Braucht man ökonomische Bewertung?

Zählt man meine Master-Arbeit dazu, beschäftige ich mich seit nunmehr 3 Jahren mit der ökonomischen Bewertung. Seit 2 Jahren besteht mein Ziel (bzw. das meiner Dissertation) darin, sie konzeptionell und teilweise auch methodisch weiterzuentwickeln. Wie ich hier schon des Öfteren kundgetan habe, finde ich, dass ökonomische Bewertung oft zu Unrecht kritisiert wird. Doch das heißt nicht, dass alle Kritik verfehlt ist. Aus meiner Sicht ist die schwierigste Frage, die man mir als „bewertendem Ökonomen“ stellen kann, die nach der Zweckmäßigkeit des Ganzen – wozu braucht man ökonomische Bewertung? Was kann sie tatsächlich leisten?

Üblicherweise wird als Antwort auf diese Frage eine Reihe von Verwendungsmöglichkeiten für Ergebnisse von Zahlungsbereitschaftsanalysen genannt:

  • Sie demonstrierten den Wert von Ökosystemen (aus anthropozentrischer Perspektive), die sonst allzu oft als wertlos angesehen würden und deren Knappheit nicht durch adäquate Preise signalisiert werde.
  • Man könne sie in Kosten-Nutzen-Analysen verwenden (einschließlich IAMs), um Entscheidungen über die Durchführung öffentlicher Projekte zu unterstützen.
  • Sie seien wichtig, um konventionelle wirtschaftliche Gesamtrechnung um Naturkapital zu erweitern, um wirtschaftliche Indikatoren zu besseren Wohlfahrtsindikatoren zu machen, als sie es derzeit sind.
  • Zuletzt könne man sie als Grundlage für Umweltsteuern und Subventionen (Payments for Ecosystem Services) verwenden, ganz im Sinne der Pigou’schen Internalisierung von Externalitäten.

Gehen wir die vier Hauptverwendungsmöglichkeiten für ökonomische Bewertung von hinten durch. Umweltsteuern und Subventionen? Eine schöne Idee, nur leider ist man sich unter Ökonomen relativ einig, dass ökonomische Bewertung relativ ungenau ist – sie ist vor allem sehr sensibel gegenüber der Methodik, die man wählt. Es macht nicht nur einen großen Unterschied, ob man Choice Experimente oder die Hedonische Bepreisung verwendet, sondern auch welches statistische Modell bei der Analyse zugrundegelegt wird oder gar wie Präferenzen abgefragt werden. Kurzum: viele (die meisten?) Umweltökonomen tendieren dazu, bei der Festsetzung von Umweltsteuern und -subventionen second-best-Ansätze zu empfehlen, wie bspw. den Standard-Preis-Ansatz. Die Idee dieses Ansatzes besteht darin, dass wir die optimale Pigou’sche Steuer sowieso nicht treffen können, es sei also sinnlos, den Aufwand der Bewertung auf sich zu nehmen – stattdessen setzt man einen „willkürlichen“ Standard fest (z. B. das cap beim Emissionshandelssystem) und lässt einen Markt die optimale Erreichung dieses Standards garantieren. Oder man legt einen „willkürlichen“ Steuersatz fest und passt ihn ggf. per trial-and-error an, um das anvisierte Ziel (den „Standard“) zu erreichen. In der Praxis zieht man hin und wieder Ergebnisse ökonomischer Bewertungsstudien zurate, um den Steuer-/Subventionssatz nicht völlig blind festzulegen – sofern welche zufällig vorliegen. Es ist mir jedoch kein Fall bekannt, in dem eine Bewertungsstudie durchgeführt worden wäre, um gezielt die Entscheidung über einen Steuer- oder Subventionssatz zu unterstützen.

Noch schwieriger sieht es mit der wirtschaftlichen Gesamtrechnung aus. Zufällig schreibe ich gerade mit einem Kollegen an einem Paper, in dem wir zeigen, dass die Idee des Environmental-Economic Accounting (EEA) völlig verfehlt ist. Die Probleme fangen bereits damit an, dass längst gezeigt wurde, dass selbst korrigierte wirtschaftliche Indikatoren wie z. B. das „grüne Nettonationalprodukt“ (green NNP) als Wohlfahrtsmaße nichts taugen. Doch wenn sie keine Wohlfahrtsmaße sein sollen, was von den EEA-Leuten oft entgegnet wird – wozu soll man sie dann um Naturkapital erweitern? Das BIP und verwandte Maße sind Indikatoren wirtschaftlicher Aktivität – da Ökosysteme nicht direkt an wirtschaftlicher Aktivität beteiligt sind, ist es nicht klar, wozu man sie mit einbeziehen sollte. Auch alternative Wohlfahrtsmaße, die sich nicht an der klassischen wirtschaftlichen Gesamtrechnung orientieren (wie z. B. comprehensive wealth), leiden unter schwer zu überwindenden Schwierigkeiten, insbesondere was den Umgang mit sog. kritischen Naturkapital (critical natural capital, CNC) anbetrifft. Kurzum: auch die wirtschaftliche Gesamtrechnung entfällt als ein guter Grund, ökonomische Bewertung von Umweltgütern zu betreiben.

