Grundlagenforschung vs. post-normale Wissenschaft

Meine Promotionszeit neigt sich dem Ende hin. Das bedeutet, dass ich mir allmählich Gedanken machen sollte, in welche Richtung sich meine wissenschaftliche Karriere entwickeln soll (sofern sie überhaupt fortgesetzt werden kann, was ich hier erstmal voraussetze). Natürlich wird meine letztendliche Entscheidung von der Marktsituation beeinflusst (ggf. sogar vollständig determiniert) – aber man kommt nicht umhin, sich mal grob zu überlegen, was man denn in der Zukunft reißen möchte, welches Gebiet man beackern würde. Eine wichtige Teilfrage, die mir früher nicht aufkam, ist die Frage nach Grundlagenforschung vs. anwendungsorientierter oder gar politikrelevanter Forschung (was man in der Ökologischen Ökonomik manchmal unter dem Begriff „post-normale Wissenschaft“ findet).

Meine Dissertation hat recht klar den Charakter von Grundlagenforschung: ich sehe mir konzeptionell an, warum Biodiversität einen ökonomischen (d. h., präferenz-basierten) Wert haben kann und wie man diesen Wert denn ermitteln könnte. Worauf ich aufbaue, ist ihrerseits ökologische Grundlagenforschung (insb. der Zusammenhang zwischen Biodiversität und Stabilität von Ökosystemen), aus ökonomischer Sicht arbeite ich auch nicht an völliger Basis, aber schon recht nah dran. Denn bis zur politisch-gesellschaftlichen Praxis bedürfte es mehrer weiterer Schritte: (i) jemand müsste meine konzeptionellen Überlegungen in einer Bewertungsstudie in einem bestimmten Ökosystem umsetzen, (ii) die so ermittelten Werte müssten in irgendeiner Form an Entscheidungsträger weitergetragen werden, (iii) die Entscheidungsträger müssten auf dieser und anderen Grundlagen eine Entscheidung treffen, (iv) die dann wohl in irgendwelchen institutionellen Veränderungen resultieren würde (Ausweisung von Naturschutzgebieten, Öko-Steuern, Subventionen für Bio-Landwirte, what have you). All das ist schon irgendwie wichtig für meine Arbeit, aber in einem nur sehr abstrakten Sinne. Wahrscheinlicher ist es, dass meine Doktorarbeit vielleicht die eine oder andere Bewertungsstudie beeinflusst, vielleicht die Entwicklung weiterer Konzepte in meinem Feld (obwohl das schon sehr optimistisch ist) – die Bewertungsstudie(n) werden aber vermutlich das Schicksal der meisten ökonomischen Bewertungsstudien teilen, d. h. von Entscheidungsträgern unbemerkt bleiben. Kurzum: meine Dissertation ist reine Grundlagenforschung.

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Auch ohne Linearbeschleuniger kann man Grundlagenforschung betreiben (Bild: Linearbeschleuniger von CERN; CC BY-SA 3.0 Florian Hirzinger)

Das ist an sich nichts Schlimmes: erstens braucht man Grundlagenforschung für (fast) alles Nachfolgende (was ich schon mal kurz diskutiert habe); zweitens scheint es, dass ich in solchen konzeptionell-theoretisch-abstrakt-abgehobenen Sachen gut bin. Punkt 1 bedeutet, dass irgendjemand Grundlagenforschung betreiben sollte; Punkt 2, dass ich ggf. dazu prädestiniert bin (obwohl ich das Wort hier selbst etwas hochtrabend finde).

So weit, so gut. Nun merke ich aber seit einer Weile – nicht zuletzt, seit ich mir über ein potenzielles Forschungsprogramm Gedanken machen musste, um mich auf eine Stelle zu bewerben, die ich leider nicht bekommen werde –, dass es mich sehr reizen würde, mal an etwas gesellschaftlich Relevantem zu forschen. Nicht nur zur Abwechslung, sondern auch, Punkte 1 und 2 von oben dahingestellt, da ich nicht ohne Grund in Richtung Umweltforschung gegangen bin – ich habe mich für dieses Forschungsfeld entschieden, weil ich etwas „reißen“ möchte. Etwas verändern. Und das ist es, worum es in der Ökologischen Ökonomik, der ich mich meistens zugehörig sehe, geht. Um gesellschaftlich relevante, post-normale, gar transformative Wissenschaft.

