Sozialwissenschaften? Wie isst man das?

Als Mitarbeiter des Fachbereichs Sozialwissenschaften an dem naturwissenschaftlich-technisch geprägten UFZ musste ich mehrmals feststellen, dass die Bedeutung sozialwissenschaftlicher (Umwelt-)Forschung vielen, Laien wie Wissenschaftlern, nicht klar ist. Wozu braucht man das? Wie isst man das? „Was macht ihr eigentlich den ganzen Tag lang?“

Zunächst sollten wir klarstellen, was Sozialwissenschaften sind. Laut der deutschen Wikipedia „umfassen [sie] jene Wissenschaften, die Phänomene des gesellschaftlichen Zusammenlebens der Menschen theoriegeleitet und/oder empirisch untersuchen.“ Diese allgemeine Definition erlaubt verschiedene Grenzziehungen – so bin ich z. B. schon auf Verwunderung gestoßen, dass ich die Ökonomie als eine Sozialwissenschaft bezeichne. Die Evolutionstheorie und Ökologie können bspw. helfen, das Funktionieren von Gesellschaften zu verstehen, zählen aber in der Regel nicht zu Sozialwissenschaften. Im Folgenden verzichte ich auf eine klare Grenzziehung, weil sie hier nicht so zwingend notwendig ist. Wichtig ist, dass sich „klassische“ Sozialwissenschaften wie Soziologie, Ökonomie, Politologie, Rechtswissenschaft, Anthropologie oder Ethnologie innerhalb der Grenzen befinden, wie auch (Teile der) Philosophie und Psychologie.

Sind es eigentlich viele Sozialwissenschaften oder vielmehr eine Sozialwissenschaft? Dies ist ebenfalls eine Frage, auf die ich keine Antwort geben kann – ich weiß sie nämlich nicht. Ich halte eigentlich nicht viel von disziplinären Abgrenzungen, weil ich schon mit zu vielen Fragestellungen konfrontiert wurde, bei denen die Perspektive einer einzelnen Disziplin nicht ausreichend war. Auf jeden Fall halte ich es für sehr wichtig, dass die Sozialwissenschaften sich voneinander (aber auch von den Naturwissenschaften) nicht abschotten, weil sie sehr viel voneinander lernen können. Daher ist auch Jon Elster eines meiner Vorbilder, weil er nicht Ökonom, Philosoph, Soziologe oder Politologe ist – sondern von allem ein bisschen.

Wozu braucht es nun an einem Umweltforschungszentrum diese komischen Sozialwissenschaftler? Gerade bei hardcore-Naturwissenschaftlern, für die „richtige“ Forschung nur im Feld oder im Labor stattfinden kann, stößt man mit seiner Anwesenheit als Sozialwissenschaftler am UFZ auf Unverständnis und fragende Blicke. Einem Chemiker oder Molekularbiologen fällt es schwer, sich vorzustellen, was Sozialwissenschaften denn mit Umwelt zu tun haben sollen. Meine Antwort ist ganz einfach: alles.

Allein die Tatsache, dass es so was wie „Umwelt“ gibt, resultiert daraus, dass es das Pendant „Gesellschaft“ gibt. Gäbe es keine Gesellschaften, würde es auch keine Umwelt geben, von der sich diese im Zuge der kollektiven Identitätsbildung abgrenzen könnte. Des Weiteren ist die Tatsache, dass es das UFZ und thematisch ähnliche Institutionen gibt, den problematischen Interaktionen zwischen der Gesellschaft und ebendieser Umwelt geschuldet. Um ein Beispiel zu nennen: das UFZ wurde ursprünglich 1992 mit der Hauptaufgabe gegründet, das Problem der massiven Kontamination der Umwelt um Leuna herum anzugehen. Hätte es die Gesellschaft nicht gegeben, wäre es nicht zu der Kontamination gekommen. Und sie hätte niemanden gestört.

Während die Naturwissenschaftler am UFZ versuchen, die Umwelt zu verstehen und „technische“ Lösungen zu ihrem Schutz zu entwickeln, bemühen wir Sozialwissenschaftler uns darum, die Gesellschaft zu verstehen und „politische“ Lösungen zu ihrem Umgang mit der Umwelt zu finden. Nur gemeinsam können wir die Umwelt-Problematik angehen. Wenn wir nicht wissen, wie Ökosysteme funktionieren, wird ihre nachhaltige Nutzung schwierig. Wenn wir nicht verstehen, wie sozio-ökonomische und politische Systeme funktionieren, wird das ebenfalls nichts.

