Deklarativ finden die meisten Menschen Ungleichheit schlecht. Dies betrifft insbesondere Ungleichheit bezüglich Rechten und Freiheiten, aber durchaus auch die Ungleichheit von Vermögen und Einkommen (auf die ich mich heute konzentrieren werde). Vor Kurzem erst versuchte man in der Süddeutschen eine Debatte anzustoßen über Besteuerung im Dienste distributiver Gerechtigkeit – sei es mit Fokus auf Erbschafts- oder Vermögenssteuern. Auch ich habe einst ein paar Zeilen zum Thema geschrieben und möchte erneut die paar Gedanken teilen, die mir durch den Kopf schwirren.

Kürzlich habe ich irgendwo gelesen (vermutlich hier, obwohl ich die Textstelle nicht mehr finden kann), dass die meisten Menschen im Grunde eine Gleichverteilung von Wohlstand willkommen heißen würden. Der Grund, warum viele sich trotzdem gegen Umwerteilungsmaßnahmen wehren, liege vor allem darin, dass diese meistens zu Lasten der Effizienz gehen. Ungleichheit in Maßen gilt als Ansporn zur Leistung. Klassisches Beispiel ist die progressive Einkommenssteuer, die (vermeintlich) einen Anreiz schafft, sich zurückzulehnen, weil einem sowieso „weggenommen wird“, was man über den Durchschnitt hinaus erwirtschaftet (einen ähnlichen, wenn auch nicht identischen Gedanken illustriert die sog. Laffer-Kurve). Mit anderen Worten: wird eine gleichere Verteilung des „Wohlstandskuchens“ angestrebt, schrumpft der Kuchen.
Ein Einwand, den man gegen diese These anbringen könnte, wäre folgender: viele Mitglieder moderner Gesellschaften befinden sich bekanntlich in einem Statuswettbewerb. Es geht ihnen umso besser, je besser gestellt sie sich gegenüber anderen (Nachbarn, Kollegen…) wähnen. Diese Erkenntnis ist nicht neu und schon länger als Duesenberry-Effekt bzw. positionaler Wettbewerb bekannt. Aus dieser Sicht dürfte Gleichheit doch eher schlecht sein, oder? Nicht unbedingt: denn positionaler Wettbewerb resultiert (so meine These) aus der Wahrnehmung, dass es in der Gesellschaft die gibt, die „besser dran“ (wohlhabender) sind; und es gibt die, die „schlechter dran“ (ärmer) sind. Warum sollte ich also zu Letzteren gehören? Doch bereits Fred Hirsch, der in seinem 1976er Buch Social Limits to Growth den Begriff „positionaler Wettbewerb“ prägte, erkannte, dass in einer egalitären Gesellschaft das Problem kaum noch vorhanden wäre, weil es keine deutlich auseinander haltenden Schichten gäbe – das sprichwörtliche keeping up with the Joneses wäre nicht notwendig, weil alle zu den Joneses gehören würden. Doch wenn das stimmt, ist Gleichheit grundsätzlich etwas Gutes und Wünschenswertes.
