Agrar- und Umweltökonomen aller Länder, vereinigt euch! Teil 1

Teil 1B hier, Teil 2 da.

Nicht zuletzt wegen meiner Arbeit in BonaRes, wo es um die nachhaltige Nutzung landwirtschaftlicher Böden geht, beginne ich mich immer stärker für die Schnittstelle zwischen Landwirtschaft und Umwelt zu interessieren. Als Umweltökonom wage ich mich damit zunehmend auf das Terrain der Agrarökonomik. Interessanterweise hörte ich bereits von mehreren Kolleg*innen, die schon länger an dieser Grenze aktiv sind, dass die Interaktionen zwischen Umwelt- und Agrarökonom*innen eher wenige sind. Das beschloss ich zu überprüfen – und zwar mit den Mitteln einer einfachen bibliometrischen Analyse. In diesem Beitrag geht es also darum, inwiefern agrar- und umweltökonomische Forschung sich aufeinander beziehen.

Die Hypothese meiner kleinen, weitgehend qualitativen Studie heißt: Umwelt- und Agrarökonomik sind nur schwach miteinander verknüpft. Um diese Hypothese zu testen, wende ich einfache Mittel der Bibliometrie an – ich analysiere, wie häufig Publikationen, die in umweltökonomischen bzw. agrarökonomischen Zeitschriften erscheinen, Artikel aus der jeweils anderen Ecke zitieren. Da meine Ressourcen knapp sind, musste ich mich auf wenige ausgewählte Zeitschriften beschränken. Es erschien mir dabei sinnvoll, mich auf besonders einflussreiche Zeitschriften zu fokussieren. Doch wie identifiziert man diese? Glücklicherweise lieben Ökonom*innen Rankings; ein besonders einflussreiches Ranking ökonomischer Zeitschriften stammt von Kalaitzidakis et al. (2011). Aus diesem extrahierte ich eine Liste von umwelt- und agrarökonomischen Zeitschriften (siehe unten). Ein weiteres einflussreiches Ranking teilt ökonomische Zeitschriften in „Güte-Kategorien“ von A+ bis C (siehe hier). Des Weiteren könnte man entsprechend den ISI Journal Citation Reports schlicht nach dem 2016er Impact Factor der jeweiligen Zeitschrift gehen. Zur Information ergänze ich die „Güte-Kategorien“ (sofern vorhanden) und die aktuellen IFs für jede der ausgewählten Zeitschriften. Die drei Auswahlkategorien sind nicht deckungsgleich, weisen aber hohe Überschneidungen auf (trotz der unterschiedlichen Zeitpunkte, für die sie gelten).

  1. Umwelt: Journal of Environmental Economics and Management [IF 2,305/B]
  2. Umwelt: Land Economics [1,365/C+]
  3. Umwelt: Ecological Economics [2,965/C]
  4. Umwelt: Environmental and Resource Economics [1,582/C]
  5. (Umwelt: Journal of the Association of Environmental and Resource Economists [-/-])
  6. Agrar: American Journal of Agricultural Economics [1,829/C+]
  7. Agrar: Agricultural Economics [1,758/-]
  8. Agrar: European Review of Agricultural Economics [1,600/C]
  9. Agrar: Food Policy [3,086/C]
  10. Agrar: Journal of Agricultural Economics [1,795/C]
  11. Agrar/Umwelt: Australian Journal of Agricultural and Resource Economics [1,826/-]

Die Liste ist bereits bereinigt; so habe ich inaktive Zeitschriften nicht mit aufgenommen (z. B. das Journal of Agricultural and Resource Economics, das seit 2014 nicht mehr erscheint) und energieökonomische Zeitschriften ignoriert, weil sie zwar zu umweltökonomischen Zeitschriften gezählt werden, von ihnen aber eher wenig Verbindung zu landwirtschaftlichen Themen zu erwarten ist. Das Journal of the Association of Environmental and Resource Economists hätte ich gern für die Analyse verwendet – es ist der Nachfolger des lange Zeit sehr prominenten Journal of Environmental Economics and Management (JEEM) als Hauszeitschrift der Association of Environmental and Resource Economists (die AERE kündigte 2014 die Zusammenarbeit mit Elsevier, wo JEEM erscheint); leider existiert es erst seit 2014 und taucht in großen Datenbanken noch nicht auf. Um die 10 für die nachfolgende Analyse voll zu machen, nahm ich daher das Australian Journal of Agricultural and Resource Economics in die Liste auf, das bereits dem Namen nach zwischen Agrar- und Umwelt-/Ressourcenökonomik verortet ist.

Als ersten Analyse-Schritt sah ich mir die Beschreibungen („About“, „Overview“ oder „Aims and scope“) der einzelnen Zeitschriften an und achtete dabei darauf, ob die jeweils „andere Seite“ Erwähnung findet. Zu meiner Überraschung war dies in den meisten Fällen durchaus der Fall. Lediglich Land Economics, Environmental and Resource Economics, Journal of the Association…, und das Australian Journal… erwähnten Landwirtschaft bzw. Umwelt nicht. Bis auf das ERE hatten sie allerdings alle nur sehr kurze Beschreibungen, keine ausführlichen Listen mit relevanten Themen. Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass die Umwelt bei den agrarökonomischen Zeitschriften prominenter ist als die Landwirtschaft bei den umweltökonomischen.

