Wie ein Freund von mir kürzlich treffend beobachtet hat: selbst bei eigentlich tiefgründigen und klugen Analysen der Probleme heutiger Gesellschaft stößt man allzu häufig in dem jeweiligen Schlussfolgerungen-Kapitel auf die etwas plumpe Forderung, man solle ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen, dieses werde die Probleme schon richten (konkret meinte er den deutschen Soziologen Hartmut Rosa). Generell scheint das bedingungslose Grundeinkommen gerade ein vorher nicht gesehenes Popularitätshoch zu erleben, sogar Konzernmanager sprechen sich dafür aus. Doch ist bedingungsloses Grundeinkommen wirklich eine gute Lösung für irgendwas?
Zunächst einmal: viele Probleme, die das bedingungslose Grundeinkommen vermeintlich lösen soll bzw. zu deren Lösung es zumindest beitragen soll, sind real und ernst zu nehmen. An der Problemanalyse hapert es üblicherweise nicht (so sehr). Ja, wir leben in einer sehr „schnellen“ Welt und, um Rosa beizupflichten, etwas Entschleunigung würde nicht schaden. Der ständige Leistungsdruck, dem wir unterliegen, hat viele negative Auswirkungen, von Depressionen und Stress über abstraktere (aber nichtsdestotrotz mitunter verheerende) Effekte wie positionaler Wettbewerb und Effizienzkonsum. Viele Menschen verdienen trotz Mindestlohn so wenig, dass es nicht wirklich zu aktiver gesellschaftlicher Teilhabe ausreicht. Die Ursache liegt in vielen Fällen jenseits der „Gestaltungsmöglichkeiten“ der betreffenden Personen – im sozialen Milieu, in das man hineingeboren wurde, oder in den genetischen Veranlagungen. Das prekarisierende Lohnniveau in vielen Bereichen interagiert auf eine verheerende Art und Weise mit dem nächsten Problem, nämlich wie in der deutschen „Leistungsgesellschaft“ Leistung definiert wird – sehr eng und üblicherweise auf in monetären Einheiten gemessene Erwerbsarbeit verkürzt (da fühlt man sich nahezu erschlagen davon, wie „leistungsfähig“ ein Herr Winterkorn offenbar ist…). Soziales Engagement beispielsweise wird da eher als Freizeitgestaltung betrachtet – und selbst bei vielen für die Gesellschaft essentiellen Berufen wird die „Leistung“ der betreffenden Menschen, bspw. der Krankenpfleger*innen, Erzieher*innen nicht ausreichend gewürdigt und entlohnt (gleichzeitig wundert man sich über den Fachkräftemangel in diesen Bereichen…). Diese Liste ließe sich problemlos fortsetzen, doch wie bereits gesagt: an der Problemanalyse hapert es weniger. Meine Frage für heute ist vielmehr, ob bedingungsloses Grundeinkommen, das hier oft als Lösung gepriesen wird, tatsächlich eine ist. Ich möchte dies anzweifeln.
Ich möchte anzweifeln, dass bedingungsloses Grundeinkommen eine gute Idee ist, ohne allerdings den Anspruch auf ein definitives Urteil zu erheben – dazu bin ich mit diesem Thema nicht vertraut genug. Was folgt, sind lediglich ein paar Überlegungen, die mir im Laufe der letzten paar Jahre zu diesem Thema eingefallen sind.
