Der Entwicklungs-Umwelt-Nexus

Ich muss gestehen, dass ich nicht gewusst hatte, wer Angus Deaton ist, bevor er mit dem diesjährigen Wirtschafts-Nobel-Gedenkpreis ausgezeichnet wurde. Ein Leontief-Preis und ein positiv scheinender Tweet von Dani Rodrik indizieren aber schon einmal, dass dies keine schlechte Wahl war. Als ich den SZ-Kommentar zu der Auszeichnung las, erinnerte ich mich an einen Bereich der ökonomischen Forschung, für den ich mich früher begeistert hatte – und der mich gewissermaßen an diese Disziplin herangeführt hatte: die Entwicklungsökonomik. Deaton ist ein Kritiker der „Hilfsindustrie“ (Rodrik) und betont, dass Geld allein nicht reicht, um armen Ländern zu helfen – etwas, worauf ich vor Ewigkeiten auch einmal hinwies (natürlich ohne damals wirklich Ahnung gehabt zu haben, sondern höchstens Intuition). Wie dem auch sei, ist die Auszeichnung von Deaton eine gute Gelegenheit, ein paar Worte über den Zusammenhang zwischen Entwicklungs- und Umweltökonomik zu verlieren – denn die Überschneidungen zwischen den beiden Forschungsrichtungen sind viel größer, als dies den meisten Beteiligten bewusst zu sein scheint.

Passenderweise habe ich kürzlich das Buch Human Well-Being and the Natural Environment von Partha Dasgupta wieder gelesen (beim ersten Mal war ich noch Student und hatte von der Materie wenig Ahnung). Herr Dasgupta, über den ich anlässlich der damals anstehenden Nobel-Preis-Verleihung geschrieben habe, ist ein Paradebeispiel für einen Ökonomen, der Aspekte der Umwelt- und Entwicklungsökonomik miteinander verbindet – und sich zurecht beschwert, dass das sonst kaum jemand macht. Denn die Verknüpfung dieser beiden Themen fängt bereits damit an, dass viele arme Menschen in Entwicklungsländern von intakten Ökosystemen abhängig sind, entweder direkt (auf dem Land) oder indirekt (in den Städten). Das Ausmaß der Armut hat oft Einfluss auf die Nutzung und Übernutzung von Ökosystemen – arme Gemeinschaften kreieren mitunter ausgeklügelte Systeme zur nachhaltigen Nutzung von Gemeinschaftsgütern, den sog. commons (hierzu siehe vor allem die Arbeit von Elinor Ostrom), denn sie sind abhängig von ihnen. Doch wenn die Beteiligten eine bestimmte Armutsgrenze überschreiten, können derartige Systeme zusammenbrechen – nicht weil die Menschen plötzlich zu homini oeconomici mutieren und Garrett Hardins düstere Prophezeiung wahr werden lassen, sondern weil eine nachhaltige Nutzung zum Überleben nicht mehr ausreicht.

Das Problem mit der konventionellen Entwicklungspolitik, wie sie von Angus Deaton und vielen anderen kritisiert wird, besteht vor allem darin, dass sie auf Standardrezepte setzt. Selbst gut gemeinte Hilfe kann dann schiefgehen. Die kollektive Nutzung von Gemeinschaftsgütern basiert oft auf einem fragilen Geflecht aus sozialen Normen, Tradition und lokalen Gegebenheiten – eine geringfügige Störung, die scheinbar eine Verbesserung der Lebenssituation der Beteiligten herbeiführen soll, kann das System aus dem Gleichgewicht bringen. Da investiert ein internationaler Geldgeber in Nepal in permanente Bauteile von Bewässerungssystemen, die dadurch nicht mehr regelmäßig erneuert werden müssen, wodurch die Kooperationsbereitschaft derer sinkt, deren Felder zuerst bewässert werden – zum Nachteil ihrer Nachbarn, deren Felder sich erst weiter hinten an den Bewässerungskanälen befinden.

Dies bedeutet natürlich nicht, dass Entwicklungshilfe grundsätzlich schlecht wäre – soweit würde ich nicht gehen, auch wenn es solche Stimmen durchaus gibt. Aber einfach nur Gelder in Entwicklungsländer zu pumpen, ohne genau zu überlegen, wie sie sinnvollerweise investiert werden sollen und wo sie gegebenenfalls schaden können, ist sicherlich nicht hilfreich. Nichtsdestotrotz scheint es die Regel zu sein.

Die Kuznets-Kurve. Bei der Umwelt-Variante steht an der y-Achse nicht „Ungleichheit“, sondern „Umweltverschmutzung“.
Die Kuznets-Kurve. Bei der Umwelt-Variante steht an der y-Achse nicht „Ungleichheit“, sondern „Umweltverschmutzung“.