Option 3, Kosten-Nutzen-Analysen (KNA): hier sieht es etwas besser aus. Sofern man nicht allzu ambitioniert ist (Stichwort Klimaökonomik), kann ökonomische Bewertung bei der Analyse von Kosten und Nutzen öffentlicher Projekte helfen. Problematisch ist jedoch wieder ihre Ungenauigkeit, die damit auch Manipulierbarkeit bedeutet. Solange es keine klaren Richtlinien gibt, wie man in welchen Situationen zu bewerten hat (und ich bezweifle, dass es solche Richtlinien jemals geben wird, die auch noch sinnvoll sein würden), kann es durchaus sein, dass zwei Seiten eines Konflikts um ein öffentliches Projekt (z. B. die Weser-Vertiefung, zu der mein oben erwähnter Kollege gearbeitet hat) in ihren KNAs zu völlig entgegengesetzten Ergebnissen kommen. Dann beginnt eine Diskussion, wer „richtig“ bewertet hat, womit die Bewertung ggf. zu einem zusätzlichen Problem wird, statt eine Lösung zu liefern. Zumal die theoretischen und methodischen Hintergründe für einen Laien kaum durchschaubar sind (außer für die Leser meines Blogs natürlich). Hinzu kommt, dass eine KNA bestenfalls nur Effizienzaspekte beleuchtet. Sie kann keineswegs alleinige Entscheidungsgrundlage über öffentliche Vorhaben sein. Also, KNA mag gehen, aber nur sehr eingeschränkt. (Von der verwandten Frage der Diskontierung, die das Ganze noch komplizierter macht, sehe ich hier ab.)

Die letzte Möglichkeit, die Sinnhaftigkeit ökonomischer Bewertung zu begründen, liegt in ihrer Rolle als Demonstrationsinstrument – ein Mittel, die Knappheit und relative Bedeutung von Ökosystemen zu signalisieren (wie mein Kollege und ich in dem bereits erwähnten Paper argumentieren, schließt das die Identifizierung kritischen Naturkapitals mit ein – dazu ein andermal). Zu oft werden Ökosysteme und ihre Leistungen von Entscheidungsträgern implizit oder explizit als wertlos behandelt. Was nichts kostet, wird nicht in Betracht gezogen. Um diesen Missstand zu beheben, wurde ökonomische Bewertung überhaupt erfunden – um Menschen klar zu machen, dass Ökosysteme einen Wert haben bzw. dass sie knapp sind (denn was knapp ist, hat einen (Schatten-)Preis). Um so was zu demonstrieren, müssen die Bewertungsmethoden auch nicht präzise sein, Größenordnungen reichen oft aus. So zumindest die Hoffnung bspw. der Leute hinter dem TEEB-Projekt. Zwei Einschränkungen sind jedoch auch hier notwendig. Erstens, es ist durchaus umstritten, ob die Demonstration des ökonomischen Wertes von Ökosystemen tatsächlich wirkt. Ich würde dazu tendieren, ihr zaghaft eine Wirkung zu attestieren, aber dies lässt sich schwer mit „harten Daten“ belegen. Zweitens, manche tendieren in ihrem Demonstrationseifer zu einer anything goes-Attitüde – ich habe bereits meinen Unmut über die berühmteste, meistzitierte Bewertungsstudie von Robert Costanza und Konsorten geäußert, die aus ökonomischer Sicht völliger Unfug ist. Es ist ein ähnliches Problem wie das, was ich im Kontext der KNA bereits erwähnt habe – für einen Laien ist es kaum möglich, „korrekte“ ökonomische Bewertung von „inkorrekter“ zu unterscheiden. Das birgt Manipulationspotenzial.

Braucht man ökonomische Bewertung? Ist sie nützlich? Ich denke, dass sie nützlich sein kann. Gleichwohl dürfte ihre Reichweite wesentlich geringer sein als oft behauptet (siehe oben). Und man sollte keineswegs vergessen, wie verzwickt die Sache mit der Bewertung von Umweltgütern ist und wie ungenau dadurch die Ergebnisse jeglicher Bewertungsstudien sind. Gute Bewertungsstudien können Informationen über die Wertschätzung, die den Ökosystemen entgegengebracht wird, und über deren Knappheit liefern. Sie haben eher einen Aufklärungscharakter als dass sie direkt in politische Entscheidungsprozesse oder dergleichen eingespeist werden könnten.

In einem einflussreichen Artikel, in dem eine Gruppe von Bewertungsmethoden kritisiert wurde (die sog. Methoden geäußerter Präferenzen, zu denen auch ich in meiner Dissertation arbeite), wurde im Titel provokativ gefragt, Is some number better than no number? Vor dem Hintergrund des heutigen Beitrags wäre meine Antwort: It depends on what you need it for.

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