Afrikas Misere und Fair Trade

Ich habe vor einigen Jahren ein sehr interessantes Buch des polnischen Reporters Adam Leszczyński über dessen Reisen durch Afrika gelesen. Darin fand ich eine Aussage, die mir zu denken gab: der Autor kritisierte darin die Idee des Fair Trade, weil er meinte, dass sie dazu beiträgt, dass die afrikanischen Ökonomien weiterhin auf Rohstoffgewinnung und Nahrungsmittelproduktion fokussiert bleiben. Der Vorwurf ist angesichts der desolaten wirtschaftlichen Lage auf dem Kontinent interessant, insbesondere, da wir „Westler“ tatsächlich die Tendenz haben, bei unseren gut gemeinten Wohltaten zu kurz zu denken. In diesem Fall basiert die Kritik aber letztendlich doch auf einem Fehlschluss.

570px-africa_satellite_planeTatsache ist, dass (Subsahara-)Afrika1 nach einigen Jahren wirtschaftlichen Aufschwungs wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen ist: die BIP-Wachstumsraten sind vielerorts wieder unter die Rate des Bevölkerungswachstums gesunken, was bedeutet, dass die betreffenden Länder wieder ärmer werden. Dies ist auch nicht überraschend, denn das bisher auf dem Kontinent dominierende „Entwicklungsmodell“ basiert sehr stark auf Rohstoffabbau – Kupfer, Gold, Diamanten, Koltan, Eisenerze… All das kommt zu einem beträchtlichen Teil aus Afrika. Doch leider führt eine Fokussierung auf Rohstoffe zu einer starken Abhängigkeit von Weltmarktpreisen. Dass diese in Folge der Wirtschaftskrise gesunken sind, spüren afrikanische Länder besonders deutlich. Zudem schöpfen internationale Konzerne einen beträchtlichen Teil der Rohstoffrenten ab, die aus dem Abbau hervorgehen. In vielen Fällen haben die Länder selbst vergleichsweise wenig davon. Zuletzt aber führt Rohstoffreichtum und eine starke Fokussierung darauf sehr oft zur Vernachlässigung von Investitionen in andere Bereiche, insbesondere in Ländern, in denen die Machteliten korrupt und oft nur scheinbar demokratisch legitimiert sind. All dies zusammen führt dazu, dass Subsahara-Afrika als Region weiterhin über keine nennenswerte Mittelschicht verfügt und auch keine industrielle Basis hat, von der aus ein nachhaltigerer wirtschaftlicher Aufschwung ausgehen könnte.

Was hat dies mit Fair Trade zu tun? Die Idee von Fair Trade ist doch, dass man Produkte kauft, die bewusst teurer als ihre „normalen“ Alternativen sind, deren Produktion dafür auf kurzen Wertschöpfungsketten basiert und oft kooperativ erfolgt. Außerdem werden meistens Teile der Erlöse in die Entwicklung der betreffenden Gemeinden investiert, z. B. in den Ausbau lokaler Infrastruktur (Energie, Bildung, Gesundheit). Das Argument in dem Buch von Leszczyński war allerdings, dass all dies Anreize für die betreffenden Menschen bildet, in den derzeitigen, „unproduktiven“ Strukturen meist landwirtschaftlicher oder kleinhandwerklicher Produktion zu verbleiben. Damit trage man als Fair-Trade-Konsument dazu bei, dass es z. B. mit der Industrialisierung afrikanischer, lateinamerikanischer und asiatischer Länder (dies sind die Regionen, aus denen Fair-Trade-Produkte üblicherweise stammen) nicht vorangeht. Auf den ersten Blick kann diese Kritik plausibel klingen, denn Fair Trade dürfte tatsächlich dazu führen, dass Landwirtschaft oder Kleinhandwerk als eine vergleichsweise „angenehme“ Beschäftigung angesehen werden; außerdem führt es zweifellos zu einer gewissen Exportorientierung.

