Die US-Amerikaner haben Donald Trump, Frankreich die Front National, die Niederlande Geert Wilders, die Briten UKIP und Deutschland hat die AfD. Um nur ein paar Beispiele zu nennen. Letztere wurde gerade in Mecklenburg-Vorpommern bereits zum zweiten Mal dieses Jahr zweitstärkste Kraft in einem Landtag. Nun macht man sich ans Interpretieren – was hat der Aufstieg rechter Parteien/Bewegungen im Allgemeinen und der AfD im Besonderen zu bedeuten? Welche Konsequenzen sind daraus zu ziehen? Ich habe keine umfassende eigene Interpretation zu bieten, allerdings finde ich einige auf der linken Seite des politischen Spektrums aufkommende Stimmen mindestens befremdlich.
Manche Linke (ich weiß zugegebenermaßen nicht, wie repräsentativ diese Sicht ist) räsonieren etwa wie folgt: der Erfolg der AfD sei vor allem Ausdruck der Unzufriedenheit mit dem Establishment, verkörpert durch die neoliberale CDU und das Scheitern insbesondere der SPD, die Vision eines „sozialen Projekts“ zu bieten. Im Übrigen seien die SPD und Grüne an der Misere schuld, weil ihre Sozialpolitik alles andere als sozial gewesen sei. Kurzum: eigentlich handelt es sich hier weniger um Rassismus und nationalistische Ressentiments, sondern vielmehr ums Protestwählen und um einen Ausdruck des bei großen Teilen der Gesellschaft vorhandenen Gefühls von Machtlosigkeit und Ausgrenzung. Implizit oder explizit wird daraus geschlussfolgert, dass die Lösung des Problems darin liege, ein überzeugendes soziales Projekt zu entwerfen und durchzuführen. Die AfD-Wähler wieder in die Gesellschaft zurückzuführen, sowohl sozial als auch ökonomisch.
Mit dieser Sicht auf die Dinge, sofern ich sie korrekt interpretiere, habe ich gleich mehrere Probleme. Das allererste, beinahe schon triviale Problem – wenn es wirklich um Protest gegen das „neoliberale“ Establishment geht, warum verlor dann die Linke so stark an Stimmen, sowohl in Sachsen-Anhalt als auch in Mecklenburg-Vorpommern? Und falls die Linke ebenfalls als gescheitert anzusehen ist, warum protestieren die Menschen nicht, indem sie ihre Stimmen der Protestpartei par excellence geben, Der Partei? Sondern stattdessen einer, die zwar ebenfalls durchaus eine Anti-Establishment-Partei ist und oft durchaus (wenn auch ungewollt) „lustig“ – aber gleichwohl antidemokratisch, antiliberal und rassistisch?
Mein Eindruck ist, dass man sich auf der linken Seite des politischen Spektrums die Sache zum Teil schönredet, obwohl durchaus von korrekten Tatsachen ausgehend. Ja, soziale Ausgrenzung, das Gefühl, von der Gesellschaft nicht wahrgenommen zu werden, nicht dazu zu gehören, obsolet zu sein und keinen Einfluss auf angeblich demokratische Entscheidungsfindung zu haben – all dies sind höchstwahrscheinlich wichtige Faktoren, die Menschen dazu verleiten, die AfD zu wählen (viele von diesen Menschen hatten wohl bisher gar nicht gewählt, genau aus diesen Gründen). Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass die meisten AfD-Wähler gleichzeitig islamo-, euro-, xeno-, homophob sind. Die Stimmen für die AfD sind nicht nur Stimmen gegen das Establishment, sondern mindestens genauso sehr Stimmen für eine bestimmte Vision – eine unglaublich rückwärtsgewandte, lebensfremde, ja schlicht feige und realitätsleugnende Vision.
Dies erinnert mich an eine Diskussion, die ich kürzlich erst mit einem Freund hatte darüber, wovon die AfD-Wähler (als Archetyp für ähnlich „tickende“ Bevölkerungsgruppen auch anderswo) in ihrer Ablehnung von Immigranten eigentlich getrieben werden – ist es vor allem die Angst davor, ihren Status zu verlieren (ihre Jobs, ihre Sozialleistungen etc.)? Oder ist es Rassismus (stricto sensu, d. h. die Überzeugung, Vertretern einer gewissen Gruppe grundlegend überlegen zu sein)? Teilweise würde ich meinem Freund Recht geben: in einem gewissen Sinne ist der rhetorische Rassismus (insbesondere die zahlreichen Verbotsdebatten über die Burka, Minarette etc.) eine post-hoc-Rationalisierung der Statusangst (German angst) – man befürchtet, etwas an Migranten zu verlieren, also rationalisiert man sich die Ablehnung eines wahrgenommenen Wettbewerbs mit ihnen, indem man sie degradiert: sie seien wilde, primitive Terroristen. Doch selbst wenn dies zutrifft, kann man diese beiden Aspekte – Statusangst und Rassismus – in der Praxis kaum trennen. Sie treten fast immer gemeinsam auf und verstärken sich gegenseitig. Auch von der Statusangst begründeter Rassismus bleibt Rassismus und hat seine Ursachen in einer Neigung zu bestimmten „Vereinfachungen“ im Weltbild, insbesondere zur Suche nach Sündenböcken.
