Gefühlt jedes Mal, wenn ich mir sage, dass ich die „Ökolandbau vs. konventionelle Landwirtschaft“-Debatte hinter mir lasse, gerate ich in eine Diskussion, in der ich doch wieder die Argumente herausholen muss, warum diese Trennung nicht zielführend ist. Nun also noch ein Mal (hoffentlich das letzte), fokussiert und zum Mitschreiben.
Mein Hauptargument steht im Titel dieses Beitrags: Die ständigen Vergleiche von Ökolandbau und konventioneller Landwirtschaft, die nachzuweisen versuchen, dass eines von den beiden besser/produktiver/umweltfreundlicher/nachhaltiger ist, nehmen stillschweigend an, dass beide Alternativen in sich relativ homogen bzw. einheitlich sind. Das ist schon beim Ökolandbau schwierig, denn:
- es gibt unterschiedliche Ökozertifizierungen, die Unterschiedliches vorschreiben (neben der Zertifizierung nach EU-Öko-Verordnung noch die tendenziell strengeren Siegel wie Naturland, Bioland oder Demeter);
- auch wenn diese Zertifizierungen einiges vorschreiben bzw. verbieten, lassen sie doch zahlreiche Optionen offen, sodass auch Öko-Betriebe je nach Kontext unterschiedlich ausgerichtet sind, zumal sie aufgrund der geringeren Input-Intensität sich tendenziell stärker an die lokalen Verhältnisse anpassen müssen.
Was für Ökolandbau gilt – nämlich dass es mitnichten ein Monolith ist – gilt für die „konventionelle Landwirtschaft“ umso mehr. Sie ist de facto nur eine „Residualkategorie“, die alles beinhaltet, was nicht in der Öko-Schublade landet. Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich daher eine enorme Heterogenität und Diversität von Anbausystemen und -ansätzen, mit ganz unterschiedlichen Herangehensweisen an Bodenbearbeitung, Pflanzenschutz, Düngung, Fruchtfolgengestaltung etc. Die Information, dass ein Betrieb „konventionell“ wirtschaftet, sagt mir, isoliert betrachtet, kaum etwas über ihn.
Das gilt ähnlich für Vergleiche zwischen den beiden Seiten. Hier hat man zwei Möglichkeiten:
Entweder vergleicht man „typische“ Praktiken beider Seiten miteinander, z. B. hinsichtlich bestimmter Nachhaltigkeitsindikatoren. Dann ist man gezwungen, für beide Seiten zu definieren, was „typisch“ ist – angesichts der Heterogenität eine zwangsläufig arbiträre Angelegenheit. Die Übertragbarkeit eines solchen Vergleichs auf konkrete Betriebe in der realen Welt ist mit viel Vorsicht zu genießen.
Oder man vergleicht die Gesamtpopulationen, bspw. hinsichtlich durchschnittlicher Erträge. Doch auch das ist problematisch und zu einfach, denn es ist bspw. bekannt, dass Öko-Betriebe und „konventionelle“ Betriebe im Schnitt nicht vergleichbare Flächen bewirtschaften – Ökolandbau findet man häufiger in weniger produktiven Gebieten bzw. auf schlechteren Standorten. Und sogar abgesehen davon verbleibt das Problem, dass man bei Betrachtung auf Ebene von Gesamtpopulationen mit Durchschnittswerten arbeiten und daher Heterogenität um diese herum bestenfalls als einen Nebenaspekt abbildet (der in den öffentlichen Debatten auch meistens „hinten runterfällt“).
Eigentlich müsste man die zu vergleichenden Betriebe „matchen“, d. h. Stichproben auswählen, die hinsichtlich verschiedener Eigenschaften (bspw. Bodenqualität, lokales Klima, Betriebsgröße etc.) vergleichbar sind. Doch auch das ist schwierig angesichts der sonstigen Heterogenität der beiden Gruppen, jenseits von natürlichen Gegebenheiten (z. B. wer die Betriebsleiter:innen, was deren Wissensstände und Fähigkeiten sind etc.).
Es gibt Kontexte, in denen das Denken in Anbausystemen wichtig ist. So sind z. B. Bewirtschaftungspraktiken nicht völlig frei kombinierbar. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Ökolandbau funktioniert in den allermeisten Fällen nicht ohne Pflug; Direktsaat ist ohne Glyphosat sehr schwierig. Auch Fruchtfolgengestaltung erzwingt ihre eigenen Logiken. Oft macht es Sinn, dies im Hinterkopf zu behalten, anstatt (implizit) anzunehmen, dass alles mit allem frei kombinierbar ist und man sich die eierlegende Wollmilchsau „basteln“ kann. Letztlich ist die Sinnhaftigkeit, Praktikabilität und Nachhaltigkeit von konkreten Praktiken und ihren Kombinationen bis hin zu relativ starreren Anbausystemen wie Direktsaat standort- und kontextabhängig. Überall ergeben sich Zielkonflikte, mit denen man kontextspezifisch umgehen muss.
tl;dr: Insgesamt ist meine Botschaft relativ einfach: Die strukturelle, naturräumliche und sozio-ökonomische Heterogenität der Landwirtschaft ist enorm. Die Unterscheidung „Öko vs. konventionell“ wird dieser Heterogenität nicht gerecht. Zudem verleitet sie zu einer binären „Gut vs. Schlecht“-Polarisierung, die in der Kommunikation weder konstruktiv noch dialogfördernd ist. Stattdessen sollten wir über konkrete Bewirtschaftungspraktiken, idealerweise bezogen auch auf einen konkreten (strukturellen, naturräumlichen) Kontext, diskutieren.

Ein Beitrag, der die Dinge auf den Punkt bringt. Kompliment! Es wäre schön, wenn dies auch in der hohen Politik zur Kenntnis genommen und zum Maßstab politischen Redens, Handelns oder besser Nichthandelns gemacht würde.
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Danke!
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D’accord, was die eigentliche Landwirtschaft und ihre Heterogenität angeht. Das die Menschen trotzdem diese Katergorien nutzen, liegt daran, dass den meisten „Bio“ eben nur als Produkt im Laden bekannt ist. Was dahinter steckt, ist den meisten völlig fremd (Einsatz von Schwermetallen im Pflanzenschutz, Einsatz von Gentechnik durch mutagene Strahlen und Chemikalien, Einsatz von schweren Bodenbearnbeitungsmaschinen). Dann kommen noch die üblichen karrikativen Kommunikationsstrategien von NGOs, Bio- und Landwirtschaftsverbänden hinzu. Politisierung führt zu Kategorisierung / Abgrenzung aka „boundary work“ https://web.archive.org/web/20160127105124/http://www3.nd.edu/~sskiles/boundaries/Gieryn%201983.pdf
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Klar, die (vulgär-?;-)psychologischen Mechanismen liegen auf der Hand. Komplexitätsreduktion ist an sich eine essentielle Strategie, ohne die man in der heutigen Welt untergeht. Aber zumindest in der Wissenschaft und in der politischen Zielsetzung sollte man es mit der Komplexitätsreduktion nicht übertreiben. Das sind die Bereiche, in denen mich diese binäre Betrachtung besonders stört.
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P.S. Mit „vulgär“ meine ich keine Kritik an dir, sondern eher die selbstkritische Einordnung, dass mir das, was du geschrieben hast, plausibel erscheint – aber wir sind ja beide Laien in dem Kontext.
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