Das derzeitige ökonomische System, einschließlich der dazugehörigen Konsumkultur, ist nicht nachhaltig. Egal, ob wir ökologische, soziale oder finanzielle Nachhaltigkeit im Sinn haben – die Diagnose ist relativ unkontrovers. Irgendwas muss sich ändern. Es sind die Therapievorschläge, die Kontroversen erwecken. Entkopplung, d.h. Effizienz und eventuell Konsistenz, sagen die Einen. Degrowth, d.h. Schrumpfung, Suffizienz und Subsistenz, sagen die Anderen. Und dann gibt es noch solche, wie z. B. Jeroen van den Bergh oder mich, die meinen, dass Entkopplung zwar eine naive Utopie ist, aber degrowth/Schrumpfung auch kein sinnvoller Ansatz, weil auch hier BIP-Wachstum fetischisiert wird, bloß unter umgekehrten Vorzeichen. Ich setze an dieser Stelle voraus, dass Entkopplung zu unwahrscheinlich ist, als dass man vernünftigerweise alles auf ihre Karte setzen könnte, und möchte mich der Frage widmen: schrumpfen oder ignorieren?
Das große Problem des degrowth-Ansatzes fängt bei dem Begriff an. Es ist ein Angriff auf die allgegenwärtige Überzeugung von Politikern, Gewerkschaftlern und Ökonomen gleichermaßen, ohne Wachstum komme die moderne Wirtschaft nicht aus. Ein Angriff also auf den „Wachstumsfetischismus“, wie der Träger des Alternativen Nobelpreises Herman Daly ihn nannte. Gleichwohl beinhaltet der Begriff degrowth den Namen des Fetischobjekts. Und so denken viele in der Bewegung tatsächlich, es ginge um gezielte Schrumpfung – teils durch Rückbau industrieller Produktion, teils durch Umverteilung innerhalb und zwischen Ländern. Es ist in gewissem Sinne ein Wachstumsfetischismus unter umgekehrten Vorzeichen. Die degrowth-Bewegung wurde zurecht dafür kritisiert, sich so sehr aufs Wachstum zu konzentrieren und die eigentlichen Probleme zweitrangig erscheinen zu lassen – nicht zuletzt, weil sie sich dadurch leicht angreifbar macht. Ja, Wirtschaftswachstum korreliert mit vielen nicht-nachhaltigen Erscheinungen. Ja, die manchmal postulierte Gültigkeit der Environmental Kuznets Curve (mit der Simon Kuznets selbst übrigens nichts zu tun hatte) für bestimmte Schadstoffe gilt nur für einzelne Länder, was in den meisten Fällen an Verlagerung entsprechend „schmutziger“ Produktionsprozesse in ärmere Länder liegen dürfte. Aber ist es nicht sinnvoller, das Wachstum völlig hinter sich zu lassen und mittels entsprechender Instrumente (Steuern, Richtlinien, Ge- und Verbote, Emissionshandelssysteme, öffentliche Förderung von Forschung und Entwicklung, Umweltbildung etc.) konkrete Probleme anzugehen? Der bereits erwähnte niederländische Ökonom Jeroen van den Bergh argumentierte für ein solches a-growth anstelle von de-growth, und auch ich schrieb einst einen Blogbeitrag im ähnlichen Sinne. Doch inzwischen scheint mir, dass die Sache so einfach doch nicht ist.
Ich bin immer noch der Meinung, dass Wachstum nicht im Fokus stehen sollte, sondern dass wir uns auf seine negativen Folgen konzentrieren sollten. Auch ist das Wachstum und der von Daly postulierte Wachstumsfetischismus nicht die Quelle allen Übels – da gibt es auch noch den Konsumismus, die Überbevölkerung und einige weitere Faktoren. Wie van den Bergh zurecht bemerkt, ist nicht jedes Wachstum per se schlecht und nicht jedes Schrumpfen gut. Daher sollten wir uns eigentlich schon dazu durchringen, Wachstum völlig außer Acht zu lassen und uns um die konkreten Nachhaltigkeitsprobleme wie Klimawandel, Biodiversitätsschwund, unverhältnismäßige soziale Ungleichheit oder Instabilität des Finanzsystems kümmern. Eigentlich. Wenn da nicht das eine Problem wäre: dass unsere ökonomisch-sozialen Systeme inhärent wachstumsorientiert sind.