Ganz grundsätzlich störe ich mich bereits an der Grundprämisse des bedingungslosen Grundeinkommens, nämlich an dem Wörtchen „bedingungslos“. Zwar tendiere ich dazu, die Idee zu befürworten, Menschen bedingungslos nicht verhungern zu lassen, d. h. ihnen ein nicht an Bedinungen geknüpftes Existenzminimum zuzugestehen, das der Staat im Sinne der elementaren Daseinsvorsorge liefern muss. Doch um ein Existenzminimum, um das blanke Überleben, geht es in den meisten Entwürfen eines bedingungslosen Grundeinkommens nicht. Diese Ideen gehen darüber hinaus – ihnen geht es meistens um die Sicherung eines Einkommensniveaus, das gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Hier endet meine Bereitschaft, Bedingungslosigkeit zu akzeptieren, und zwar aus ethischen Gründen. Wenn wir nämlich vom Existenzminimum absehen, ist Reziprozität die moralische Grundlage zwischenmenschlicher Beziehungen – nicht unbedingt die Sheldon Cooper’sche 1:1-Reziprozität (die übrigens auch in Japan praktiziert wird), aber eine grundsätzliche Bereitschaft nicht nur zu nehmen, sondern auch zu geben, ist unumgänglich. Bezogen auf das bedingungslose Grundeinkommen: wer von der Gesellschaft eine Leistung haben möchte (hier: ein Grundeinkommen), sollte bereit sein, eine Gegenleistung zu erbringen. Dabei möchte ich „Gegenleistung“, wie bereits oben angemerkt, nicht (nur) im engen Sinne von Erwerbsarbeit verstanden sehen. Auch künstlerische Arbeit (sofern man nicht der Einzige ist, der sie für Kunst hält – denn was Kunst ist, wird definiert durch die Wahrnehmung des Betrachters, nicht des vermeintlichen Künstlers) oder soziales Engagement jenseits von Erwerbsarbeit kann durchaus eine wichtige Gegenleistung sein. Doch die Bedingungslosigkeit des bedingungslosen Grundeinkommens untergräbt genau diese Reziprozitätsidee. Ich muss dann eben nichts gegenleisten. Ich kann mich für immer in die Wälder verziehen und nur mein monatliches Grundeinkommen einkassieren. Für diese abstrakt-ethische Überlegung ist es erstmal unerheblich, ob es Menschen gibt, die dies tatsächlich tun würden. Zum Pragmatischen kommen wir gleich. Hier geht es erst einmal ums Prinzip: das bedinungslose Grundeinkommen verletzt das Prinzip der Reziprozität.
Doch das ist nicht alles. Denn nicht nur verletzt ein bedingungsloses Grundeinkommen das Prinzip der Reziprozität, es schafft auch problematische Anreize. Vorerst mögen Menschen geneigt zu sein, eine Gegenleistung zu erbringen (dazu gleich), aber es ist nicht auszuschließen, dass diese Neigung in der Zukunft abnehmen wird – wenn wir uns nämlich an die Bedingungslosigkeit gewöhnt haben, sie als selbstverständlich betrachten (ein Bekannter hat hierzu zutreffend bemerkt, dass solche Einschätzungen das Resultat eines spezifischen Menschenbildes sind – ja, ich bezeichne mich selbst als einen humanistischen Misanthropen und bin dem Menschen gegenüber eher skeptisch eingestellt; doch hier geht es mir erstmal um eine prinzipielle Möglichkeit eines falschen Anreizes und um ein Vorsichtsprinzip – wenn wir ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen wollen, sollten wir uns zumindest im Klaren sein, dass die Gefahr problematischer Anreizwirkung besteht, selbst wenn man sie für eher gering hält).
Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, den Pragmatismus-Punkt einzuwenden: es mag ja sein, dass ich sogar Recht habe mit meinen Prinzipienargumenten. Aber es ist bekanntlich kaum möglich, ein konsistentes moralisches System praktisch anzuwenden – hier und da muss man Abweichungen und Kompromisse in Kauf nehmen, vielleicht sogar nach dem Prinzip des „kleineren Übels“ handeln. Man muss – eben – pragmatisch sein. Und auch wenn ich nicht sicher bin, ob die von mir oben angesprochenen prinzipiellen Probleme vernachlässigbar genug sind, um einfach ignoriert werden zu können – lasst uns zum Pragmatismus übergehen.
Die meisten der Punkte, auf die ich unter der Überschrift „pragmatische Erwägungen“ nun eingehen werde, habe ich bereits einmal zusammengeschrieben, damals noch auf der englischsprachigen Version dieses Blogs (hier). Nun also eine aktualisierte und teils überarbeitete/überdachte Fassung.
