Wie bereits im letzten Beitrag indirekt angedeutet, hat man es als Doktorand nicht leicht. Insbesondere, wenn man nicht nur wissenschaftlichen, sondern auch gesellschaftlichen Anspruch hat. Das Problem lässt sich recht leicht zusammenfassen: „Wen interessiert eigentlich, was ich da in meiner Diss so mache?“ Da bearbeitet man Themen wie die ökonomische Bewertung von Biodiversität, den Einfluss der Flurbereinigung auf Ökosystemfunktionen oder Umweltsteuern im Kontext der Wasserrahmenrichtlinie und fragt sich immer wieder zweierlei: sind diese i. d. R. sehr theoretischen Fragestellungen für die Forschung relevant? Und tun sie der Umwelt bzw. der Gesellschaft überhaupt etwas Gutes?(da ich v. a. mit Sozialwissenschaftlern zu tun habe und selbst einer bin, sind die Beispiele sozialwissenschaftliche Dissertations-Themen – ich vermute aber, dass meine hier geäußerten Gedanken auf naturwissenschaftliche Dissertationsvorhaben gleichermaßen zutreffen) Mein heutiger Beitrag ist teils als Selbsttherapie, teils als Ermutigung für meine „Mitstreiter“ am UFZ gedacht.
Man stelle sich vor: 3 Jahre Arbeit an einem meist recht abstrakten, theoretischen Thema. Gerade in der Anfangszeit hat man oft das Gefühl, nichts Besonderes zum wissenschaftlichen Diskurs beitragen zu können (und wenn man das anfangs doch entgegengesetzte Gefühl hat, kommt meistens recht bald die Ernüchterung). Für die Gesellschaft im Allgemeinen scheint die eigene Forschung sowieso völlig irrelevant. Gleichwohl frisst so eine Dissertation Ressourcen: sowohl eigene (Kreativität, Zeit, bei manchen auch Gesundheit…) als auch gesamtgesellschaftliche (die Arbeit möchte finanziert werden, und zwar über Stipendien oder Anstellungen als wissenschaftlicher Mitarbeiter – beide Varianten meistens steuerfinanziert). Was oft entsteht ist eine Mischung aus Minderwertigkeitsgefühlen („Was ich hier leisten kann, ist doch völlig uninteressant und unwichtig!“), Gewissensbissen („Und ich werde auch noch dafür bezahlt!“) sowie Selbstzweifeln („Will ich meine kostbare Lebenszeit dafür verschwenden? Sollte ich nicht lieber mit Greenpeace die Welt retten?“). Ich sehe hier davon ab, dass man als umweltbewegter Wissenschaftler vor einige „logistische“ Dilemmata gestellt wird (dazu siehe hier).
Was tun? Lösungsansätze gibt es mehrere. Der wichtigste besteht darin, einzusehen, dass nicht jeder Wissenschaftler ein künftiger Nobelpreisträger ist – und dass Wissenschaft zumindest in einem gewissen Sinne kumulativ ist, sodass auch kleine Beiträge von Bedeutung sind.
Zum ersten Punkt: als angehender Wissenschaftler hat man in der Regel hohe Ansprüche an sich selbst. Wenn man sich schon dazu entschieden hat, (vorläufig) 3-4 Jahre seines Lebens der Wissenschaft zu widmen, möchte man auch das Gefühl haben, zu ihr maßgeblich beizutragen. Gerade am Anfang, wenn man oft noch eine recht naive Vorstellung von der Welt der Wissenschaft hat, schwebt einem (ich übertreibe ein wenig) der Nobelpreis vor. Man möchte zumindest in seinem kleinen Bereich den Stand der Forschung umkrempeln. Doch leider gibt es nicht viele Kenneth Arrows auf dieser Welt, sodass man die Wahl hat zwischen mehr Demut und massiver Enttäuschung. Das Problem ist vielschichtig. Es fängt schon damit an, dass man in einer Dissertation meist ein recht kleines Feld beackert, eine sehr spezifische, oft abstrakte Fragestellung – die nicht ohne Grund noch zum Beackern frei ist. Entweder, weil sie ganz am Rande des entsprechenden Forschungsgebietes ist, oder weil sie ziemlich anspruchsvoll und womöglich nicht zufriedenstellend lösbar ist. Nur sehr selten hat man das Glück, eine wirklich wichtige, bisher übersehene Frage beantworten zu können. Früher, als es weniger Wissenschaftler gab und gerade die Sozialwissenschaften noch recht unterentwickelt waren, mögen die Aussichten auf Ruhm und Ehr‘ besser gewesen sein. Heutzutage ist das Gedränge in den meisten Forschungsfeldern so groß, dass das Finden eines sinnvollen, noch offenen Themas für die eigene Dissertation schon eine Leistung ist (was die „Selbstfindungsphase“ erklärt, die bei vielen Doktoranden 1-2 Jahre ihrer vorgesehenen Arbeitszeit verschluckt). Zumal man am Anfang in aller Regel noch ziemlich „grün“ ist und sich erstmal in das Feld hineinarbeiten muss. Es ist kaum zu schaffen, innerhalb von 3 Jahren bahnbrechende Erkenntnisse zu bringen – Thomas Kuhn hin oder her.