fairtrade-logo-svgDennoch ist diese Kritik aus mehreren Gründen zu kurz gedacht. Erstens dürfte „Afrikas Misere“ weniger an dem Beharren der Bevölkerung auf vermeintlich unproduktiven wirtschaftlichen Aktivitäten liegen, sondern vielmehr an dem Mangel von öffentlicher Infrastruktur, die es erlauben würde, sich anderer Aktivitäten anzunehmen. Wenn es kein verlässliches Verkehrsnetz, keine verlässliche Stromversorgung, keine klaren Gesetze, die Investitionstätigkeit regeln, kein nennenswertes Kredit- und Versicherungswesen gibt – dann braucht man nicht zu hoffen, dass irgendjemand aufhört, Landwirtschaft oder Kleinhandwerk zu betreiben (ganz zu schweigen von der Arbeit in Gold- oder Koltan-Minen).

Zweitens impliziert die Kritik die Annahme, dass weniger Nachfrage nach bspw. Fair-Trade-Kakao auch generell weniger Nachfrage nach Kakao bedeuten würde. Dies ist naiv. Die wichtigsten Fair-Trade-Produkte (außer Kakao noch Kaffee, Tee, Bananen, Zucker, Textilien…) sind solche, die eine relativ starre Nachfrage haben. Wenn es sie nicht in Fair-Trade-Qualität gibt, dann werden eben die „normalen“ Alternativen gekauft. Die Idee von Fair Trade ist ja auch nicht, zusätzliche Nachfrage zu schaffen, sondern die bestehende Nachfrage zu kanalisieren, sodass Menschen, die sowieso Kakao anbauen oder Textilien herstellen (was ja an sich nichts Schlimmes ist – es sind Berufe, die in der globalisierten Wirtschaft wichtig und notwendig sind, und gerade die Fair-Trade-Nahrungsmittel können aufgrund klimatischer Begebenheiten üblicherweise nicht in Europa oder Nordamerika hergestellt werden), dies unter menschenwürdigen Bedingungen tun können. Es müssen und sollen ja nicht alle im industriellen oder Dienstleistungssektor arbeiten; und auch eine Exportorientierung muss ja nicht schlecht sein, solange mit ihr nicht übertrieben wird.

Drittens, und das stärkt nochmal das vorherige Argument – Fair-Trade-Produkte sind „teuer“. Denn sie internalisieren einen beträchtlichen Teil der in konventionellen Wertschöpfungsketten externalisierten negativen Effekte (Umweltverschmutzung, soziale Missstände etc.). Das bedeutet, dass eine Kanalisierung der Nachfrage nach den betreffenden Produkten hin zu Fair Trade tendenziell zum Rückgang in ebendieser Nachfrage führen würde. Wir würden etwas weniger (und dafür qualitativ höherwertige) Schokolade konsumieren und zweimal überlegen, ob wir wirklich ein neues T-Shirt brauchen, man bräuchte also weniger exportorientierte landwirtschaftliche und kleinhandwerkliche Produktion in Afrika und anderswo. Damit würde man also – genau im Gegenteil zum Argument Leszczyńskis – „Arbeitskraft freimachen“ für auf den Binnenmarkt orientierte Landwirtschaft sowie für andere Sektoren – solche, die das Potenzial hätten, Afrikas Misere zu überwinden.

Es gibt viele Faktoren, die dazu beitragen, dass es Afrika nicht gut geht. Für einige sind wir, der globale Norden, verantwortlich. Doch Fair Trade gehört nicht dazu. Ganz im Gegenteil.

P.S. Der Beitrag wurde inspiriert von dem empfehlenswerten Artikel Auf Sand gebaut: Afrikas vergebene Boom-Jahre von Jörg Goldberg, erschienen in der aktuellen Ausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik.

Fußnoten

1. Es sei mir verziehen, dass ich die durchaus heterogenen Entwicklungen eines ganzen Kontinents so stark generalisiere; doch abgesehen von vereinzelten positiven Ausnahmen wie Botswana erscheint dies im gegebenen Kontext leider zulässig.

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