Die wahrscheinlich grundlegendste pragmatische Frage, die das Grundeinkommen betrifft, ist: lässt es sich überhaupt finanzieren? An dieser hängt eine Unzahl an Unterfragen, und auch wenn manchmal so getan wird, als ob sie einfach zu beantworten wäre, ist dies mitnichten der Fall. Der natürliche Ausgangspunkt der Überlegungen, ob ein bedingungsloses Grundeinkommen finanzierbar ist, ist ein Blick auf die staatlichen Sozialausgaben, denn üblicherweise wird unterstellt, dass das Grundeinkommen alle oder fast alle Sozialleistungen ersetzen würde. Diese Mittel würden also frei. Daher, zwecks Orientierung bezüglich der Größenordnung: in Deutschland wurden laut dem Statistischen Bundesamt 2015 für die Allgemeine Rentenversicherung 140,5 Milliarden € ausgegeben, 15,8 Milliarden flossen in die Bundesagentur für Arbeit, 15,3 Milliarden in die Pflegeversicherung (wobei ich bei Letzterer nicht sicher bin, ob sie wirklich bei Einführung eines Grundeinkommens wegfallen würde – genauso übrigens wie die gesetzliche Krankenversicherung [112,3 Milliarden € im betrachteten Zeitraum]). Grob überschlagen also 170 Milliarden €, ca. 2000 € pro Kopf. Pro Jahr. Recht wenig also. Übrigens ist es unklar, was mit den vielen Menschen passieren soll, die bisher im staatlichen Sozialwesen gearbeitet haben, die man plötzlich nicht mehr brauchen würde.
Allerdings könnte man argumentieren – und dies wird auch oft getan –, dass auch andere Teile des öffentlichen Haushalts für die Finanzierung des Grundeinkommens herhalten könnten, ein plausibles Argument. Der verlinkte Artikel z. B. zeigt, dass eine umfassende Steuerreform erlauben würde, ein bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland zu finanzieren. Unter der Annahme, dass die darin erfolgten Berechnungen stimmen und zumindest prima facie Sinn machen, möchte ich auf eine Schwäche dieser und ähnlicher Rechnungen hinweisen: sie unterstellt eine unveränderte Steuerbasis, d. h., dass eine Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens auch mittel- bis langfristig keinen wesentlichen Einfluss auf den Umfang des in der gesamten Volkswirtschaften erwirtschafteten (und besteuerten) Einkommens haben würde.
Das ist eine gewagte Annahme. Wenn jedem durch das bedingungslose Grundeinkommen die basale Möglichkeit gegeben würde, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, ohne zu arbeiten – ist die Annahme wirklich gerechtfertigt, dass wir weiterhin ähnlich viel arbeiten würden, wie bisher? Ich meine damit nicht einmal meinen obigen „prinzipiellen“ Punkt, ob Einzelne nicht vielleicht völlig aufhören würden, zu arbeiten – aber ich wage die Hypothese, dass wir im Durchschnitt (deutlich) weniger arbeiten würden. Insbesondere die von uns, die weniger angenehme Jobs haben (auf die wir gleich zu sprechen kommen). Damit würden die staatlichen Einnahmen ebenfalls sinken und die Finanzierbarkeit des Grundeinkommens ins Schwanken geraten. Doch auch die Möglichkeit sollte in Betracht gezogen werden, dass Vertreter bestimmter Menschengruppen/Milieus vorerst auf Arbeit verzichten würden, wenn sie die Möglichkeit hätten. Diese Konstatierung ist nicht nur das Resultat eines tendenziell skeptischen Menschenbildes (siehe oben), sondern auch vielfältiger Berichte insbesondere in der soziologischen Literatur. Ein prägnantes, aktuell viel diskutiertes Beispiel ist in Didier Eribons Buch Rückkehr nach Reims, in dem er u. a. zeigt, wie weit die Realität der französischen Arbeiterklasse (der er entstammt und der er sich als junger Mann abgewandt hat) von den Idealen linker Intellektueller leider entfernt ist. Man könnte natürlich berechtigterweise einwenden, dass dieses Problem das Resultat sozialer Verhältnisse ist, dass die gelegentliche Abscheu gegenüber Arbeit und Bildung nicht in der „Natur“ der sozialen „Unterschichten“ liegt. Das ist vermutlich wahr. Doch man sollte sich nicht der Illusion hingeben, dass die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens eine solche Zäsur darstellen würde, dass die damit beglückte Bevölkerung plötzlich einer tabula rasa gleichen würde. Nein, die Menschen hier und jetzt, mit ihren durch soziale Verhältnisse vorgeprägten Mentalitäten und Einstellungen, sind das „Material“, mit dem man arbeiten muss. Falls meine Hypothese, dass viele Menschen heutzutage für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (noch) nicht soweit sind, zutrifft, müsste man dieses Problem zumindest zuerst lösen, bevor man das Grundeinkommen einführt. Ob es dann noch seine Daseinsberechtigung hätte, steht auf einem anderen Blatt geschrieben (dazu gegen Ende dieses Beitrags).