Hinzu kommt, dass man nach einer Weile erkennt/erkennen sollte, dass auch die „gestandenen“ Wissenschaftler, die einen umgeben, keine Nobelpreisträger sind. Zumindest nicht alle. Die meisten Wissenschaftler, d.h. Menschen, die einen großen Teil ihres Berufslebens der Wissenschaft „opfern“, leisten nie etwas wirklich Großes. Sie tüfteln immer wieder an neuen kleinen Fragestellungen (manche auch ihre ganze Karriere über an derselben), publizieren „kleinteilige“ Fachartikel… Und dennoch ist ihre Arbeit nicht sinnlos (natürlich gibt es auch solche, deren Arbeit es ist – aber es ist kaum möglich, sie objektiv zu identifizieren, schon gar nicht ohne den Komfort einer ex-post-Perspektive). Denn Wissenschaft lebt nicht nur von Kuhn’schen Paradigmenwechseln – im Alltag entwickelt sie sich in vielen kleinen Schritten, wobei sehr oft ex ante kaum abzuschätzen ist, welche dieser Schritte sich mal als relevant herausstellen werden und welche nicht.

Viele Doktoranden, die ich kenne, beschweren sich über die Theorielastigkeit ihrer Dissertationsthemen. Man kommt sich oft (meistens zurecht) vor wie der Bewohner eines Elfenbeinturms. Dazu habe ich zwei Bemerkungen. Erstens, so wichtig „angewandte“ oder gar transdisziplinäre Forschung ist, Doktorarbeiten sind dazu da, neue Fragestellungen zu ergründen – und weniger dazu, bereits bekannte Antworten anzuwenden (obwohl natürlich die erstmalige Anwendung einer Theorie durchaus „dissertationswürdig“ ist). Außerdem haben auch rein theoretisch erscheinende Erkenntnisse zumindest indirekt Bedeutung für das reale Leben. Denn um Anwendungen (z. B. Politikempfehlungen) gut zu begründen, braucht man eine überzeugende, konsistente Theorie dahinter. Ich schreibe bewusst „gut begründen“, weil mir klar ist, dass in der Welt der Politik und auch der Zivilgesellschaft oft das Argument mit der größten Fresse gewinnt, nicht, wie Habermas es gern hätte, das mit der größten „Qualität“. Aber dass die Menschen auf große Fressen hören, daran kann man als Wissenschaftler auf jeden Fall nichts ändern. Will man das ändern, sollte man sich ein anderes Berufsfeld suchen (oder zumindest parallel anderen Aktivitäten frönen – siehe unten).
Zusammenfassend: ein bisschen Realismus dürfte helfen, mit einigen typischen Problemen eines angehenden Wissenschaftlers klarzukommen. Entscheidend dabei ist die Erkenntnis, dass auch kleine theoretische Beiträge für die Entwicklung der Wissenschaft wichtig sind.
Außerdem dauert eine Dissertation in der Regel nur 3-4 Jahre, und in der Zwischenzeit kann man sich durchaus auch anderen Sachen widmen (mir ist bewusst, dass ich aus der privilegierten Perspektive eines Doktoranden an einem Forschungsinstitut spreche – die Realität vieler Uni-Doktoranden relativiert mein Argument etwas). Man kann z. B., wenn man praktischer angelegt ist, nebenbei mit Greenpeace die Welt retten. Oder eine Familie gründen. Oder – auch das ein nicht aus dem Finger gesogenes Beispiel – ein Jazz-Bass-Studium abschließen. Ist man hingegen „theoretischer“ angelegt (wie ich), kann man sich zwischendurch kleineren Projekten widmen, die man als spannender/wichtiger als/eine gute Abwechslung zur eigenen Promotion ansieht.
Bleibt noch das (Steuer-)Geldproblem. Dazu dreierlei: zum einen relativiert sich dieses Problem, wenn man meine obigen Argumente über die Natur der Forschung zumindest halbwegs überzeugend findet (dann verschwendet nämlich Forschung grundsätzlich Ressourcen – Doktoranden sind diesbezüglich nichts Besonderes). Zweitens deutet die Tatsache, dass man dies überhaupt als Problem wahrnimmt, darauf hin, dass man sich zumindest Mühe gibt, diese Ressourcen so zu verwenden, dass unter den gegebenen Umständen etwas halbwegs Nützliches herauskommt. Das ist doch schon etwas. Drittens verschwenden unsere modernen Gesellschaften „tonnenweise“ Steuergelder für alle möglichen Projekte, deren Nutzen zumindest zweifelhaft ist – seien sie wissenschaftlicher (CERN), prestigeartiger (Weltallmissionen) oder sonstiger Natur (Militär, Bischofs-Villen, Bahn-Großprojekte…). Eine kleine Doktorarbeit fällt da nicht wirklich ins Gewicht.
Was ist also die Wissenschaft, insbesondere Doktorarbeiten, denn wert? Auf jeden Fall mehr, als dies die Selbstwahrnehmung vieler Doktoranden nahelegen würde. Auch wenn sie nicht unbedingt die ganz großen Probleme lösen kann – sie kann allerhöchstens Lösungsansätze anbieten, die dann die Gesellschaft im Allgemeinen bzw. der Einzelne/die Politik im Speziellen umsetzen können (oder eben nicht) -, so würde ich doch behaupten, dass die Welt mit Wissenschaft eine bessere ist. Eine Demokratie braucht Wissen, darunter wissenschaftliches Wissen, um zu funktionieren. Und auch wenn der Beitrag des einzelnen Wissenschaftlers oft sehr klein sein mag und die Gesellschaft sehr wählerisch mit dem Wissen umgeht, das die Wissenschaft liefert – wertlos ist Letztere keineswegs.