Vor einem knappen Jahr nahm ich an einer BfN-Tagung teil, die auf der wunderschönen Insel Vilm bei Rügen stattfand. In einem der Vorträge ging es um Einflüsse von Stadteffekten auf Kleinsäugergemeinschaften. In diesem ging es unter anderem darum, wie sich Mäuse wohl in der Nähe der „Neophyten“ Drüsiges Springkraut (Impatiens glandulifera) und Japanischer Staudenknöterich (Fallopia japonica) fühlen. In der Diskussion, in der ich die dahingehende Interpretation der Ergebnisse anzweifelte, dass die Exoten sich negativ auf Mäuse auswirkten, konnte man den Eindruck gewinnen, dass das Ergebnis bereits vorher feststand und durch die Studie nur noch bestätigt werden sollte – und zwar, dass Neophyten, d. h. „nichtheimische“ Pflanzen, schlecht sind.
Ich habe bereits vor einer Weile die normativ geladene Verwendung des Begriffs „natürlich“ im Naturschutzkontext kritisiert sowie eine ähnliche Auseinandersetzung mit dem Begriff „(ein)heimisch“ angekündigt. Dummerweise(?) habe ich in der Zwischenzeit das tolle Buch Where Do Camels Belong? des britischen Biologen Ken Thompson gelesen, der genau so argumentiert, wie ich es gemacht hätte, bloß dass er sich mit der Thematik wesentlich besser auskennt als ich. Daher beschloss ich, kein eigenes Pamphlet zu schreiben, sondern mittels einer kurzen Rezension zur Lektüre des Buchs anregen.

Die Kernpunkte von Thompsons Argumentation sind folgende:
- Es ist praktisch unmöglich, eine objektive Grenze zwischen vermeintlich „heimischen“ und vermeintlich „fremden“ Arten zu ziehen.
- Je nachdem, wo man die Grenze zieht, kommt man zu sehr verschiedenen Ergebnissen bei der Bewertung bestimmter Arten. Was ist bspw. mit Arten, die in dem Gebiet, dem sie ursprünglich entstammen, zwischenzeitlich ausgestorben waren und neu eingeführt wurden? (Pferde und Nordamerika)
- Da Naturschutzprioritäten oft entlang der Grenze „heimisch“ vs. „fremd“ festgelegt werden, wird diese von Fall zu Fall nach unterschiedlichen Kriterien gezogen, was die Vermutung nahelegt, dass die zugrundeliegenden Bewertungen sich an anderen Faktoren orientieren (schön/hässlich, auffällig/unauffällig, giftig/harmlos etc.) haben.
- Die vermeintlich negativen Wirkungen „invasiver“ Neobiota werden sehr oft (obwohl nicht immer) medial aufgebauscht. Die meisten Neobiota sind unauffällig und bleiben im Hintergrund des Geschehens, von den wenigen prominenten sind nur einige tatsächlich problematisch.
- In Wirklichkeit füllen „invasive“ Pflanzen und Tiere oft einfach nur Lücken, die durch andere, meistens anthropogene Faktoren entstanden.
- Letztlich sind „invasive“ Arten schlicht und einfach evolutionär erfolgreich. Evolutionärer Erfolg stört uns bei vermeintlich „heimischen“ Arten offensichtlich nicht. Erst wenn sie als „fremd“ wahrgenommen werden, wird evolutionäre fitness plötzlich zu einem Verbrechen.
Die Argumentation ist trotz teilweise (angenehm) polemischer Rhetorik mit wissenschaftlicher Expertise untermauert, auch nennt Thompson Quellen für all seine Behauptungen, was bei populär-wissenschaftlichen Publikationen, insbesondere zu solch kontroversen Themen, nicht gerade selbstverständlich ist.
Zusammenfassend: die Einteilung der Welt in „gute heimische“ und „böse fremde“ Arten ist weder haltbar noch sinnvoll. Selbst wenn sie nicht direkt daraus resultiert, so läuft sie Gefahr, xenophobe Ressentiments zu begünstigen. Es gibt viele relevantere Dimensionen, auf die man sich im Kontext des Naturschutzes stattdessen beziehen sollte, wie z. B. der Einfluss auf Ökosystemfunktionen, menschliche Gesundheit oder Ästhetik. Zudem kommt, dass krampfhafte Versuche, „invasive“ Pflanzen und Tiere loszuwerden, in den allermeisten Fällen trotz hoher Ressourcenaufwendungen zum Scheitern verurteilt sind. Am besten überlasse man diese Kampfbegriffe der Vergessenheit.