Es ist abzusehen, dass ein konsequenter Wandel zur Nachhaltigkeit – durch Kulturwandel, Öko-Steuern und was uns sonst noch zur Verfügung steht bzw. notwendig ist – tatsächlich zur Schrumpfung der Wirtschaft führen wird. Und da haben die Politiker, Gewerkschaftler, Journalisten, Ökonomen und andere Kommentatoren nicht Unrecht – in dem heutigen System ist eine Schrumpfung zutiefst unangenehm. Sie kann kaum andere Formen annehmen als die, die wir in Griechenland so gut beobachten können. Beschäftigung, internationale Wettbewerbsfähigkeit, Refinanzierung der öffentlichen Schulden, Renten- und Gesundheitssysteme, vielleicht auch einfach die moderne Wirtschaft an sich – all dies macht uns vom Wachstum abhängig. Natürlich könnte man z. B. im Kontext internationaler Wettbewerbsfähigkeit mit den Finanzexperten Anat Admati und Martin Hellwig sagen:
A country’s public policy should not be concerned about the success of its banks or other firms as such, because success that is achieved by taxpayer subsidies or by exposing the public to excessive risks – for example, the risks of pollution or of a financial crisis – is not beneficial to the economy and to society. (The Bankers‘ New Clothes, S. 11)
Das ist zwar ein schönes Ideal, das Admati und Hellwig hier skizzieren, doch funktionieren dürfte es nur selten. Wir leben in einer demokratischen Gesellschaft, in der verschiedenste Interessengruppen versuchen, die ominöse „öffentliche Meinung“ zu beeinflussen. Wenn ihre Interessen durch nachhhaltigkeitspolitische Eingriffe verletzt werden, gefährdet dies die „Nachhaltigkeit der Nachhaltigkeitspolitik“, weil sie sich mit allen Kräften dafür einsetzen werden, diese Eingriffe rückgängig zu machen. Dies ist insbesondere gefährlich, weil der drohende Jobverlust eine stärkere motivierende Wirkung haben dürfte als die eher abstrakteren ökologischen oder auch sozialen Probleme – auch, weil wir Menschen eine Tendenz haben, dem status quo eine Art Vertrauensvorschuss zu geben. Job behalten ist status-quo-erhaltend, Nicht-Nachhaltigkeit bekämpfen hingegen nicht. Außerdem sind negative Folgen einer unüberlegten Nachhaltigkeitspolitik, wie der erwähnte Jobverlust, privater Natur, während die positiven Aspekte eher den Charakter öffentlicher Güter haben. Und schon landen wir in einem sozialen Dilemma.
Was lernen wir aus alledem? Ich bin immer noch der Meinung, dass degrowth der falsche Begriff ist, und bevorzuge stark das deutsche Postwachstum, weil es dem Phänomen Wachstum gegenüber neutraler ist. Gleichzeitig glaube ich, dass man das Wachstum leider nicht ganz außer Acht lassen kann – damit die Nachhaltigkeits-Transformation klappen kann, brauchen wir eine vernünftige, schrittweise und vorausschauende Herangehensweise. Zu sehr stecken wir heutzutage im Wachstum drin, als dass wir es uns leisten könnten, es nun völlig zu ignorieren. Das würde nämlich mit großer Wahrscheinlichkeit zu vermeidbaren Verwerfungen führen, wenn man sich z. B. keine Gedanken darüber macht, ob das heutige Bankensystem mit Postwachstum vereinbar ist. Und solche Verwerfungen würden die sowieso relativ unwahrscheinliche Transformation noch illusorischer machen. Ganz ohne Wachstum geht es also eher nicht.
Sehr schöner Artikel, erweitert mal wieder meinen Horizont in Sachen Ökonomie. Ich denke das die degrowth-Idee in der Tat problematisch ist, auch wenn sie eine verständliche Reaktion auf unserer Wachstumsorientierte Gesellschaft ist. Das Problem ist aber das Sie nicht sehr konstruktiv ist; im Kern sagt sie ja nur wir brauchen weniger (Produktion, Konsum, Kapital, Technologie, Energie). Ich glaube aber das gesellschaftlicher Wandel eine positive Vision braucht sowie konkrete Projekte an denen Menschen gemeinsam arbeiten. Beides fehlt für mich in dem Degrowth-Diskurs.
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Das Gefühl habe ich manchmal auch, dass die degrowth-Bewegung sich zu sehr auf Kritik des Status quo fokussiert, wodurch eine konstruktive Vision fehlt. Und wenn eine positive Vision vorliegt, ist es oft nicht klar, wie diese erreicht werden soll – vide Niko Paech oder Friederike Habermann.
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[…] die sich unkreativ lediglich mit einer Wachstumsrückname als Alternative beschäftigen (einen schönen Beitrag dazu findet ihr auf dem blog skeptische Ökonomie). Der Blick wendet sich im Rahmen der Kulturtechnik weg vom Wachstum, hin zu einem einem […]
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