Es bleibt allerdings das Problem des vermeintlichen Konfliktes zwischen distributiver Gerechtigkeit (im Sinne einer relativ egalitären Verteilung von Reichtum) und Effizienz. Ist dies ernstzunehmen? Da habe ich so meine Zweifel. Erstens wird seit einer Weile immer wieder empirisch gezeigt, dass (überbordernde) Ungleichheit das Wirtschaftswachstum unterminiert. Ohne in die Tiefe zu gehen, würde ich behaupten, dass die Problematik geringfügig komplexer ist, z. B. weil es viele verschiedene Prozesse gibt, die Wirtschaftswachstum unterminieren (nicht zuletzt die Maturität einer Volkswirtschaft), oder weil die Ungleichheit mit vielen anderen politisch-institutionellen Faktoren zusammenhängt und sich diese nicht scharf voneinander trennen lassen. Dennoch ist es einleuchtend, dass zu viel Ungleichheit problematisch ist. Wie viel genau, ist wesentlich schwieriger festzustellen. Sodass oft auf die Position rekurriert wird, dass ein gewisses, „richtiges“ Maß an Ungleichheit notwendig sei, um Leistung anzukurbeln, aber man sollte damit eben nicht übertreiben. So unbestimmt wie diese Position ist, lässt sich damit meist ein ganz schön hohes Maß an Ungleichheit immer noch rechtfertigen. Ein zweites Argument gegen die These, es gebe einen Konflikt zwischen distributiver Gerechtigkeit und Effizienz, widerlegt sie zwar nicht, sondern setzt eher die Relevanz dieses Konfliktes in Zweifel: muss der Kuchen zwangsläufig so groß sein, wie er bspw. heutzutage in sog. entwickelten Ländern ist? Oder können wir vielleicht auf ein bisschen aggregierten Wohlstand verzichten, wenn er dafür gleicher verteilt wird? Dies wäre grob die Position der Postwachstums-Bewegung.
Doch auch wenn wir uns darauf einigen könnten, dass eine egalitäre(re) Verteilung des Reichtums innerhalb einer Gesellschaft wünschenswert ist, bleibt die essentielle Frage, wie man diesen Zustand herbeiführen und aufrechterhalten kann. Und was heißt eigentlich distributive Gerechtigkeit genau? „Jedem nach seinen Bedürfnissen“, wie der stereotype Marxist fordern würde? Ein schönes Ideal, das jedoch an erheblichen Informationsproblemen scheitern dürfte (selbst das Individuum weiß nicht oft, was seine „wahren“ Bedürfnisse sind, geschweige denn die Gesellschaft/der Staat/wer auch immer über die Verteilung der Güter entscheiden sollte). Generell stellt sich die schon vor längerer Zeit von Amartya Sen formulierte Frage: „equality of what?“ Einkommen? Vermögen? Primäre Güter? Capabilities?
Doch zurück zu der Frage nach der Herbeiführung von mehr distributiver Gerechtigkeit, unter der Annahme, dass es um materielle Güter geht (also um Vermögen). Wie nun? Einen theoretisch interessanten Vorschlag von Hal Varian habe ich bereits diskutiert – man schaffe für alle die gleichen Startchancen (also keine Geschenke, keine Erbschaften etc.) und lasse den Rest durch den Markt lösen. Die von Natur aus besser ausgestatteten werden zwar etwas reicher, andere etwas ärmer – Paris Hiltons dürfte es aber sicherlich nicht mehr geben. Toll, nicht wahr? Doch dieser Vorschlag funktioniert gut nur in Theorie. In eine ähnliche Richtung gehen übrigens die eingangs verlinkten Vorschläge einer 100%-Erbschaftssteuer sowie einer stärkeren Besteuerung von Vermögen. Ob sie ausreichend und praktikabel wären sowie mit ethischen Prinzipien vereinbar, wäre noch zu diskutieren. Kann z. B. eine 100%-Erbschaftssteuer nicht relativ leicht umgangen werden? Oder: welche Arten von Vermögen sollten wie besteuert werden? Alternativ könnte man natürlich noch, frei nach meinem Freund Magnus, die Produktionsmittel vergesellschaften. Was das auch immer genau heißt. Auch hier wäre noch zu klären, ob die Maßnahme zielführend wäre (=mehr distributive Gerechtigkeit) und keine sonstigen Probleme schaffen würde (bspw. Praktikabilität von Selbstverwaltung angesichts der mit ihr verbundenen Transaktionskosten).
Wie durch den Titel angekündigt, will ich hier keine Antworten geben – ich habe auch keine. Vielmehr wollte ich Fragen nennen, die mir durch den Kopf gehen, dazu ein-zwei Thesen bezüglich dessen, warum distributive Gerechtigkeit wünschenswert ist. Das habe ich nun getan. Your turn, meine lieben Leser.