Wissenschaft ohne Burnout?

Wissenschaftler:in ist in vielerlei Hinsicht ein großartiger Beruf. Zumindest in Deutschland wird er recht gut bezahlt (anderswo, inklusive meines Herkunftslandes Polen, sieht es diesbezüglich ganz anders aus). Man darf sich intellektuell „austoben“ und ist dabei relativ frei bei der Wahl der Themen, Methoden und Kooperationspartner:innen. Für manche ist es beinahe ein bezahltes Hobby. Klingt erstmal super. Doch leider hat gerade die Freiheit eine Schattenseite. Wissenschaftler:innen sind eine Berufsgruppe mit erhöhtem Burnout-Risiko.

Etwa 2017 hatte ich ein Gespräch mit einem Finanzberater, bei dem es unter anderen um die Berufsunfähigkeitsversicherung ging. Bei meinem Beruf geht’s dabei primär um psychische Erkrankungen wie Burnout und Depression (auch wenn Rückenbeschwerden, chronische Sehnenscheidenentzündung etc. auch eine Rolle spielen). Damals war meine Einschätzung: Klar, diese Gefahr gibt es – aber doch nicht bei mir. Ich bin sehr stressresistent, brauche mir also keine Sorgen zu machen.

Das mit der Stressresistenz stimmt wohl. Aber ob das genug ist, um mich in diesem Beruf dauerhaft vor Burnout zu schützen – sechs Jahre später und einige Karriereschritte weiter bin ich mir gar nicht mehr so sicher.

Paradoxerweise ist man als Wissenschaftler:in gerade dann burnoutgefährdet, wenn man diesen Beruf in all seinen Facetten liebt. Und dazu noch ein hohes Verantwortungsbewusstsein hat. Das Problem nämlich: Der Wissenschaftsberuf hat sehr viele Facetten. Die Basis ist natürlich die eigene Forschung, einschließlich von Publikationen und Drittmittelanträgen. Aber das ist beileibe nicht alles. Je höher man die Karriereleiter emporklettert, desto mehr weitere Aufgaben kommen hinzu. Betreuung und Mentoring. Lehre. Wissenschaftskommunikation. Bereitstellung öffentlicher Güter innerhalb der eigenen Organisation (Gremien, Begutachtungen, Anstoßen von Veränderungsprozessen etc.). All diese Aufgaben sind wichtig. Und mit den meisten geht Verantwortung für Andere einher – Promovierende, Studierende, Kolleg:innen, die Öffentlichkeit…

Das Problem, auf das man dann zunehmend stößt, besteht darin, dass man das nicht alles gleichzeitig in „vollem Maße“ machen kann. Irgendwo müssen Abstriche gemacht werden. Es ist ein klassisches multikriterielles Optimierungsproblem. Bloß sagt einem keine:r, wie man priorisieren sollte. Wenn man sich beispielsweise Anforderungslisten für Entfristungen anschaut, werden all diese oben genannten Punkte aufgeführt – und ggf. steht irgendwo im Kleingedruckten: „Natürlich erwarten wir nicht, dass jede:r Kandidat:in all diese Aufgaben in gleichem Maße erfüllt.“ Schön. Aber welche soll ich denn reduzieren? Und, à propos Entfristung: Das ist keine triviale Abwägung. Denn davon, wie man priorisiert, hängt die eigene Karriere ab. Der Flaschenhals in der Wissenschaft ist sehr eng – nur ein geringer Teil der Menschen, die (üblicherweise mit einer Promotion) in das System einsteigen, kann auch langfristig drin bleiben. Wenn man drin bleiben möchte, hütet man sich also davor, „unnötig“ irgendwelche Aufgaben zu vernachlässigen. Im Zweifel macht man zumindest bis zur Entfristung mehr. Was übrigens auch über die Entfristung hinaus Pfadabhängigkeiten schafft. Aber dazu gleich.

Das völlig Perverse ist, dass intrinsische Motivation hier besonders problematisch ist. Mit anderen Worten: Besonders schlimm ist es, wenn man den Großteil der Aufgaben gern macht und/oder ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein hat (ich spreche da aus Erfahrung). Denn dann hat man weder externe (s. oben) noch interne Orientierung, wo man „kürzer treten“ sollte, welche Aufgaben man etwas vernachlässigen sollte. Soll ich weniger Drittmittelanträge stellen? Weniger publizieren? Beides wäre riskant, denn beides zählt im Zweifel viel bei Entfristungen/Berufungen, ist aber seinerseits mit hohem Risiko behaftet (gerade Drittmittelanträge gleichen oft einem Roulette). Zudem bedeutet jeder nicht gestellte Antrag, jede nicht angegangene Publikation, dass man eine spannende Idee erstmal in der Schublade parkt. Das widerstrebt einem neugierigen Wissenschaftler:innen-Gehirn… Und gerade bei interdisziplinären Publikationen ist es so, dass jede weitere, bei der man „nur“ Ko-Autor:in ist, erstmal nicht zwangsläufig viel Arbeit bedeutet und daher unproblematisch erscheint. Bis man irgendwann feststellt, dass es viel zu viele sind und man nicht hinterherkommt…