Ein verwandtes Problem betrifft die oben erwähnten „unangenehmen“ Jobs. Ich gehe davon aus, übrigens entgegen der standardökonomischen Annahme von disutility of labour, dass die meisten Menschen Arbeit grundsätzlich als etwas Wichtiges und Sinnstiftendes betrachten. Grundsätzlich. Bezogen auf bestimmte Jobs eher weniger. Putzkraft wäre ein Beispiel. Busfahrer ebenfalls. Callcenter-Mitarbeiter. Es gibt sicherlich Menschen, die solche Jobs gern machen – oder zumindest lieber, als gar nicht zu arbeiten (unabhängig von der Einkommenserzielung). Ob es von ihnen genug gibt, damit die entsprechenden Arbeiten, die ja zwar unangenehm sind, aber oft notwendig, nach Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens in ausreichendem Umfang geleistet werden, darf bezweifelt werden.
Finnland versucht übrigens gerade zumindest Teilantworten auf diese Frage zu finden. Dort wird gerade ein Experiment durchgeführt: 2000 zufällig ausgewählte Arbeitslose bekommen 560 € im Monat. Die Frage ist: was tun sie damit? Lehnen sie sich zurück? Suchen sie weiterhin nach einer Arbeit? In welchem Umfang? Dieses Experiment kann wichtige Teilantworten auf die pragmatischen Fragen bezüglich der Umsetzbarkeit des bedingungslosen Grundeinkommens liefern. Allerdings werden es bestenfalls nur Teilantworten. Denn erstens ist es immer mit Unsicherheiten verbunden, kleinskalige „Realexperimente“ auf soziale Gesamtsysteme zu übertragen – was im Kleinen, während die Umgebung weiterhin wie bisher macht, funktionieren oder nicht funktionieren mag, kann im Großen, bei Anwendung aufs Gesamtsystem plötzlich nicht mehr oder eben doch funktionieren. Des Weiteren könnte man einwenden, dass das Wissen darum, dass sie „Versuchskaninchen“ sind, die Teilnehmer des Experiments in ihrem Verhalten beeinflusst – in welche Richtung, sei an dieser Stelle dahingestellt. Wichtig ist, dass ein solcher Effekt psychologisch plausibel ist und die Ergebnisse des Experiments potenziell verzerrt.
Eine in der heutigen globalisierten Welt wichtige Frage lautet: kann ein einzelnes Land überhaupt unilateral ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen? Selbst wenn man meine Zweifel bezüglich der Finanzierbarkeit eines solchen Systems nicht teilt, kann man kaum leugnen, dass seine Einführung zu tiefgreifenden Veränderungen in der wirtschaftlichen, insbesondere Arbeitsmarkt-Struktur des betreffenden Landes führen würde. Welche Auswirkungen hätte das insbesondere auf die Firmen und Branchen, die auf dem internationalen Markt aktiv sind – und wenn auch nur dahingehend, als sie dort potenzielle Konkurrenten haben? Würde ein bedingungsloses Grundeinkommen die Wettbewerbsfähigkeit von „heimischen“ Unternehmen im globalen Markt negativ beeinflussen? Falls ja, könnte dies im Endeffekt dazu führen, dass es in der hiesigen Wirtschaftsleistung Einbrüche geben würde, die die Finanzierbarkeit des Systems zusätzlich gefährden würden.
Oder verhält es sich vielleicht genau anders herum? Um mit dem Autors eines aktuellen Kommentars in der Süddeutschen zu fragen:
Heißt Grundeinkommen letztlich nicht schlicht, dass sich die Wirtschaft jeder Verantwortung gegenüber den Erwerbsfähigen entledigt? Was ist mit denen, die sich nicht mit dem Grundeinkommen abfinden möchten, aber keine Arbeit finden, weil sie weniger qualifiziert, weniger produktiv, behindert oder älter sind? Rufen wir ihnen zu: Ihr gehört leider zum überschüssigen Arbeitsangebot, aber da ihr auf der Welt seid, lassen wir euch nicht verhungern. Ist das die humane Idee hinter dem Grundeinkommen?