Als nächstes suchte ich (mithilfe des Web of Science) nach Artikeln in den umweltökonomischen Zeitschriften, die im Titel, Abstract oder den Keywords „agricultur*“ oder „farm*“ erwähnten; bei den agrarökonomischen waren die Suchwörter „environment*“, „ecolog*“ und „ecosystem*“. Die Suche wandte ich auf alle Publikationen der jeweiligen Zeitschrift in den Jahren 2008–2018 an und setzte sie ins Verhältnis zur Gesamtzahl der in diesem Zeitraum veröffentlichten Artikel:

  1. Australian Journal of Agricultural and Resource Economics [Agrar] 168/406 (41,4%)
  2. Australian Journal of Agricultural and Resource Economics [Umwelt] 109/406 (26,8%)
  3. Land Economics 101/418 (24,2%)
  4. Ecological Economics 593/2877 (20,6%)
  5. Journal of Agricultural Economics 80/410 (19,5%)
  6. Food Policy 165/924 (17,9%)
  7. European Review of Agricultural Economics 52/398 (13,1%)
  8. American Journal of Agricultural Economics 136/1119 (12,2%)
  9. Agricultural Economics 81/706 (11,5%)
  10. Environmental and Resource Economics 91/963 (9,4%)
  11. Journal of Environmental Economics and Management 39/539 (7,2%)

Wie man sieht, ist das Australian Journal of Agricultural and Resource Economics tatsächlich ein Grenzgänger; die beiden eher Mainstream-orientierten umweltökonomischen Zeitschriften schneiden hingegen besonders schlecht ab.

Und nun das Herzstück meiner Analyse: mithilfe des Software-Tools VOSviewer kann man verschiedenste auf bibliometrischen Daten basierende grafische Analysen durchführen. Ich habe mich dabei auf eine sehr einfache Analyse beschränkt: die gegenseitigen Zitationen der 8760 zwischen 2008 und 2018 erschienen Publikationen in den 10 Zeitschriften. Das Ergebnis sieht man hier:

agrienvecon
Zitationsanalyse von wichtigsten agrar- (rot) und umweltökonomischen Zeitschriften (grün). Bild in voller Auflösung hier.

Das Bild deckt sich weitgehend mit der Keyword-Analyse oben. VOSviewer hat korrekterweise zwei große Cluster identifiziert: die roten agrarökonomischen und die grünen umweltökonomischen Zeitschriften (man beachte: die Cluster sind ausschließlich das Resultat einer Zitationsanalyse). Innerhalb der beiden Cluster sind die Verknüpfungen stark, zwischen ihnen schwächer. Als Bindeglieder dienen, ebenfalls nicht überraschend, vor allem das Australian Journal of Agricultural and Resource Economics sowie das explizit interdisziplinäre und daher nach außen sehr offene Ecological Economics. Die durch die dicke der Verbindungslinien dargestellte relative Anzahl von Zitationen schwankt sehr deutlich:1 von 1038 zwischen Ecological Economics und Environmental and Resource Economics bis 17 zwischen Food Policy und JEEM sowie 16 zwischen JEEM und Agricultural Economics. Der stärkste interdisziplinäre Link (wenn wir das australische Journal ignorieren) besteht zwischen Ecological Economics und dem American Journal of Agricultural Economics (278); wenn wir das extrem artikelreiche EE ebenfalls ignorieren, findet sich der stärkste Link zwischen dem American Journal of Agricultural Economics und Land Economics (173). Insgesamt sind die Verknüpfungen innerhalb der Cluster jedoch deutlich stärker als zwischen den Clustern (was nicht überraschen sollte).

Was folgt aus alledem? Da die Analyse hier nur qualitativ und eher semiprofessionell ist, kann man ihre Ergebnisse unterschiedlich interpretieren. Einerseits: es gibt durchaus Verknüpfungen zwischen umweltökonomischer und agrarökonomischer Forschung; davon zeugen sowohl Zitationsmuster als auch die durch Titel/Abstract/Keywords suggerierten Themen von Publikationen. Andererseits: wenn man bedenkt, wie vielfältig die Verknüpfungen zwischen Landwirtschaft und Umwelt in der realen Welt sind, wie viele Umweltexternalitäten ihren Ursprung in Nahrungsmittelproduktion haben, würde man sich vielleicht etwas mehr Verknüpfungen auch in der betreffenden ökonomischen Forschung wünschen. Aber darüber werde ich bald im zweiten Teil von „Agrar- und Umweltökonomen aller Länder, vereinigt euch!“ ein paar Worte verlieren.

Die hier angebotene Analyse ist natürlich nur ein erster Schritt. Weitere interessante, aber unbeantwortete Fragen wären bspw., inwiefern umweltökonomische und agrarökonomische Forschung sich methodisch unterscheiden; welche Themen es sind, die die beiden verbinden (aus meiner Erfahrung kann ich bereits eine Teilantwort liefern: Analyse von Agrarumweltmaßnahmen); wie die Zusammenarbeit jenseits von Zitationen aussieht, z. B. bezüglich gemeinsamer Projekte und Kollaborationen zwischen Umwelt- und Agrarökonom*innen; wie es mit Querbezügen in der Lehre aussieht. Fest steht für mich: da ist noch Luft nach oben.

[P.S. Ein paar zusätzliche, ergänzende Grafiken findet man hier.]

Fußnoten

  1. Man beachte, dass das Tool keine Möglichkeit bietet, festzustellen, wer hier wen zitiert. Implizit nehme ich an, dass die Zitationsmuster ausgewogen sind; in Wirklichkeit vermute ich, dass es teilweise einseitige Zitationsmuster geben dürfte, vor allem im Fall von Ecological Economics.

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