BIOECON 2016: Bevölkerungswachstum und natürliche Ressourcen

Eine der schönen Sachen am Wissenschaftler-Dasein sind die Konferenzen (obgleich sie natürlich eine gerade für Umweltforscher unangenehme Kehrseite haben – man muss zu ihnen allzu oft fliegen). Einer der Gründe dafür ist, dass man sich Vorträge von klugen Menschen anhören kann – und nebenbei erstaunt erfahren, dass auch die besonders angesehenen unter ihnen in aller Regel normale Menschen sind. Gerade war ich auf einer solchen Konferenz, der BIOECON 2016 in Cambridge. Es gab dort zwei Keynote Speeches, die beide eine Zusammenfassung verdienen. Zunächst: Partha Dasgupta und „reproduktive Externalitäten“.

Aufmerksamen Lesern dieses Blogs wird aufgefallen sein, dass Partha Dasgupta zum engeren Kreis der Ökonomen gehört, die ich besonders schätze und die besonders starken Einfluss auf mein Denken hatten. Seine Beiträge zu Wohlstandsmessung, intertemporaler Diskontierung, distributiver Gerechtigkeit, umweltökonomischer Gesamtrechnung oder dem Umwelt-Armut-Nexus sind allesamt maßgeblich und sehr interessant.

In seiner Keynote Speech in Cambridge (wo er Professor Emeritus ist) sprach Dasgupta über den Zusammenhang zwischen Umweltnutzung und Bevölkerungswachstum. Das Thema ist an sich nicht neu – wie ich in einem der ersten Beiträge dieses Blogs geschrieben habe, wurde die Debatte lange Zeit vom Konflikt zwischen den ultrapessimistischen Neomalthusianern (insbesondere Paul Ehrlich, mit dem Dasgupta kürzlich ein Science-Paper veröffentlichte) und den ultraoptimistischen Cornucopians (Cornucopia = Schlaraffenland; hier ist besonders Julian Simon hervozuheben) bestimmt. Inzwischen ist man sich zumindest bei den Vereinten Nationen recht einig, dass Bevölkerungswachstum zwar ein Problem sei, man aber dennoch nicht zu den radikalen Vorschlägen von Ehrlich & Co. (z. B. handelbare Reproduktionsrechte) greifen dürfe. Bildung, insbesondere von Frauen, sowie Zugang zu Verhütungsmittel sind de facto die einzigen Ansätze, die unkontrovers genug sind, dass man sie politisch-korrekt empfehlen kann, um das Bevölkerungswachstum gerade in Afrika einzudämmen (Prognosen zufolge wird sich die Bevölkerung dieses relativ armen Kontinents bis 2100 vervierfachen auf ca. 4 Mrd. Menschen).

Ich vermute, für nicht-Ökonomen wäre der Vortrag von Dasgupta schwer zu verdauen. Nicht weil seine Vorschläge besonders radikal wären; sie gehen zwar etwas über die derzeitige UN-Rhetorik hinaus, sind aber weit von Neomalthusianismus entfernt. Das Problem war eher die Sprache, die er wählte. Es war die Sprache eines Ökonomen, der bspw. Kinder ein Kapitalgut nennt. Genau wegen dieser Sprache wird Ökonomen oft Imperialismus vorgeworfen (passenderweise erwähnte Dasgupta in diesem Kontext Gary Becker, den ökonomischen Imperialisten par excellence – teils lobend, teils kritisch). Sie kann aber in vielen Fällen durchaus erleuchtend sein. In diesem Fall stand das Konzept der reproduktiven Externalitäten im Kern.

Reproduktive Externalitäten sind mit der Fortpflanzung verbundene Effekte menschlicher Entscheidungen, die zu Druck auf natürliche Ressourcen führen. Drei Typen solcher Externalitäten schlug Dasgupta vor: (i) socially embedded preferences (sozial geformte Präferenzen), d. h. die Orientierung an Mitmenschen (Nachbarn, Mitglieder derselben sozialen Schicht etc.) in Sachen Reproduktion. Wenn alle in meiner Umgebung 4 Kinder haben, dann komme ich mir blöd vor, wenn ich nur 2 habe. Derartige kulturell bestimmte Muster können sehr mächtig sein. Als krasses Beispiel nannte Dasgupta Niger, wo die durchschnittliche Anzahl der Kinder pro Frau ca. 7 beträgt, die durchschnittliche Wunschzahl hingegen 9 [sic!]. (ii) Kinder als Kapitalsubstitut: dieses Phänomen ist recht gut erforscht und allgemein bekannt. Kinder in armen Gesellschaften sind willkommene Arbeitskräfte. Sie können verschiedene Kapitalgüter substituieren, die dort Mangelware sind, wie bspw. Versicherungen, Elektrizität, z. T. Maschinen. (iii) Die Verteilung der Kindererziehung auf größere Netzwerke (fosterage): in vielen Gesellschaften insbesondere Afrikas ist es üblich, dass die Kinder mitunter mehrere Jahre bei Verwandten verbringen, anstatt bei ihren Eltern. Dieses Phänomen, das als eine Art Diversifizierungsstrategie oder auch Konsumglättung angesehen werden kann (man verteilt sich die Freuden des Kindererziehens über einen längeren Lebensabschnitt), verringert die subjektiven Kosten der Kindererziehung und ist dadurch ein Anreiz, mehr Kinder zu bekommen.