Aus Sicht der ökonomischen Theorie ist es übrigens überhaupt nicht klar, welche Auswirkungen ein bedinungsloses Grundeinkommen auf den Arbeitsmarkt hätte. Auf der einen Seite würden die Kosten des Produktionsfaktors Arbeit vermutlich sinken – erstens, weil viele im Bruttolohn direkt enthaltenen Sozialabgaben aus Sicht der Unternehmen wegfallen würden (diese würden ggf. von erhöhten Steuern ersetzt, allerdings wären diese nicht mehr eindeutig dem Produktionsfaktor Arbeit zuzurechnen); zweitens, falls mit der Einführung des Grundeinkommens der Mindestlohn wegfallen würde. Das würde bedeuten, dass Unternehmen nun dazu tendieren würden, mehr Arbeitskräfte einzusetzen, weil sie relativ zu anderen Produktionsfaktoren (insb. Maschinen) günstiger würden. Auf der anderen Seite jedoch haben wir das Problem (aus Sicht der Unternehmen), dass „unangenehme“ Arbeiten sehr unattraktiv würden – zumindest unter dem Gesichtspunkt der Einkommenserzielung wäre keiner mehr auf sie angewiesen. Um die für diese Arbeiten nötigen Arbeitskräfte anzulocken, müssten die Unternehmen sie also höher entlohnen – ein entgegengesetzter Effekt zu dem eingangs behaupteten. Wie die Nettowirkung des Grundeinkommens sich in diesem Kontext entfalten würde, hängt, abgesehen von der konkreten Ausgestaltung dieses Instruments, davon ab, welcher Anteil von Jobs nur deswegen ausgeübt wird, weil die betreffenden Menschen sonst gar keine Arbeit und daher kein Einkommen hätten; wie leicht solche Jobs zum Beispiel durch Maschineneinsatz substituierbar sind; sowie wie wichtig es Menschen ist, einen Job zu haben, unabhängig von der Funktion der Einkommenserzielung, also als sinnstiftender Faktor.
Ich denke, die oben angeführten Argumente reichen aus, um zu verdeutlichen, warum ich der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens skeptisch gegenüber stehe. Und all diese Argumente führen mich zu deren Quintessenz: ich glaube nicht, dass das bedingungslose Grundeinkommen das ihm von den Befürwortern zugeschriebenes Problemlösungspotenzial hat. Denn es geht eigentlich nicht die Grundübel der modernen Gesellschaft an, oder es geht sie falsch an. (Und ein ökonomisches Argument oben drauf, die sogenannte Tinbergen-Regel: es ist ineffizient und oft auch ineffektiv, ein einzelnes politisches Instrument zur Lösung mehrer Probleme einzusetzen.) Die eigentlichen Probleme sind ein extrem verkürztes und enges Verständnis davon, was Leistung (im gesellschaftlichen Kontext) konstituiert; die Perpetuierung schwer überwindlicher sozialer Barrieren zwischen verschiedenen Bevölkerungsschichten (insbesondere im Bildungssystem); die wachsende Komplexität der modernen Wirtschaft und Gesellschaft, mit der viele nicht mithalten können; etc. etc. Ich weiß nicht, wie diese Probleme gelöst werden können. Hier und da habe ich eine Idee, daher dieser Blog (unter anderem). Aber ich glaube kaum, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen zu der Lösung dieser Probleme wesentlich beitragen kann.
Eine mittel- und langfristig potentiell wichtige Motivation für ein bedingungsloses Grundeinkommen sprichst du nur kurz an: Subsitution von Arbeit durch Maschinen, technologischer Fortschritt, zunehmende Automatisierung. Das wäre dann tatsächlicher weniger die emanzipatorische Idee vom glücklichen, befreiten Leben, wo die Menschen vormittags Räder reparieren, nachmittags den Kiez aufhübschen und abends Nabokov lesen – sondern eher ein nüchterner Umgang mit den sozialen Folgen des Wegfall von Arbeitsplätzen (autonom fahrende Busse, Müllabfuhr etc.), wie es ähnlich auch in dem SZ-Zitat zum Ausdruck kommt.
Gerade vor dem Hintergrund von technolg. Fortschritt und Automatisierung finde ich aber folgendes Argument vom Grundeinkommens-Verfechter Götz Werner doch recht interessant (ich paraphrasiere):
Prinzipiell kann Arbeit auf drei Arten „erledigt“ werden:
1) man automatisiert sie
2) man bezahlt sie so hoch, dass die Leute in entsprechendem Umfang ihre Arbeitskraft anbieten
3) sie wird halt einfach nicht gemacht.