Doch muss man bei der Entwicklungshilfe Umweltaspekte beachten? Ist es nicht so, dass reichere Gesellschaften sich Umweltschutz leisten können, sodass der Weg zur intakten Umwelt über ökonomischen Fortschritt geht? Diese Hypothese, bekannt als die environmental Kuznets curve, ist Objekt einer langwährenden Debatte. Dass sie den Namen Simon Kuznets’ trägt, dafür kann der arme Mann wenig – er fand zwar einen empirischen Zusammenhang, der als Kuznets-Kurve bezeichnet wird (s. Abbildung). Dieser Zusammenhang betraf jedoch nicht die Umwelt, sondern Ungleichheit und Einkommen – Kuznets fand, dass sich diese beiden Größen wie im Bild rechts zueinander verhalten: zunächst steige die Ungleichheit mit wachsenden Einkommen, dann sinke sie wieder (dieser Zusammenhang ist allerdings alles andere als unumstritten). Im Umweltbereich wird oft behauptet, dass es sich mit Einkommen und Umweltverschmutzung ebenso verhalte, woraus die Schlussfolgerung gezogen wird, dass man sich nicht so sehr um die Umweltprobleme armer Länder kümmern müsste – die beste Umweltpolitik sei Wirtschaftswachstum. Man kann tatsächlich zeigen, dass für manche Arten von Umweltverschmutzung (bspw. Schwefeloxide in der Luft) eine Glockenkurve entsteht, wenn man sie gegen BIP/Kopf plottet. Wenn man dieses Ergebnis verallgemeinert, was durchaus häufig geschieht, wird es jedoch schwierig. Zum einen kann dagegen argumentiert werden, dass reiche Länder einfach die Verschmutzung in ärmere Länder outsourcen – dass Deutschland eine halbwegs intakte Umwelt hat, liegt nicht zuletzt daran, dass die schmutzige Produktion in China, Russland oder Brasilien stattfindet. Zum anderen gilt der „Kuznets’sche“ Zusammenhang nicht für die wichtigste Kategorie von Umweltverschmutzung, mit der wir zzt. zu kämpfen haben – Treibhausgasemissionen. Es ist mitnichten so, dass man Umweltprobleme ärmerer Länder am besten lösen könnte, indem man ihnen zum schnellen Wachstum verhilft (ganz abgesehen davon, dass auch dies nicht so einfach ist).

Ein weiteres interessantes und schwieriges Problem im Entwicklungs-Umwelt-Nexus besteht darin, dass viele Lösungen für globale Umweltprobleme, die hierzulande vorgeschlagen werden, die institutionelle und technologische Kapazität von Entwicklungsländern übersteigen – teilweise ist es nicht einmal klar, ob sie in reicheren Ländern umsetzbar sind. Ob Bioökonomie, Kreislaufwirtschaft, umfassende Emissionshandelssysteme, intelligente Stromversorgungsnetze (smart grids, virtuelle Kraftwerke), effiziente Biolandwirtschaft… All dies sind wichtige Lösungsansätze, die gebraucht werden, um eine nachhaltige Produktionsweise herbeizuführen (zusätzlich zu den notwendigen Veränderungen im Konsumverhalten) – sie setzen aber sehr komplexe und anspruchsvolle institutionelle und technologische Rahmenbedingungen voraus. Diese können bspw. europäische Länder vielleicht liefern, aber was ist mit den Entwicklungsländern? Wie sollen sie sich weiterhin entwickeln (dürfen), ohne jedoch die lokalen und globalen Umweltprobleme zu verschlimmern, mit denen sie bereits zu kämpfen haben? Es scheint da generell zwei Möglichkeiten zu geben: entweder versucht man, know-how-Transfers sehr schnell durchzuführen, was recht utopisch anmutet (erstens wegen der zu erwartenden Widerstände seitens der Industrie, Geldgeber etc., zweitens weil es schlicht und einfach kaum möglich sein dürfte, einem Land wie bspw. Weißrussland oder Botswana von heute auf morgen eine hochkomplexe Wirtschaftsstruktur überzustülpen, die dann auch noch funktioniert); oder man sucht nach „niederschwelligeren“ Lösungsansätzen, die auch in Entwicklungsländern funktionieren können, sie aber gleichzeitig nicht unterentwickelt zurücklassen. Beide Optionen sind schwierig.

Drei Schlussfolgerungen kann man aus dem vorher gesagten ziehen: erstens, man kann Entwicklung und Umwelt nicht wirklich getrennt voneinander denken. Zweitens, Dasgupta hat Recht – sie werden oft getrennt gedacht. Drittens, der Entwicklungs-Umwelt-Nexus ist ein wahnsinnig spannendes Forschungsfeld – und im Gegensatz zur ökonomischen Bewertung äußerst relevant.

P.S. Ich entschuldige mich für die Verwendung des buzzwords „Nexus“, aber es passt hier tatsächlich recht gut.

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