Wenn all dies allerdings zutrifft, dann sind die Hoffnungen, es ließe sich schon alles richten mit einem überzeugenden sozialen Projekt, verfehlt. Denn das soziale Projekt, das vielen von der SPD, den Grünen, teilweise auch der Linkspartei enttäuschten Linken vorschwebt, ist nicht das soziale Projekt, dass die AfD-Wähler gern hätten. Es würde wahrscheinlich tatsächlich helfen, wenn man diese Menschen in die Gesellschaft „zurückholt“ – allerdings bezweifle ich, dass sie auf diese Art und Weise zurückgeholt werden möchten. Ihre Vision des Sozialen unterscheidet sich maßgeblich von der der Linken.
Des Weiteren sei an dieser Stelle eine grundsätzlichere Kritik an den linken Rufen nach einem „wahren“ sozialen Projekt, nach einem Sozialismus, der wenn nicht alle, dann zumindest viele der Probleme heutiger Gesellschaft lösen würde, erlaubt. Das Grundargument ist häufig: es ist doch genug da, man muss es nur gerecht verteilen. Doch wenn ich mir Menschen um mich herum ansehe – Menschen, die sich gegenseitig die Schuld an ihrer eigenen Misere zuschieben, die nicht fähig und nicht willens sind, sich eine (selbst-)kritische Meinung zu bilden, die in vielerlei Hinsicht unmündig sind –, dann kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir zwar tatsächlich theoretisch genug haben; dass es aber vielleicht keine gesellschaftlich stabile Verteilungslösung gibt, die wesentlich besser wäre als die derzeitige. (Es wird mir wohl entgegnet, dass diese Eigenschaften zum großen Teil ein Produkt des neoliberalen Kapitalismus sind; das glaube ich nicht.)
Was folgt aus all dem? Auf den ersten Blick wäre die logische Konsequenz vermutlich Fatalismus – wenn die AfD-Wähler sowieso nicht erreichbar sind, dann braucht man sich auch nicht den Arsch aufzureißen, die Gesellschaft doch irgendwie „sozialer“ zu machen. Das möchte ich jedoch nicht gesagt haben, aus zwei Gründen. Erstens, weil ich dennoch glaube, dass man mit sozialerer Politik die AfD im Speziellen und die von ihr repräsentierten Ressentiments im Allgemeinen zumindest schwächen kann. Und das wäre etwas durchaus Erstrebenswertes. Zweitens, weil ich mich mit meinem Pessimismus und meiner Misanthropie irren mag. Hoffentlich ist das so.
Warum ist die AfD so erfolgreich? Weil sie sich erfolgreich als Alternative stilisiert, auch wenn sie bei näherer Betrachtung nur die nächste, erzkonservative „Systempartei“ darstellt. Die Linke hat wohl teilweise recht mit ihrer Einschätzung, die AfD-Wähler sind tatsächlich unzufrieden mit dem Establishment. Diese Unzufriedenheit ist aber unmittelbar verknüpft mit Fremdenfeindlichkeit, bzw. Islamfeindlichkeit. AfD-Wähler (nicht nur die) haben das Gefühl, dass „die da oben“ nicht mehr im Sinne der Deutschen handeln. Die Silvester-Ereignisse in Köln waren da wohl noch mal ein einschneidender Anstoß. Sie haben das Gefühl, die Politiker handeln über ihre Köpfe hinweg, aber eben in einem bestimmten Sinne: Indem sie unkontrolliert Fremde, Muslime ins Land lassen und sich um die Deutschen nicht kümmern. Das ist mein Eindruck.
Sie wählen nicht die Linke, weil die Linke nicht ein Symbol gegen den Islam und gegen das Fremde ist, sondern im Gegenteil zumeist Fremdenfreundlichkeit wie die Grünen einfordert (mit Ausnahme einiger Äußerungen Wagenknechts). Außerdem ist die Linke eine etablierte Partei (wenn auch nie in der Bundesregierung gewesen), sie hat etwas Verstaubtes, Verbrauchtes an sich.
Die Darstellung der Mainstream-Presse tut ihr Übriges. Die Linke wird seit jeher als der linke, stets zerstrittene Spinner/Träumer dargestellt und die Leute glauben das, weil sie keinen Anlass haben, es nicht zu tun („Die sind ja eh viel zu mulltikulti“). Die negative Darstellung der AfD in den Medien dagegen bewirkt das Gegenteil: Die Leute sehen sich darin bestätigt, dass die AfD die einzige ernstzunehmende Alternative ist, weil sie dem Establishment offenbar nicht gefällt (denn die „Establishment-Medien“ berichten ja ausschließlich negativ). Und, da ständig über sie berichtet wird (kostenlose Werbung), lohnt es sich sogar wahrscheinlich sie zu wählen, da sie eine gute Chance hat, im Gegensatz zu anderen „alternativen“ Parteien. So der Gedankengang.
Übrigens halte ich die AfD nicht in einem engeren Sinne für eine „rassistische“ Partei, sondern für eine fremdenkritische bis -feindliche und islamkritische bis -feindliche, sehr konservative Partei. Sie steht für die Sehnsucht vieler Menschen nach dem „echten Deutschland“, nach dem Vertrauten, der „eigenen Kultur“ (die ach so christlich ist, aber an Weihnachten ist es ja immer gemütlich und es gibt Braten und Geschenke). Die Leute wählen die AfD, weil sie das Fremde (genauer: das Muslimische) nicht wollen.
LikeLike
Danke für den Kommentar! Ich glaube, wir sind uns grob einig.
LikeLike