Es ist interessant, wie oft man überrascht feststellt, dass Naturwissenschaftler und Sozialwissenschaftler Fragen beantworten können, die die jeweils anderen haben. Vor Kurzem erst nahm ich an einem Workshop teil, bei dem eine Gruppe von Landschaftsökologen erklärte, wie sie mittels Modellen die „optimale“ Nutzung von Landschaften (sog. multifunctional landscapes) bestimmen. Sie beschwerten sich dabei, dass ihnen oft vorgeworfen wird, dass ihre Verwendung des Begriffs der Optimalität seltsam sei – optimal für wen? ist die häufig an sie gestellte Frage. Doch genau diese Frage können z. B. Ökonomen durch umweltökonomische Bewertung beantworten – während die Landschaftsökologen bestimmen können, was „angebotsseitig“ möglich ist/sich herausholen lässt, ohne die Nachhaltigkeit zu gefährden, können wir sagen, was gesellschaftlich erwünscht ist. Durch die Kombination dieser beiden Perspektiven kann man zumindest theoretisch das „gesellschaftliche Optimum“ bestimmen. Dies geht aber eben nur, wenn die beiden Sichtweisen miteinander verbunden werden – einzeln beantworten sie nur jeweils einen Teil der Frage.

Sozialwissenschaftler versuchen, zu verstehen, wieso die Gesellschaft die Umwelt so nutzt, wie sie sie nutzt, und wie sich nachhaltigere Nutzung herbeiführen ließe. Es reicht nämlich nicht, dass wir wissen, dass wir Ökosysteme übernutzen und in welchem Maße das passiert, oder wie diese Ökosysteme funktionieren. Es reicht ebenfalls nicht, dass wir umweltfreundliche Technologien entwickeln. Dies sind notwendige, aber mitnichten hinreichende Bedingungen für Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit bedarf nämlich auch des Wissens und Verstehens, wie Menschen mit öffentlichen Gütern umgehen; welche politischen Instrumente notwendig sind, um Menschen zu bestimmten nachhaltigen Verhaltensweisen zu bewegen; welche dieser Instrumente mit den wenigsten Nebeneffekten verbunden sind; aber auch bspw. des Verstehens, wieso Nachhaltigkeit überhaupt Not tut. Was spricht eigentlich dafür, nachhaltig zu sein? Wieso haben wir ein Problem damit, nicht nachhaltig zu sein? All dies sind Fragen, die die Naturwissenschaften nicht alleine beantworten können. Zu ihrer Beantwortung sind wir Sozialwissenschaftler da, lesen viel, reden mit anderen Menschen, verwenden Modelle, wo wir keine Experimente durchführen können. Und versuchen, unseren kleinen Beitrag zur Lösung von Umweltproblemen zu leisten.

3 Gedanken zu “Sozialwissenschaften? Wie isst man das?

  1. Irgendwie kann ich nicht glauben, dass man so naiv sein kann, die Bedeutung der Sozialwissenschaften für die Lösung von Umweltproblemen nicht zu erkennen. Dass etwa die Publikation eines Modells zur Schadenswirkung eines Schadstoffes in einem Medium nicht automatisch eine Qualitätsverbesserung in diesem Medium nach sich zieht, sondern dass diese Erkenntnis (mindestens) erst einmal erfolgreich kommuniziert und politisch prozessiert werden muss – wobei wir schon mindestens zwei Sozialwissenschaften an Bord hätten -, dürfte ja niemanden sonderlich überraschen. Wenn dir tatsächlich so jemand (nochmal?) über den Weg läuft, bitte ihn / sie doch am besten, zukünftig weniger giftige Dämpfe im Labor einzuatmen…

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    • Das Problem ist eher, dass manchen hardcore-Natwissenschaftlern nicht klar zu sein scheint, was wir Sozialwissenschaftler tun. Wie du dich wahrscheinlich erinnern kannst, wurde im Vorfeld einer Klausur des Fachbereichs Sozialwissenschaften mal ein Video gedreht, bei dem Leute auf dem UFZ-Gelände danach gefragt wurden, ob sie a) wissen, ob es Sozialwissenschaftler am UFZ gibt und b) was diese so tun. Die Antworten wiesen erschreckende Wissensdefizite auf („Machen die Verwaltung…?“). Ich meinerseits war mal mit einer Gruppe von UFZ-Doktoranden auf einer Exkursion zum UBA nach Dessau, während der ich auch von zwei Umweltchemikern gefragt wurde, was denn die Sozialwissenschaftler den ganzen Tag so tun. „Irgendwas mit Akten?“

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  2. Hmm. Das nährt irgendwie mein abgründiges Vorurteil, dass Naturwissenschaftler tendenziell weitaus üblere Fachidioten sind als die Sozialwissenschaftler. Andererseits ist es vielleicht auch wirklich schwieriger, sich als Fachfremder die Arbeit eines Soziologen vorzustellen, als die eines Chemikers oder Biologen.
    Wie dem auch sei, ich jedenfalls bin froh, dass ich nicht Jahre meines Lebens für die Untersuchung irgendeiner Ameisenart oder des Verhaltens von Stoff x im Medium y verplempere.
    Aber jeder was er mag…

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