Wie funktioniert diese? Ursprünglich wurde post-normale Wissenschaft als der Bereich der Wissenschaft definiert, den man braucht, wenn „facts uncertain, values in dispute, stakes high, decisions urgent“ sind (Munda 2004). Post-normale Forschung rückt ab von dem alten Ideal rein deskriptiver, wertfreier Forschung, die sich nur nach reinem Erkenntnisinteresse richtet. Hier geht es klar darum, die Gesellschaft dabei zu unterstützen, Probleme anzupacken. Im weitesten Sinne könnte man auch meine Arbeit darunter fassen (um Probleme anzupacken, muss man sie identifizieren, um sie klar zu identifizieren, braucht man klare Konzepte). Mein Fokus heute ist aber auf die eindeutigerweise post-normale bzw. gar transformative Forschung, die nicht mehr als reiner Informationsinput dient (wie ökonomische Bewertung), sondern der Gesellschaft Lösungen anbietet. Seien sie kleinteilig (wie bspw. Emissionshandel) oder umfassend (Transformation zum Postwachstum, die ihrerseits aus mehreren kleineren Teillösungen/-ansätzen bestehen müsste, die allerdings aufeinander abgestimmt werden müssten – hier sehe ich bisher eine klaffende Lücke).

Was sind Beispiele für solche Forschung, für die ich mich gerade erwärmen könnte? Elinor Ostroms commons-Forschung verknüpfte auf eine sehr reizende Art und Weise Erkenntnisinteresse mit gesellschaftlicher Relevanz – sie untersuchte an konkreten Beispielen, wie Menschen mit Ressourcen umgehen, die ihnen gemeinsam gehören, ohne diese Ressourcen „kaputt zu machen“. Auf dieser Grundlage hat sie versucht, generalisierbare Bedingungen herauszuarbeiten, die man erfüllen muss, um die Tragik der Allmende zu verhindern. Anderes Beispiel: UFZ-Kollegen sehen sich die deutsche/europäische Energiewende an und versuchen, konkrete Modifikations- und Weiterentwicklungsvorschläge zu entwickeln, um die erklärten Ziele dieses Transformationsprozesses besser zu erfüllen. Andere UFZ-Kollegen arbeiten zu Problemen der Wasserknappheit und des Wasserzugangs und versuchen ebenfalls, teilweise in sehr konkreten Kontexten (Jordanien, Mongolei) Strategien zu entwickeln, die diese Probleme wenn nicht lösen, dann zumindest abschwächen können. Einen Schritt weiter ginge eine umfassendere Auseinandersetzung mit Transformationsprozessen: zum Beispiel gibt es immer mehr Anhaltspunkte, dass man sich vielleicht Gedanken machen sollte, wie eine Postwachstumsgesellschaft aussehen könnte. Manche dieser Anhaltspunkte sind eher normativ – Wachstum wird einiges angelastet, von sozialen zu ökologischen Krisen. Es gibt aber auch eher „deskriptive“ Gründe, wie bspw. die von Robert Gordon genannten, dessen zentrale Botschaft ist: „Sorry, Leute, aber Wachstum war nur eine Episode in der Menschheitsgeschichte, und die ist bald zu Ende“. Macht euch Gedanken, was danach kommt. Und da machen sich tatsächlich viele Leute viele Gedanken und unterbreiten Vorschläge: Regionalwährungen, flächendeckend kleinbäuerliche Bio-Landwirtschaft, Regionalisierung von Wertschöpfungsketten, dezentrale Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen, bedingungsloses Grundeinkommen, Suffizienz, Konsistenz, Gemeinschaftsgärten… Was aus meiner Sicht jedoch fehlt, ist ein umfassender Blick: passt all das zusammen? Und kann das wirklich funktionieren? Wenn das keine post-normale Fragestellung ist.

Ein Mittelweg zwischen Grundlagenforschung und post-normaler Wissenschaft wäre auch eine Option – was ich sehr spannend finde, ist die Untersuchung, was Menschen eigentlich von diesen ganzen grandes idées halten. Ökonomisch ausgedrückt: was haben sie für Präferenzen? Und wie werden diese gebildet? Wie übersetzt sich das in kollektive Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse? Wie funktioniert so was dann auf der supranationalen Ebene? Wie sind die Interaktionen zwischen Präferenzen, Technologieentwicklung und Institutionen? Etc. All dies gesellschaftlich wesentlich relevantere und, wie ich finde, auch wissenschaftlich spannendere Fragen, als warum Biodiversität eigentlich wertvoll ist und wie man ihren Wert messen könnte. Ohne den (grundlagenwissenschaftlichen) Wert meiner eigenen Arbeit degradieren zu wollen. Aber wenn man in einem solchen Umfeld arbeitet, wie ich, wo im Hintergrund die ganze Zeit normative Konzepte wie Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit etc. mitschwingen – da fragt man sich schon, wofür man seine Arbeitszeit lieber verwendet.

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