Ich bin mir nicht sicher, ob Dasguptas Nomenklatur wirklich Sinn macht, denn was er beschreibt, sind eher keine Externalitäten im üblichen Sinne – die Externalitäten sind die negativen Auswirkungen des Bevölkerungswachstums auf natürliche Ressourcen. Die oben beschriebenen Phänomene sind vielmehr Anreizstrukturen, die zu solchen Externalitäten führen. Wie dem auch sei, die von Dasgupta aufgemachte Perspektive erlaubt interessante Schlussfolgerungen.

Die Orientierung an der peer group („keeping up with the Joneses“) ist eine Art soziales Dilemma – es kann gut sein, dass es mehrere stabile Gleichgewichte gibt bezüglich der durchschnittlichen Anzahl der Kinder. Zum Beispiel könnte es sein, dass in einer Gesellschaft, in der derzeit 6 Kinder als „normal“ gelten, 2 Kinder genauso normal sein könnten – vorausgesetzt, dies wäre plötzlich der Durchschnitt. Das Problem besteht in der Herbeiführung des Übergangs von einem gesellschaftlich suboptimalen Gleichgewicht zu einem optimalen. Doch da gibt es interessante Möglichkeiten. Eine wäre die Ausweitung der peer group, insbesondere über Medien (in manchen Ländern Südostasiens gibt es bereits jetzt populäre TV-Serien, die nebenbei bestimmte Verhaltensmuster forcieren, die der Entwicklung der Länder helfen sollen). Eine andere Option, die ebenfalls bereits gelegentlich umgesetzt wird, ist deliberative Aufklärung über Familienplanung in Gruppen, durch die die peer group gemeinsam beschließen kann, dass das derzeitige Gleichgewicht nicht wünschenswert ist und man kollektiv ein anderes anstreben möchte.

Wenn Kinder implizit als Kapitalsubstitut betrachtet werden, ist der Lösungsansatz zumindest in Theorie relativ trivial – anstatt Kinderarbeit zu verbieten (was in besonders armen Gesellschaften entweder nicht durchsetzbar wäre oder einem Hungertodesurteil für die betreffenden Familien gleichkäme), sollte man versuchen, Infrastrukturen zu schaffen, die den Bedarf an kindlicher Arbeitskraft verringert – von Mikrokrediten über Versicherungen bis hin zu Solarpanelen und Brunnen.

Etwas unklar ist es, ob und wie man mit dem durch fosterage verbundenen Problem umgehen sollte. Es wäre absurd und eine unzulässige Intrusion in die persönliche Freiheit der Betroffenen, wenn man Eltern verbieten würde, ihre Kinder zu Onkels, Großeltern etc. zu schicken (abgesehen davon, dass es kaum durchsetzbar wäre). Womöglich ist dies ein Effekt, mit dem man einfach leben muss. Er ist wahrscheinlich der schwächste der drei hier diskutierten, daher wäre es nicht unbedingt tragisch, wenn man ihn nicht beheben kann.

Die Kernbotschaft Dasguptas schien dabei zu sein, dass gerade in Entwicklungsländern der Zusammenhang zwischen Armut, Bevölkerungswachstum und der (Über-)Nutzung natürlicher Ressourcen ein vielschichtiger ist, ohne einfache, unidirektionale Kausalzusammenhänge. Gleichzeitig braucht man nicht zwangsläufig radikale Ansätze wie Ein-Kind-Politik, um der Lage Herr zu werden. Allerdings hilft es, wenn man bedenkt, dass Wirtschaftswachstum allein die Probleme nicht lösen kann.

P.S. Hier gibt es das Discussion Paper von Partha Dasgupta und seiner Tochter Aisha, auf dem der Vortrag basierte.

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