teilweise kurz vor ersten Anwendungen, die Unkraut erkennen und mechanisch entfernen können; diese sind zwar nicht für alle Kulturen anwendbar, sondern nur für solche, bei denen die Reihenabstände groß genug sind (also bspw. Mais oder Zuckerrüben; nicht Weizen oder Raps). Aber für diese Kulturen könnten solche Roboter das Problem eines Herbizid-Verzichts bei gleichzeitiger schonender Bodenbearbeitung zumindest teilweise lösen. Zum anderen stehen Landwirt*innen weitere Alternativen zu Glyphosat zur Verfügung, die zumindest aus betriebswirtschaftlicher Perspektive die Behauptungen relativieren, ein Glyphosat-Verbot treibe sie in den Ruin (siehe dazu ein Beitrag auf dem sehr empfehlenswerten Blog des Lehrstuhls Agrarökonomie und Agrarpolitik von Robert Finger an der ETH Zürich).

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