Nach einer hypothetischen Einführung eines bedingslosen Grundeinkommens gilt damit: Die Arbeiten, die nicht an Maschinen delegiert werden können (1), müssen entweder ausreichend entlohnt werden (2), oder aber, vielleicht zeigt sich 3), dass der Nutzen, den die Gesellschaft durch diese Arbeiten hatte, gar nicht so groß war, da niemand bereit ist, für ihre Erledigung hinreichend viel auf den Tisch zu liegen. Man denke etwa an die Beispiele Call-Center und Spargelstechen: meine Behauptung wäre, dass der ges. „Ärger/Schaden“, den Call-Center verursachen, in vielen Fällen größer ist, als ihr Nutzen. Entsprechend würden sie nur in einigen Fällen übrig bleiben, den Rest würde niemand vermissen. Was den Spargel anbelangt: Das Grundeinkommen würde die Konsumenten dann dazu zwingen, das Buckeln der ArbeiterInnen höher zu vergüten – oder es gibt halt keinen Spargel mehr… (von allen internationalen Effekten mal abgesehen).
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Danke für die Ergänzung. Diese Motivation habe ich unterschlagen, weil ich sie weniger dringend finde. Aber du hast Recht, sie könnte sich mittel- bis langfristig als sehr wichtig erweisen. Das ändert aber nichts an den ethischen, noch an den pragmatischen Bedenken, und um diese ging es mir primär.
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Übrigens überlegen und experimentieren nicht nur Finnland und die Schweiz (Zürich), sondern auch Indien: http://www.economist.com/news/finance-economics/21716025-india-taking-idea-universal-basic-income-seriously-if-not
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Auch in Kenia wird ein solches Experiment gerade gestartet. Abgesehen davon, was ich bereits oben über die Generalisierbarkeit kleinskaliger und vor allem auch zeitlich begrenzter Experimente dieser Art geschrieben habe, glaube ich, dass eine Limitation solcher Experimente darin besteht, dass sie kaum in der Lage sind, mögliche Veränderungen in der Struktur des Arbeitsmarktes, insbesondere Reaktionen der Arbeitgeber, zu simulieren. Was nicht bedeutet, dass sie nutzlos sind – allein die Einsicht (bei aller Vorsicht bei der Interpretation und Generalisierung), wie Menschen sich verhalten, wenn sie plötzlich ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten, ist interessant. Aber das sagt nur sehr bedingt etwas darüber aus, ob ein umfassendes Grundeinkommens-System auf gesamtgesellschaftlicher/volkswirtschaftlicher Ebene funktionieren würde.
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Hm, den Aspekt mit der Reziprozität kann ich nicht ganz nachvollziehen. Unser Umgang mit Arbeitsunfähigen (z.B. Behinderten) zeigt doch eigentlich, dass die ethischen Fundamente unserer Gesellschaft gerade nichts mit Reziprozität zu tun haben. Ist nicht gerade eine rein reziproke Gesellschaft potenziell frei von jeder Ethik? Empfinden wir nicht die Nazis als unmenschlich, die alle Menschen ermordeten, die nichts zum Volkseinkommen beitrugen sondern nur „Kosten verursachten“? Seit wann ist die Würde des Menschen nur unantastbar, wenn er etwas für die Gesellschaft leistet? Reziprokes Verhalten mag eine Grundlage für das Funktionieren von Gesellschaften sein – in deinen Worten „unumgänglich“ – aber das ist gerade kein ethisches Argument. Natürlich wird es oft als unmoralisch empfunden, wenn jemand nur nimmt ohne zu geben. Aber eine Moralvorstellung ist noch keine gut begründete Ethik. Ist nicht Reziprozität lediglich Zweckrationalität im Schafspelz der Moral?
Auch bei dem Aspekt der Sinnstiftung der Arbeit bin ich mir nicht sicher. Es fällt mir nicht schwer mir vorzustellen, dass Menschen andere – vielleicht sogar effektivere? – Quellen der Sinnstiftung finden. Z.B. anderen Menschen unentgeltlich helfen. Mich würde es nicht verwundern, wenn das Sinnstiftende der Arbeit lediglich eine kulturelle Prägung bzw. eine Kulturtechnik ist, die uns dabei hilft, die disutility der Arbeit etwas zu verringern. Letztlich resultiert das Sinnstiftende der Arbeit doch vermutlich aus der Tatsache, dass man etwas tut, ggf. dass man etwas für andere tut und dass man soziale Kontakte hat – nichts davon ist zwingend mit Erwerbsarbeit verbunden.