Wenn nicht hier, dann wo Abstriche in Kauf nehmen? Betreuung? Geht eigentlich nicht, außer quantitativ (aber hier gibt es „Spill-over-Effekte“ der Drittmittelaktivitäten). Lehre? Schade, gerade wenn man sich anschaut, wie viel schlechte Lehre die Studis sowieso schon ertragen müssen (und wie viel man selbst ertragen musste). Gremien? Diese sind lästig, aber gleichwohl kann man nur dort die vielen Probleme der eigenen Organisation und des Wissenschaftssystems angehen. Begutachtungen und Peer Review? Dann bricht das System im Zweifel zusammen, das geht nicht. Keine Option fühlt sich „richtig“ an, alle Entscheidungen sind schmerzhaft. Aber keine Abstriche zu machen ist auch keine Option.

Letzteres sehe ich oft genug in meiner Umgebung. Und zwar – hier kommen wir zurück zum vorher kurz erwähnten Aspekt – auch bei Leuten, die bereits „ausgesorgt“ haben. Denn die Postdoc-Zeit, in der man bemüht ist, in der Hoffnung auf eine Entfristung/Berufung „to check all the boxes“, verleitet einen dazu, mehr zu machen, als man selbst langfristig für tragbar hält. Die Logik dabei – ich arbeite eine Weile auf Pump, und wenn ich die Entfristung/Berufung erreicht habe, kann ich mich wieder zurücklehnen. Das ist eine naive und gefährliche Herangehensweise. Gerade bei hoher intrinsischer Motivation schafft man damit Pfadabhängigkeiten – Erwartungen (von Kollaborateur:innen, Kolleg:innen, von sich selbst!), Verpflichtungen (gegenüber betreuten Nachwuchswissenschaftler:innen, Studierenden, der eigenen Organisation), aus denen man nicht ohne Weiteres wieder herauskommt, entfristet oder nicht. Ich kenne Leute, die extrem erfolgreich sind, gute, engagierte Wissenschaftler:innen, die viel publizieren, viele Projekte anstoßen, gut betreuen, sich in der Lehre und in Gremien engagieren… Und nahezu alle bereits Burnout-Episoden hatten oder konstant am Rande dieses Abgrunds zu balancieren scheinen.

Was kann man dagegen tun? Wie verhindert man, dass Erfolg in der Wissenschaft gefühlt zwangsläufig mit erhöhtem Burnout-Risiko einhergehen muss? Auf individueller Ebene kann man, fürchte ich, nicht viel machen – aufpassen, dass man sich nicht übernimmt, bewusst einzelne Bereiche „zurückstellen“, auch wenn es schmerzt, sich gute Mentor:innen suchen. Klingt alles deutlich einfacher, als es in der Praxis ist. Wie so häufig muss daher der Wandel auf institutioneller Ebene stattfinden. Schon lange wird gefordert, dass man im deutschen Wissenschaftssystem, ähnlich z. B. dem angelsächsischen, mehr Karrierepfade ausdifferenziert, die jeweils nur Teile der oben genannten Anforderungsliste abdecken. Auch würde es helfen, wenn Entfristungs- und Berufungsprozesse und -kriterien deutlich transparenter würden (hier kann man sich von den Skandinavier:innen eine Scheibe abschneiden). Aktuell weiß man nicht so richtig, was genau von einem erwartet wird, welche Kriterien wie gewichtet werden – also hat man einen starken Anreiz, im Zweifel alles irgendwie abzudecken. Zuletzt ist hier auch die alte Forderung nach mehr Qualität statt Quantität wichtig: Weg von reiner Publikationszahl/h-Index/Summe eingeworbener Fördermittel als Maß(e) aller Dinge. Im Bereich der Drittmitteleinwerbung wäre es vielleicht an der Zeit, Modelle zu erproben, die den Druck, einen „perfekten“ Antrag abzuliefern, senken, bspw. durch Losverfahren. Und als Betreuende und Mentor:innen sollten wir wohl Nachwuchswissenschaftler:innen klar kommunizieren, dass eine Karriere in der Wissenschaft wirklich hohe Kosten haben kann und es auch Optionen anderswo gibt.

2 Gedanken zu “Wissenschaft ohne Burnout?

  1. Vielleicht sollte man mal Teilzeit-Professuren ausschreiben 😉. Die Idee mit der Verteilung der Aufgaben auf verschiedene Stellen finde ich gut. An einigen Unis gibt es ja auch Stellen, die ausschließlich für die Lehre sind.

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    • Teilzeit ist im aktuellen System so eine Sache… Wenn du nicht gerade eine reine Projektstelle hast, wird die Last üblicherweise vor allem auf dem Papier reduziert bzw. man ist selbst dafür verantwortlich, sie zu reduzieren, womit wir wieder beim Ausgangsproblem wären.

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