Gibt es einen monetären Wachstumszwang?

Das kommt darauf an. Und ist zudem noch unklar.

Die im Titel des heutigen Beitrags gestellt Frage haben wir uns mit zwei Kollegen vor einer Weile gestellt und beschlossen, dazu ein Paper zu schreiben. Die Motivation dazu gab uns die Tatsache, dass es eine in der Postwachstums-Community vieldiskutierte Frage zu sein scheint, die entsprechende Literatur aber recht unübersichtlich ist. Kein Wunder auch, denn wenngleich der Begriff „Wachstum“ halbwegs klar erscheint, sieht es mit „monetär“ und „Zwang“ schon wesentlich komplizierter aus. So gibt es auch sehr viele verschiedene Antworten auf die Frage nach einem monetären Wachstumsimperativ, von einem emphatischen „Ja!“ bis zu einem ebenso emphatischen „Nein, warum denn auch?“

In der Ökonomie gibt es eine alte Debatte über den Einfluss des Geldes (meist i. S. v. Änderungen in der Geldmenge) auf die reale Wirtschaft. Sie geht mindestens auf David Humes Treatise on Money zurück. Hume war der Meinung, dass Erhöhungen der Geldmenge zu kurzfristigen Steigerungen der wirtschaftlichen Aktivität führen würden, die aber mittel- bis langfristig abebbten. Dies ist auch grob die heutige Lehrmeinung der Mainstream-Ökonomie: Geld (d. h. Änderungen in der Geldmenge) hat einen kurzfristigen Einfluss auf die reale Wirtschaft, langfristig ist es aber neutral. An sich hat Geld also keinen Einfluss aufs Wachstum.

In der Postwachstums-Debatte sieht die Sache wesentlich komplizierter aus. Während die Neoklassik nach dem Zusammenhang zwischen Geldmenge einerseits und Wirtschaftswachstum bzw. Inflation andererseits fragt, werden von einigen heterodoxen Denkern verschiedenste mehr oder weniger komplexe Mechanismen postuliert, über die „monetäre Faktoren“ das Wachstum einer Volkswirtschaft „erzwingen“. Was sind denn diese „monetären Faktoren“ und was heißt „erzwingen“? Da herrscht nicht gerade Einigkeit. Für manche ist das Fiat-Geld die Wurzel alles Bösen. Andere glauben diese im Zins zu erkennen (der für die Neoklassik keine monetäre, sondern eine reale Größe ist), bzw. allgemeiner in der Funktionsweise des Kreditwesens. Klar ist, dass die Binswangers, Löhrs, Hixsons oder Kuzminskis dieser Welt dem Geldmengenwachstum, so wie er in der Neoklassik betrachtet wird, keinerlei Beachtung schenken. Für sie ist „Geld“ etwas Anderes.

Das andere Problem heißt „Zwang“: was ist denn ein „Wachstumszwang“? Der wohl interessanteste Denker aus der hier besprochenen Ecke, der Schweizer Hans Christoph Binswanger, unterscheidet zwischen „Wachstumszwang“ und „Wachstumsdrang“. Ersterer sei ein inhärenter, immanenter Mechanismus innerhalb des Systems der modernen kreditbasierten Wirtschaft, den man nicht überwinden kann, ohne das System grundlegend umzukrempeln. Letzterer hingegen sei ein Antrieb innerhalb des Systems, der Wachstum begünstigt, den man aber durchaus überwinden könne. Faktoren wie Konsumismus, die wachstumsorientierte Struktur unserer Sozialsysteme etc. gelten dabei eher als Wachstumsdränge, wohingegen das „Geld“ den Wachstumszwang darstelle. Diese Unterscheidung ist recht dubios, zumal eine Abkehr von anderen das Wachstum begünstigenden Faktoren hin zu einer Postwachstumsgesellschaft das heutige Wirtschaftssystem praktisch ex definitione umkrempeln würde, womit auch der innerhalb dieses Systems identifizierte monetäre Wachstumszwang (z. B. die Binswanger’sche „Wachstumsspirale“) nicht mehr gelten würde. Dies wird jedoch von Binswanger geleugnet. Auch bei den anderen oben genannten Autoren bekommt man den Eindruck, dass man die von ihnen postulierten Wachstumszwänge nicht so leicht überwinden könne.

Die in der Debatte verwendeten Begriffe sind also alles andere als klar. Und auch die Aussagen der verwendeten Modelle oder Narrative, mit deren Hilfe die angebliche Unvermeidlichkeit des Wachstums begründet wird, sind zumindest zweifelhaft. Sei es, weil die Modelle zu simplistisch scheinen (Löhr) oder ganz im Gegenteil, sie sind so komplex, dass sie auf vielen fragwürdigen Annahmen basieren (Binswanger). Teilweise basieren die Argumentationen auf simplen Narrativen, mitunter an der Grenze zu Verschwörungstheorien (Kuzminski). Kurzum: so recht überzeugend ist keiner der Ansätze. Aber sie säen gleichzeitig zurecht Unsicherheit: falls es denn tatsächlich irgendeine Art monetären Wachstumszwang gibt, sollten wir uns nicht überlegen, wie wir eine Postwachstumsökonomie „designen“ können, um diesen Zwang zu überwinden? Diese Unsicherheit ist einer der Gründe für die Popularität von Ansätzen wie Vollgeld oder regionale Währungen. Sie ist auch der Grund für unseren bescheidenen Versuch, in die Debatte ein bisschen Ordnung zu bringen.

Gibt es denn nun einen monetären Wachstumszwang? Ich fürchte, ich kann nicht anders antworten, als indem ich einen meiner Co-Autoren zitiere: „Nichts Genaues weiß man nicht.“

P.S. Einen sehr lesenswerten, deutschsprachigen Überblick zu dem Thema findet man übrigens in zwei Publikationen der Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe nachhaltiges Geld: Wachstumszwänge in der Geldwirtschaft und Theoretische Zugänge eines Wachstumszwangs in der Geldwirtschaft. Und in unserem oben verlinkten Arbeitspapier, natürlich.

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