Ansonsten teile ich deine Skepsis dahingehend, dass – wie Götz Werner es immer behauptet – die Leute auch im Falle eines Grundeinkommens alle weiterarbeiten, sich die Finanzierungsbasis also nicht verändert. Selbst wenn das innerhalb der aktuellen Generation so sein sollte (was ich bezweifle), spätestens die nächste oder übernächste würde sich schon drei Mal fragen, warum sie irgendwem hinterherputzen sollte anstatt lieber in der Sonne zu liegen. Warum sonst verbindet Hartz IV „fördern“ mit „fordern“?
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Kurze Anmerkung zum ersten Punkt: wie üblich in der Ethik setzt „müssen“ bzw. „sollen“ „können“ voraus, weswegen die Forderung nach Reziprozität sich nicht auf z. B. Schwerbehinderte erstreckt, die objektiv nicht können. Du scheinst mir auch den Begriff der Würde auch etwas zu überdehnen, wenn auch nur implizit, indem du mehr oder weniger umfassende soziale Teilhabe darunter subsumierst.
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Auch das BVerfG sieht soziale Teilhabe als Teil der Menschenwürde:
„Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums […] sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind“ (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2010/02/ls20100209_1bvl000109.html)
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Auch das BVerfG kann sich irren 😉
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Eine ernsthaftere Ergänzung: man könnte es so interpretieren, dass „gesellschaftliche Teilhabe“ fast schon notwendigerweise ein „Geben“ impliziert, nicht nur reines „Nehmen“, und damit mit dem von mir angebrachten Prinzip der Reziprozität vereinbar ist. So würde ich jedenfalls das BVerfG-Urteil interpretieren – es geht in ihm primär darum, dass einer Person, die teilhaben will, dies nicht verwehrt wird. Beim bedingungslosen Grundeinkommen sprechen wir aber von der Bereitstellung von Ressourcen, die eine Teilhabe ermöglichen, ohne zu wissen, ob die Teilhabe von dem betreffenden Individuum überhaupt erwünscht ist… Ich bin, ehrlich gesagt, nicht sicher, ob ich mit der Hypothese, gesellschaftliche Teilhabe impliziere Gegenleistung, mein eigenes Argument nicht selbst abschieße. Ich glaube allerdings, dass dies nicht der Fall ist – es fällt mir lediglich auf, dass meine Formulierung oben ungünstig war, denn was ich ausschließen möchte, ist die Bereitstellung von Ressourcen, die zur gesellschaftlichen Teilhabe notwendig wären, auf die Gefahr hin, dass diese überhaupt nicht dazu eingesetzt werden (sondern bspw. ausschließlich für individuellen Konsum).
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Repostet von Facebook (Kommentar von Daniel mitsamt meiner Antwort):
Die Konsumnachfrage, die ein Mensch generiert, als seine Leistung an die Gesellschaft zu interpretieren, ist sogar mir zu „ökonomisch“ 😉 In einer Welt, in der keiner arbeiten muss, generiert Nachfrage nach Konsumgütern übrigens noch lange kein Angebot, denn die Unternehmen müssen erstmal jemanden finden, der diese Güter herstellt. Zu der Tätigkeit als Erfüllung: mag sein, muss nicht, außerdem lässt sich durch lauter Hobby Gärtner und Schreiner (oder gar Briefmarkensammler), die keiner Arbeit nachgehen, ein Grundeinkommen kaum finanzieren. Um es zugespitzt zu formulieren.
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[…] https://skeptischeoekonomie.wordpress.com/2017/02/16/nun-sag-wie-hast-dus-mit-dem-bedingungslosen-gr… […]
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Was sind die Nachteile des bedingungslosen Grundeinkommens, in der Form, wie Sie es vorschlagen? Das Grundeinkommen ist fur Menschen mit einschneidenden Behinderungen wohl zu tief. Diesen Einzelfallen muss man zusatzliche Mittel geben. Das hat den Nachteil, dass dann viele eine Einzelfallbehandlung fordern und es schwierig wird, eine faire Grenze zu ziehen, wie weit Behinderungen finanziell zu berucksichtigen sind.
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